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Aus: Ausgabe vom 03.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Verfaulte Kürbisse

Erstaunlich planlos: Samuel Bodins erratischer Horrorfilm »Knock Knock Knock«
Von Ronald Kohl
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Auch ohne echten Horror gruselig: Lizzy Caplan als Mutter Carol

»Hier unten hörst du nichts mehr«, sagt Mark (Antony Starr) zu seinem achtjährigen Sohn Peter (Woody Norman), bevor er das Licht im Keller löscht und die Tür am oberen Ende der hölzernen Stiege von außen abschließt. Peter beklagt sich nicht. Ich würde nicht einmal behaupten, dass er seine Eltern in diesem Moment bereits hasst oder sie gar töten will, trotzdem es auch in diesem Jahr für ihn wieder kein Halloween geben wird. Irgendwie scheint er sogar ein gewisses Verständnis für die Strafe, diesen »Hausarrest«, wie ihn sein Vater nennt, aufzubringen. Schließlich hat er unter anderem gegen die eiserne Regel der (noch) dreiköpfigen Familie verstoßen, sich an einen außenstehenden Menschen zu wenden. »HELP ME« ist auf der Zeichnung zu lesen, die er vor wenigen Tagen im Unterricht angefertigt hat. Außer diesen beiden Worten ist auf dem Bild er selbst zu erkennen, wie er ängstlich aus dem Fenster seines Zimmers blickt. Die neue Lehrerin, Miss Devine (Cleopatra Coleman), hatte sich daraufhin mitsamt der Zeichnung zu dem uralten Holzhaus der Familie auf den Weg gemacht und dort angeklopft. Peters Mutter öffnete ihr freundlich lächelnd.

Regisseur Samuel Bodin war bislang vor allem mit Horrorserien auf Netflix erfolgreich. Sein Spielfilmdebüt »Knock Knock Knock« heißt im Original »Cobweb«, was sich sowohl mit Spinnennetz übersetzen lässt, aber eben auch mit »leichte, dünne, wertlose Sache«. In der Tat enthält die Geschichte wenig echten Horror. Vor allem aber auch wirklich null Gags. Das überrascht, wenn man den Regisseur im Interview erlebt. Hier gibt Bodin, der in Frankreich aufgewachsen ist, unumwunden zu, von Halloween bis zu den Dreharbeiten absolut keinen Schimmer gehabt zu haben. Auf seine regelmäßige Frage, ob dieser oder jener Einfall realistisch sei oder kompletter Unfug, wäre von den Produzenten jedes Mal die Antwort gekommen: »Von beidem ein bisschen«. Diese Ahnungslosigkeit passt zu Peter, einem Charakter, der ohne den Kürbisquatsch aufwachsen muss.

Begründet wird die Verweigerung der Eltern mit einer schlimmen Geschichte aus der Nachbarschaft, die Jahre zurückliegt. Damals verschwand an Halloween ein Mädchen. Wie wird nun die Verbindung zwischen Peter und diesem früheren Drama hergestellt? Der deutsche Titel lässt es bereits erahnen: per Klopfzeichen. Anfangs stürmt Peter jedes Mal, wenn er nachts durch die unerklärlichen Geräusche geweckt wird, ins Schlafzimmer seiner Eltern. Seine Mutter nimmt ihn dann an die Hand und bringt ihn zurück ins Bett. Dann klopft sie wie ein Arzt die hölzerne Wand ab: nichts. »Na siehst du. Es ist eben ein altes Haus. Da gibt es manchmal solche Geräusche.«

Wir glauben selbstverständlich nicht, dass da nichts ist, obwohl »Cobweb« auch mit Hirngespinst übersetzt werden kann. Und wir glauben auch nicht, dass die Eltern nicht wissen, was da herumspukt. Denn wieso sonst haben sie noch nie renoviert? Sie sind doch sonst eine so ordentliche Familie. Bis zum Schluss nehmen sie jeden Abend gemeinsam eine warme Mahlzeit ein (ohne dass dabei ein Fernseher dudeln würde). Peter erhält sogar Klavierunterricht von seiner Mutter. Aber die Tapete in seinem Zimmer, bedruckt mit zahllosen kleinen Ballons, wirkt genauso alt und speckig wie die ganze Bude. Noch schlimmer sieht es um das Haus herum aus. Überall liegen verfaulte Kürbisse, und man fragt sich, wieso jemand, der von Halloween nichts wissen will, nichts anderes anzubauen scheint. Genauso wenig verstehen wir eine tiefe Schnittwunde, die der Vater plötzlich am Arm hat, als Peters Lehrerin ein zweites Mal dessen Elternhaus besucht.

Ihm ginge es schon lange nicht mehr darum, die Welten anderer zu interpretieren, hat Bodin vor einigen Jahren einmal gesagt, sondern nur noch darum, seine eigenen zu erschaffen. Das Resultat ist dieses Mal ein Film, der einerseits wenig Überraschendes bietet, doch andererseits immer wieder mit seiner Planlosigkeit überrascht. So erfahren wir auch bis zum Schluss nicht, warum Peter von seinem Vater den Auftrag bekommt, hinter dem Haus ein riesiges Loch für die fauligen Kürbisse auszuheben, obwohl es bereits eine leere Grube gibt. Wir wissen nur, dass diese Szene stark an »Knock Knock« mit Keanu Reeves erinnert, obwohl »Knock Knock« natürlich nichts mit »Knock Knock Knock« zu tun hat.

Bei den Kritikern in den USA sind übrigens beide übel durchgefallen.

»Knock Knock Knock«, Regie: Samuel Bodin, USA 2023, 89 Min., bereits angelaufen

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