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Aus: Ausgabe vom 08.05.2024, Seite 16 / Sport

Der Elfmeterkiller

Von André Dahlmeyer
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Wurde zur Vereinslegende: Estudiantes-Torwart Matías Mansilla (l., in der Luft), hier im Spiel gegen CD Huachipato in Chile (Talcahuano, 4.3.2024)

Einen wunderschönen guten Morgen! Estudiantes de La Plata aus der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires hat am Sonnabend nach einem spektakulären Finalspiel gegen Vélez Sarsfield in Santiago del Estero den argentinischen Ligapokal gewonnen. Das mag für deutsche Fußballherzen nach wenig klingen – Ligapokal. In Argentinien kommt er einer Meisterschaft gleich. Die Spieler sehen das so, die Fans, auch die Medien und sogar der argentinische Fußballverband, letzterer noch hinter vorgehaltener Hand. Bis vor wenigen Jahren gab es in Argentinien, wie in den meisten südamerikanischen Ländern, noch ein Torneo Apertura und ein Torneo Clausura, also zwei Blitzmeisterschaften pro Jahr. Diese Titel wurden unterschiedlich gehandhabt. In Argentinien waren sie fix, woanders nicht: Ein Endspiel sollte sportliche Gerechtigkeit herstellen.

Argentinien befindet sich nach dem Tod von Julio Grondona, dem großen FIFA-Gangster, noch immer im Umbruch. Grondona hatte den Silberländern eine Liga mit 30 Teams hinterlassen, der Fernsehgelder wegen. Dass der Ligapokal in Argentinien erfunden wurde, hat vor allem monetäre Gründe. Offiziell ein anderer, weiterer Wettbewerb, lassen sich so vermeintlich unauffällig zusätzliche Sponsoren einspannen. Keine Frage, nachträglich werden den jeweiligen Ligapokalgewinnern die Titel als vollwertige Meisterschaften beglaubigt werden, alles nur eine Frage der Zeit, also frühestens, wenn die beteiligten Sponsoren das Weite gesucht haben. Außerdem gibt es in Argentinien eine Jahrestabelle und den guten alten Promedio (Durchschnittskoeffizienten), auch Promiedo (Pro-Angst) genannt, beide entscheiden über internationale Starterkits und Abstiege in die Hölle der Unterklassen. Meisterschaft und Ligapokal sind hier absolut gleichberechtigt, es gibt keinerlei Unterschiede, alles eine Show. Willkommen in der wunderbaren Welt des argentinischen Fußballs!

Gespielt wurde also in Santiago del Estero, der ärmsten Provinz des 46-Millionen-Einwohner-Staates, rund 1.000 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Buenos Aires. Dort steht seit einigen Jahren ein für argentinische Verhältnisse futuristisch anmutendes, kleines Stadion, ein Vorzeigeprojekt der Peronisten. Die gibt es im Land des aktuellen Weltmeisters auch noch, nicht nur Anarchokapitalisten, Neoliberale und libertäre Rechte. Nehmen tun sie sich alle nichts. Immer schön in die eigene Tasche wirtschaften.

Vélez spielte besser, lag aber schon nach 14 Minuten hinten, und als die Velezanos nach knapp einer Stunde in Unterzahl agierten, schien die Chose gelaufen. Doch die Jungs aus Liniers nahmen ihre Herzen in die Hand und erzielten kurz darauf den Ausgleich. So stand es auch noch nach der Verlängerung. Im anschließenden Elfertreten avancierte Torhüter Matías Mansilla zum Helden des Abends. Der 28jährige stammt aus Santiago, kommt aus den untersten Unterklassen und ersetzte erst kürzlich die Vereinslegende Mariano Andújar, der im vergangenen Dezember mit 40 Jahren die Copa Argentina mit Estudiantes gewann. In nur 20 Spielen (15 Gegentore) wurde er zur Vereinslegende, denn er parierte in den letzten zwei sage und schreibe fünf von zehn Elfmetern. Drei im Finale und zuvor zwei im Halbfinale gegen Boca Juniors (gleich den ersten gegen Weltstar Edinson Cavani) in Córdoba, im Kempes-Stadion.

Der Fußball schreibt wundervolle Geschichten. Das ist eine davon. Meinen persönlichen Glückwunsch an Vereinspräsident Juan Sebastián Verón. Estudiantes ist eine Familie.

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