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Aus: Ausgabe vom 26.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Kurdistan-Konflikt

»Niemand kann uns zum Verstummen bringen«

Razzia bei kurdischen Sendern: Belgien macht sich zum Gehilfen der türkischen Rechtsregierung. Gespräch mit Amed Dicle
Von Tim Krüger
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Arbeitsmaterial zerstört: Die Redaktionsräume nach der Razzia der belgischen Polizei (Denderleeuw, 23.4.2024)

Sie waren vor Ort, als die belgische Polizei in der Nacht zum Dienstag die Studios der kurdischen Fernsehsender Stêrk TV und Medya Haber durchsucht hat. Was ist passiert?

Um 1.30 Uhr in der Nacht hat die belgische Polizei unsere Räumlichkeiten überfallen. Das war keine Durchsuchung, sondern ein direkter Angriff. Sie haben viele unserer Geräte und Materialien vollständig zerstört oder schwer beschädigt. Auch wurden zahlreiche Dinge beschlagnahmt. Noch beim Verlassen des Gebäudes haben die Beamten unsere Kabel durchtrennt, und auch die Bildschirme für den Livestream wurden zerschlagen. Für eine Durchsuchung hätten sie unsere Anwälte oder die Vertreter unserer Produktionsfirma informieren müssen. Doch während der gesamten Aktion wurde niemand reingelassen. Die Polizei hat nicht zugelassen, dass sie unter der Aufsicht der Verantwortlichen und unserer Anwälte stattfindet.

Hat man Ihnen den Grund der Durchsuchung mitgeteilt oder ihnen den Durchsuchungsbeschluss ausgehändigt?

Bis jetzt ist uns die Polizei eine Erklärung schuldig geblieben. Auch ein offizieller Bescheid wurde uns nicht ausgehändigt. Das einzige, was sie uns mitgeteilt haben, ist, dass sie auf Geheiß der Staatsanwaltschaft gekommen seien und uns jetzt durchsuchen würden.

In der Türkei wurden am gleichen Tag oppositionelle Journalisten verhaftet. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Während unser Studio angegriffen wurde, hat die türkische Polizei gleichzeitig neun Journalisten festnehmen lassen. Das ist garantiert kein Zufall. Wir kennen das von früher. Wann immer in Europa gegen die kurdischen Medien vorgegangen wird, stecken dreckige Deals mit dem türkischen Staat dahinter. Früher haben sie dasselbe mit Roj TV gemacht, jetzt wollen sie es auch mit Stêrk TV und Medya Haber machen. Erst vor kurzem hat sich (der türkische Außenamtschef; jW) Hakan Fidan mit dem belgischen Außenminister getroffen. Die türkische Regierung unternimmt immense diplomatische Anstrengungen, um kurdische Einrichtungen in Europa zu kriminalisieren. Für die Türkei sind die Kurden immer Verhandlungsmasse, und die europäischen Staaten, die sich demokratisch nennen, machen sich selbst zu den Gehilfen eines faschistischen Regimes.

Befürchten Sie, dass man wie 2010 wieder mit Verboten gegen Ihre Medienhäuser vorgehen könnte?

Dutzende unserer Kollegen wurden ermordet, und Hunderte kurdische Journalisten sitzen heute in den Gefängnissen. Bei uns arbeiten viele Kollegen aus Nordkurdistan und der Türkei, die in den vergangenen Jahren aufgrund der Repression das Land verlassen mussten. Nun müssen sie in Belgien dieselbe Behandlung über sich ergehen lassen. Das ist besonders für Belgien eine Schande. Wir haben nichts zu verbergen, unsere Tätigkeit ist völlig transparent und offen. Wer will, kann selbst vorbeikommen und einen Blick auf unsere Arbeit werfen. Wer aber glaubt, er könne uns einfach zum Schweigen bringen, der irrt sich. Niemand kann die Stimme der kurdischen Journalisten zum Verstummen bringen.

Ich denke, es ist kein Zufall, dass sie nun genau zu einer Zeit, in der die Türkei ihre Angriffe in Südkurdistan und Rojava ausweitet, versuchen uns zum Schweigen zu bringen. Dieser Angriff wurde auf Wunsch des Erdoğan-Regimes durchgeführt. Wir werden unsere Arbeiten im Rahmen der Gesetze fortsetzen, aber alle sollten wissen, dass es, wenn wir dieses Vorgehen so durchgehen lassen, zwar heute die kurdischen Medien sind, die es trifft, aber morgen schon wird es die europäische Presse sein.

Amed Dicle ist ein ehemaliger Journalist des 2010 verbotenen Fernsehsenders Roj TV und heute Mitarbeiter bei Stêrk TV und Medya Haber

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