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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Akademische Schleifspuren

Lau bis vermessen: Kobi Libiis Spielfilm »The American Society of Magical Negroes«
Von Manfred Hermes
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Naturtalent zur Helferfigur? Justice Smith in der unsichtbaren Loge der Schutzengel

Für die momentane kulturelle Situation des globalen Nordens ist bezeichnend, wie sehr Theorien, die seit den 1980er Jahren akademisch zunehmend relevant wurden, gleichsam in den Volksmund diffundiert und dann auch zur Basis vieler Totschlagargumente geworden sind. In diesem Sinn führt auch der Topos (die »trope«) des »Magical Negro« akademische Schleifspuren mit sich. Er lässt sich wie folgt skizzieren: In bestimmten (meist US-amerikanischen) Spielfilmen oder TV-Serien kommen Schwarze nur als Helferfigur vor. Sie haben die eine Funktion, weiße Protagonisten bei der Charakterbildung zu unterstützen, und sei es nur, um sie etwas weniger rassistisch erscheinen zu lassen.

Der »Magical Negro« ist keine Figur vollen Umfangs, der Wert entsteht rein aus dieser Besitzdienerschaft weißer Interessen. Nett und ständig um gutes Wetter bemüht, will er die »weiße Wut« brechen, denn tritt die erst hervor, dann richtet sie schlimme Schäden an, vor allem an Menschen mit einer dunklen Hautfarbe. Vor einem Vierteljahrhundert hat Spike Lee Filme wie »Die Legende von Bagger Vance« (2000) oder »The Green Mile« (1999) als Beispiele für Magical-Negro-Aufstellungen angeführt. Noch Cleverere haben das Genre auch in Barak Obamas Präsidentschaft wirksam gesehen.

Einfältiger Ernst

Es sind mithin starke Setzungen, die Kobi Libii in »The American Society of Magical Negroes« ins Spiel bringt. Ein junger, so eigenwilliger wie unterwürfiger Künstler (Justice Smith) wird von Roger (David Alan Grier) als »MN«-Naturtalent erkannt und in die titelgebende »Society« eingeführt. Dort trifft er auf eine Gruppe gleichartiger Menschen, die es als ihre gesellschaftliche Aufgabe sehen, die erwähnten Schutzengelfunktionen zu übernehmen. Da sie auch zaubern können, mischen sich hier die Sphären von Superheldentum und Harry Potter.

Aber schneller als einem lieb ist, zerschellt das satirische Versprechen an der Einfältigkeit allzu ernst vorgetragener Anliegen. Denn je länger es dahingeht, desto häufiger stößt man auf Dialogzeilen wie diese: »Wenn wir Freunde wären, dann würdest du meiner Wirklichkeit Raum geben, dass dieses Land, in dem ich lebe, mir immer nur das Gefühl gegeben hat, es würde mich lieber tot sehen.«

Das Blöde ist nur: Libii muss hier auf einem Status quo ante als Arbeitsgrundlage beharren. Das teilt er mit dem politisierten Teil der Generation Z, die immer um so gellender auftritt, je offener die Türen sind, gegen die andoziert wird. Die USA werden als eine »pauschale, heimtückische Kultur« verstanden, deren (rassistische) Schändlichkeit letztlich unhintergehbar ist.

Als hätte sich seit »Jim Crow« oder den Bürgerrechtsbewegungen gar nichts verändert. Als gäbe es schwarze Figuren in Filmen immer noch ausschließlich und »systemisch« in »tokenistischer« Missrepräsentation. Und als gäbe es im Gegenteil gerade die Kritiken der Stereotype und Karikaturen selbst nicht längst als Gegenstand in Filmen und Serien, und zwar insgesamt mit großem sozialpolitischen Gewinn. Für Libii ist es aber bequem, regressiv zu reden, wirkt sein Film dann doch so, als sei der magische Bann erst durch ihn gebrochen worden.

Witzig verlogen wirkt auch eine weitere Intervention. Den Presseaussendungen zu seinem Film ließ der Regisseur ein überaus redseliges Pamphlet beilegen, voll mit anprangernder Prosa und vielen persönlich geprägten Sätzen des Grauens, die von Unrecht, Unterdrückung und gesellschaftlich erzwungenen Anpassungsleistungen sprechen (»dass ich als Schwarzer nicht das Gefühl hatte, ich selbst sein zu dürfen«).

Es ist aber nicht nur, dass pompös auf Echtheit und Wahrhaftigkeit plädierende Formen der Naivität von einem internationalen Filmvertrieb wie Universal Pictures verbreitet werden. Das wäre eben der witzige Teil. Es verhält sich hier aber eher so, dass dieses Klagen auf eine Weise selbstsicher und selbstgerecht vorgetragen wird, in der ein »Middle Class«-hafter Habitus von Anspruchsberechtigung kaum zu überhören ist. Und das wäre hier der unangenehme und verlogene Teil.

Übrigens entsprechen Libiis Vehemenz und Wut keiner sonstigen Errungenschaft. Sein Film ist ästhetisch unbefriedigend, dramaturgisch konventionell und von einer Stumpfheit, die an Produktionen der 80er Jahre erinnert. Da er ihn aber so stark mit einem Black-Lives-Matter-Impetus aufgeblasen hat, könnte man nun annehmen, dass er die Filmkritik damit in ein großes Wohlwollen gezwungen hätte. Doch nein. Auf »imdb.com«, wo noch jeder Scheiß mindestens sieben Punkte (von zehn) erhält, hat es »Magical Negro« gerade einmal auf 2,8 gebracht. Auf »Rotten Tomatoes« läpperte sich die Profizustimmung immerhin auf 28 Prozent. Die Rezension in unserem Konkurrenzblatt New York Times konnte sich auch nur mit einer lauwarmen Inhaltsangabe über Wasser halten und sparte sich künstlerische Einwände bis zum letzten Absatz auf.

»The American Society of Magical Negroes«, Regie: Kobi Libii, USA/Dänemark 2024, 104 Min., bereits angelaufen

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