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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 5 / Inland
Vonovia

Deal mit Skandalkonzern

Berlin kauft für 700 Millionen Euro Wohnungen von Vonovia zurück. Börsenspekulanten macht der Schritt zufrieden
Von Philip Tassev
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Unter dem Strich bleibt der Rückkauf ein Verlustgeschäft: Vonovia-Wohnhaus in Berlin

In Berlin herrscht bekanntlich ein gravierender Mangel an bezahlbarem Wohnraum: Unter beinahe jeder Brücke kampieren Obdachlose, überbelegte Wohngemeinschaften sind keine Seltenheit, arbeitsplatznahes Wohnen ist für viele ein unerreichbarer Traum, tägliche stundenlange Pendelei von den Rändern ins Zentrum unabdingbar. In diesem Umfeld florieren Mietwucher, Betrug und Abzocke. Daran wird auch der neueste Vonovia-Deal nichts ändern. Für rund 700 Millionen Euro kauft die Berliner kommunale Immobilienholding Howoge dem Bochumer Konzern 4.495 Wohnungen mitsamt den dazugehörigen Grundstücken ab, und gemeinsam mit der ebenfalls landeseigenen Wohnungsgesellschaft Berlinovo 6,9 Hektar Baufläche, plus einige Hektar Grün- und Ausgleichsfläche.

Der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Kai Wegner (CDU), sieht darin »einen großen Schritt« in Richtung »bezahlbare Mieten«, wie er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz sagte. Er bedankte sich außerdem bei dem Immobilienkonzern für das Kaufangebot. Dessen Vorstandschef Rolf Buch feierte den Deal ebenso als »Erfolg«. Ziel von Vonovia sei es, »in diesem Jahr Verkäufe mit einem Volumen von drei Milliarden Euro« umzusetzen. Der Manager hat allen Grund zur Freude, denn das Land Berlin nimmt dem Konzern die Wohnungen zum Buchwert ab, also dem Wert, der in der Firmenbilanz angegeben wird. Dem Handelsblatt zufolge fürchteten viele Investoren, die Wohnkonzerne müssten angesichts der sinkenden Immobilienpreise beim Verkauf ihrer Bestände deutliche Preiseinbußen hinnehmen.

Der Immobilienbesitz von Vonovia hat im Laufe der letzten zwei Jahre einen Wertverlust von mehr als 14 Prozent verzeichnet. Um seinen Expansionskurs zu finanzieren, wie etwa 2021 die Übernahme des Konkurrenten Deutsche Wohnen, hatte der Konzern im vergangenen Jahrzehnt hohe Kredite aufgenommen, was mit dem Ansteigen der Zinsen und den sinkenden Preisen für Immobilien zu einem Problem wurde. Für die Stadt Berlin und die Steuerzahler ist der Deal unter dem Strich ein Verlustgeschäft. Wie eine Sprecherin der Howoge der Berliner Zeitung vom Freitag mitteilte, waren die Wohnungen 1997 im Zuge der Privatisierungsorgie nach der Annektion der DDR in »verschiedene private Hände« verkauft worden. Zum damaligen Kaufpreis wollte oder konnte sie sich zwar nicht äußern, die Berliner Zeitung nannte aber, gestützt auf eine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2000, die Summe von 183 Millionen D-Mark, oder umgerechnet etwa 94 Millionen Euro, die die Howoge bis zu diesem Zeitpunkt durch den Verkauf von 4.400 Wohnungen eingenommen habe.

Die Bürgerinitiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« kritisierte denn auch das Geschäft mit deutlichen Worten: »Anstatt Vonovia 5.000 Wohnungen zu aufgeblähten Spekulationspreisen abzukaufen, sollte die Regierung lieber den erfolgreichen Volksentscheid umsetzen und diesen Skandalkonzern enteignen. Vergesellschaftung bleibt der beste Deal für Berlin!«, schrieben die Organisatoren des Volksentscheids, bei dem im September 2021 in Berlin 59,1 Prozent für eine Vergesellschaftung profitorientierter Immobilienkonzerne stimmten, beim Kurzmitteilungsdienst X.

Eine solche Vergesellschaftung hatte Bürgermeister Wegner erst kürzlich ausdrücklich abgelehnt: »Mit mir als Regierendem Bürgermeister wird es Enteignungen von Wohnungsunternehmen in dieser Stadt nicht geben«, soll er am Dienstag laut Tagesspiegel auf einer Veranstaltung gesagt haben.

An der Börse ist man mit dem Deal sehr zufrieden, wie dpa berichtete, stufte Neil Green von J.-P.-Morgan-B die Vonovia-Aktie als »Overweight« ein, was eine zumindest indirekte Kaufempfehlung beinhaltet. Der deutsche Wohnungsmarkt stehe auf »solidem Fundament«, denn die Nachfrage übertreffe das Angebot, woraus »rekordniedrige« Leerstandsquoten und steigende Mieteinnahmen folgten. Charles Boissier von der schweizerischen Bank UBS sieht in dem Verkauf eine »optimale Maßnahme für das Immobilienunternehmen« mit einem guten Preis und einer »steuereffizienten« Gestaltung. Jonathan Kownator von Goldman Sachs hält die 700 Millionen Euro für einen »fairen Wert«. So geht kapitalistenfreundliche Rekommunalisierung von Wohnraum.

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