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Aus: Ausgabe vom 27.04.2024, Seite 7 / Ausland
Nordafrika

Geeinter Maghreb

Algerien, Tunesien und Libyen beleben Unionsplan neu. Marokko bleibt wegen Westsahara-Besetzung und Bündnis mit Israel außen vor
Von Sabine Kebir
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Wollen alten Traum verwirklichen: Die Staatschefs der neuen Maghrebunion (Tunis, 22.4.2024)

Noch im Dezember hatte der algerische Außenminister Ahmed Attaf gegenüber Al-Dschasira erklärt, dass das Projekt der Union des Arabischen Maghreb (UAM) auf Eis liege, aber der Traum davon niemals zerstört werden könne. Am Montag wurde die UAM nun wiederbelebt. In Tunis trafen sich allerdings nur die Präsidenten von Tunesien und Algerien, Kaïs Saïed und Abdelmadjid Tebboune, sowie Mohammed Junus Al-Menfi, der Präsident des libyschen Präsidialrats, um die bislang lediglich »bilateralen Beziehungen auf ein höheres Niveau« zu heben.

»Sicherheit, Stabilität und Entwicklung in der ganzen Region« sollen koordiniert und »Resilienzen gegen die fortwährenden Krisen in der Region« entwickelt werden, weil sie »ein Land allein nicht bewältigen« könne. Auf der internationalen Bühne eine gemeinsame Stimme hörbar zu machen sei nötig, »um die Region vor jeglicher Achsenpolitik und ausländischem Einfluss zu schützen«. Arbeitsgruppen wurden gebildet zu den Krisen in Sudan, Palästina, im Sahel sowie zur koordinierten Bekämpfung illegalisierter Migration und des organisierten Verbrechens. Zum Ende der Konsultationen am Mittwoch beschloss die neue UAM auch eine gemeinsame Verwaltung des riesigen, unter der Sahara liegenden Wasserreservoirs, was die Bewirtschaftung preiswerter und krisenfester macht.

Ganz oben auf der Agenda soll die eingefrorene Dauerkrise des faktisch zweigeteilten Libyen gestanden haben. Obwohl die von Generalmarschall Khalifa Haftar kontrollierte Cyrenaika sicher eine neue UAM befürwortet, war in Tunis nur Tripolitanien vertreten. Weil sich beide Teilregierungen immer noch nicht auf das Abhalten von Wahlen einigen konnten, hatte am 16. April wieder einmal ein UN-Beauftragter für Libyen, der Senegalese Abdulaye Bathily, das Handtuch geworfen. Dass Marokko auch wegen seiner diplomatischen Beziehungen zu Israel kein Mitglied der neuen UAM wurde, ist nachvollziehbar.

Schon in den fünfziger Jahren, als Tunesien und Marokko unabhängig wurden, Algerien aber noch seinen Befreiungskrieg führte, war der Traum einer Maghrebunion entstanden. Nach der Brechung des kolonialen Jochs waren keine Konflikte zwischen diesen Ländern vorstellbar. Schnell würde man zu einer Wirtschaftsgemeinschaft werden. Zu ersten Vorbereitungen für die UAM kam es 1964. Sie kam nicht zustande, weil Marokko und Tunesien zur Einflusssphäre der USA gehörten. Algerien hatte enge Beziehungen zur Sowjetunion. 1988 kam es zum nachdrücklichen Versuch, die regionalen Lähmungen der Blockkonfrontation zu überwinden. Zuvor hatten sich US-amerikanische Diplomaten fieberhaft bemüht, die Gründung der UAM zu verhindern. Aber besonders auf Drängen des libyschen Revolutionsführers Muammar Al-Ghaddafi wurde in Rabat das Vertragsdokument unterzeichnet. Außer Algerien, Marokko und Tunesien traten auch Libyen und Mauretanien bei.

Die Achillesferse der UAM war die seit 1975 von Marokko völkerrechtswidrig besetzte Westsahara. Aber der marokkanische König Hassan II. machte der von Algerien unterstützten Befreiungsfront Polisario an der Wende zu den 1990er Jahren scheinbar seriöse Versprechungen, den Konflikt zu lösen. Vier Jahre war die Grenze zwischen Algerien und Marokko offen. Über ein Jahrzehnt lang machte jedoch der algerische Bürgerkrieg die Hoffnung auf die UAM zunichte, 2011 dann der vom Westen herbeigeführte Zusammenbruch Libyens. Aber auch die vom Westen geduldete wirtschaftliche Erschließung der Westsahara durch Marokko blieb ein unüberwindliches Hindernis. Nur die sich kulturell nahestehenden Bevölkerungen wünschten sich weiter eine Union. Weil man sich des starken gemeinsamen berberischen Erbes bewusster geworden war, träumten die Medien nun nicht mehr vom »Arabischen«, sondern vom »Großen Maghreb«.

Warum Mauretanien nun fernblieb, ist ein Rätsel. Präsident Mohammed Ould Ghazouani hatte im Februar in Tindouf, dem algerischen Stützpunkt der Polisario, eine Fernstraße nach Zouérat in Mauretanien eröffnet und nahm im März in Algier an einer Konferenz erdölexportierender Länder teil. Er will wohl das Verhältnis zu Marokko nicht überstrapazieren.

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