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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 16 / Sport
Sportwetten

»Im großen Stil unterlaufen«

Über das Geschäftsgebaren der Sportwettenbranche. Ein Gespräch mit Thomas Schopf
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»Mir ist ein Fall bekannt, in dem jemand eine halbe Million Euro binnen zwei Jahren verzockt hat«

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe sollte Ihren Fall in Sachen Sportwetten am 2. Mai verhandeln. Schon seit Mitte April wird kolportiert, dass der Sportwettenanbieter Betano Ihrem Klienten, einem ehemaligen Zocker aus Sachsen, seine Verluste komplett zurückzahlen muss. Nun hat der Wettanbieter seinen Revisionsantrag kurzfristig zurückgezogen. Überraschend für Sie?

Überhaupt nicht überraschend, im Gegenteil ist das nach der Vorgeschichte in diesem Verfahren fast zu erwarten gewesen. Die Glücksspielanbieter wollen es offensichtlich lieber nicht auf eine BGH-Verhandlung ankommen lassen. Ursprünglich hätte es ein erstes Verfahren zum selben Thema vor dem BGH am 7. März dieses Jahres geben sollen. Nur haben beide Parteien zwei Tage vorher mitgeteilt, sich anderweitig zu einigen und dieses Verfahren ruhen zu lassen. Die Richter hatten sich also schon sehr intensiv mit der Materie beschäftigt, so dass es für unser Verfahren einen sogenannten Hinweisbeschluss mit eindeutiger Tendenz gab. Bereits das Oberlandesgericht Dresden hatte als erstes OLG bundesweit zugunsten unseres Klienten entschieden, worauf Betano beim BGH in Revision ging. Das ist diesem Anbieter, übrigens einer der Sponsoren der Fußball-EM 2024, nun auf die Füße gefallen. Dieses Urteil aus Dresden wird rechtskräftig, Betano muss dem Spieler seine kompletten Verluste in Höhe von rund 12.000 Euro, die er im Jahr 2018 verspielt hatte, plus Zinsen zurückzahlen.

Sie waren ohnehin davon ausgegangen, dass der BGH seinen Hinweisbeschluss in einem Urteil offiziell festschreiben wird. Worauf gründete dieser Optimismus?

Auf einer Position des Gerichts, die im April deutlich zu erkennen war. Bei den Casino- und Onlineautomatenspielen gibt es aufgrund von zahlreichen OLG-Entscheidungen bereits eine gefestigte Rechtsprechung, bei den Sportwetten war das bislang anders. Ausschlaggebend für die Lesart des Obersten Gerichts war nicht – wie anzunehmen – primär die Frage, ob der Sportwettenanbieter über eine gültige Lizenz verfügte oder nicht. Für das Gericht war entscheidend, ob sich ein Anbieter an die im ersten Glücksspielstaatsvertrag von 2012 formulierten Regeln hielt. Diese sahen für Onlinesportwetten grundsätzlich nur einen Einsatz von 1.000 Euro pro Monat vor und Livewetten nur auf Endergebnisse. Vor allem bei den Fußballwetten wurde dagegen massiv verstoßen; zum Beispiel, indem für ein einziges Bundesligaspiel bis zu 130 verschiedene Wetten angeboten wurden – unter anderem darauf, wer den nächsten Einwurf hat, wer den nächsten Freistoß oder Eckball. Die Regeln und Vorgaben wurden im großen Stil nicht eingehalten und inhaltlich komplett unterlaufen. Darum entschied der BGH nun auf die Rückabwicklung, was im Kern bedeutet: Betroffenen Spielern werden ihre Verluste mit Zinsen zurückerstattet.

Wird nun eine gewaltige Klagewelle folgen?

Zumindest sind jetzt die juristischen Voraussetzungen dafür geschaffen, und die Erfolgsaussichten sind groß. Mir sind Fälle bekannt, in denen jemand eine halbe Million Euro binnen zwei Jahren verzockt hat. Allein in unserer Kanzlei sind mehrere hundert Klagen anhängig. Insgesamt dürfte es schon jetzt über 10.000 Klagen geben, und es werden bestimmt noch mehr, wenn man bedenkt, dass zwischen 2012 und 2020 – als dank eines überarbeiteten Glücksspielstaatsvertrages erstmalig Lizenzen vergeben wurden – de facto sämtliche Anbieter gegen die Regeln verstoßen haben. Deshalb besagt dieses Urteil auch, dass diese Unternehmen selbst dann, wenn es schon vor 2020 Lizenzen gegeben hätte, wegen ihres Geschäftsgebarens garantiert keine bekommen hätten.

Etwa fünf Prozent der Menschen hierzulande beteiligen sich an Sportwetten. Welche Wirkung hat das inzwischen rechtskräftige Urteil auf die Wettanbieter, die nach offiziellen Angaben 2022 einen Jahresumsatz von 8,2 Milliarden Euro erzielten?

Ich bin selbst sehr gespannt, was das mit den Anbietern macht. Einige werden sich sehr wahrscheinlich vom deutschen Markt verabschieden und ins Ausland zurückziehen, um ihr Geschäft illegal weiterzubetreiben. Andere werden, falls sämtliche laufende Verfahren gegen sie vollstreckt werden, in existentielle Schwierigkeiten geraten. Die größten Anbieter von den derzeit etwa 30 am Markt tätigen werden die Rückzahlungen verschmerzen und sich vielleicht sagen, dass damit eine Art von »Marktbereinigung« und Konsolidierung einhergeht.

An der allgegenwärtigen Werbung für Sportwetten, vornehmlich in der TV-Sportberichterstattung, wird sich wohl wenig ändern.

Vorläufig ist davon nicht auszugehen, und das ist besonders bedenklich, wenn man weiß, dass wir hier vor allem auch über Spielsucht sprechen und über die teuersten Werbeplätze und Werbeflächen, die es überhaupt gibt. Doch wir haben noch ganz andere Problemzonen. Das monatliche Limit für Einsätze wurde leider nur für Onlinesportwetten gedeckelt. Bei den sogenannten Wettbüros vor Ort dürfen in Bargeld die höchsten Summen verspielt werden. Dies ist eine der Gesetzeslücken, die zur Geldwäsche regelrecht einladen.

Thomas Schopf ist einer von drei Rechtsanwälten der Kanzlei HFS in Ludwigsburg, die sich seit 2021 auf Sportwetten spezialisiert hat

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