4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 8 / Ansichten

Unter Rechten wildern

Britanniens Abschiebepolitik
Von Christian Bunke
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Premierminister Rishi Sunak »verspricht«, dass die ersten Abschiebeflüge nach Ruanda im Juli stattfinden werden

Die ökologische, soziale und wirtschaftliche Weltkrise des kapitalistischen Systems lässt die Regierungen der ökonomisch mächtigen Nationalstaaten alle reaktionären Karten ausspielen, derer sie habhaft werden können. So beschloss am Montag das britische Unterhaus ein neues Gesetz, welches die Abschiebung von per Schlauchboot in Großbritannien landenden Asylsuchenden nach Ruanda ermöglichen wird. Nur der König muss noch unterschreiben, dann tritt es in Kraft. Premierminister Rishi Sunak verspricht die ersten Flüge nach Ruanda im Juli.

Die oppositionelle Labour-Partei kritisiert das neue Gesetz scharf. Aber nicht, weil es ein extrem rechtes »Ausländer raus«-Gesetz ist, sondern weil in der Folge nach Meinung der vielleicht künftigen sozialdemokratischen Innenministerin Yvette Cooper die Asylsuchenden zu ineffizient und zu kostspielig außer Landes geschafft werden. Anstatt unnützer Flüge nach Ruanda brauche es eine weitere Militarisierung britischer Küstenstreifen, stärkere Zusammenarbeit mit europäischen Repressionsbehörden und eine Verschärfung der Kriminalisierung gegen »illegal« einreisende Migrantinnen und Migranten, so Cooper am Montag in der Tageszeitung The Telegraph.

Sowohl den regierenden Tories als auch den Sozialdemokraten geht es um Wahlkampf. Im Sommer oder Herbst könnten in Großbritannien Wahlen zum britischen Unterhaus stattfinden. Premier Sunak wünscht sich aus diesem Anlass wahlkampftaugliche Bilder von Flugzeugen, die Flüchtlinge in den Sonnenuntergang transportieren. Labour kontert dies mit dem Versuch, sich als »vernünftige« Regierung zu präsentieren, die dem Wahlvolk zeigt, wie massenhaftes Abschieben wirklich funktioniert und zielt hier explizit auf konservative Wählerschichten ab. Das zeigt sich auch daran, dass Yvette Cooper ihre skizzierten Vorschläge ausgerechnet im Telegraph unterbrachte, der gilt in Großbritannien als die inoffizielle Hauszeitung der Tories. Somit ist klar, wo Labour hier wildert.

Abseits des Wahlkampfgetöses wird erkennbar, wie Nationalstaaten und geopolitische Machtblöcke in den kommenden Jahren gegen die von Hunger, Krieg und ökologischer Katastrophe schutzsuchenden Menschen aus der neokolonialen Welt vorgehen wollen. Die EU hat ihre Variante der Ruanda-Flüge im Rahmen des jüngst vom EU-Parlament abgesegneten »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems«, diese »Reform« des Asylrechts sieht unter anderem die massenhafte Inhaftierung von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen vor. Auch hier spielt Wahlkampf eine Rolle. Nationalkonservativen und faschistischen Parteien wie der AfD will die bürgerliche »Mitte« zeigen, dass die organisierte Menschenfeindlichkeit bei ihnen bereits zu Hause, eine Wählerabwanderung somit gar nicht nötig ist. Bürgerliche Politik ist in Krisenzeiten ein immer offener zutage tretender Karneval der Abscheulichkeiten.

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  • Leserbrief von Hans Schoenefeldt aus Berlin (24. April 2024 um 14:25 Uhr)
    Wer auch immer in der britischen Regierung auf die Idee gekommen ist, Geflüchtete in Ruanda auszusetzen, wird – da bin ich mir sicher – an Australien gedacht haben. Nach langen und verlustreichen Kämpfen musste die britische Krone 1783 die Unabhängigkeit ihrer nordamerikanischen Kolonien akzeptieren. Ein herber Verlust für das britische Empire. Die koloniale Präsenz war futsch. Mehr noch: bis dahin hatte das englische Königreich Strafgefangene mit langen Haftstrafen und einem anschließenden Landesverweis nach Nordamerika abgeschoben. Das ging nun nicht mehr. Auf der Suche nach Ersatz griff man eine Idee von James Cook auf, der als Entdecker des heutigen fünften Erdteils gilt. Auf ausrangierten Schiffen wurden insgesamt 162.000 Gefangene in Australien ausgesetzt. Dies zu den historischen Fakten. Nun bin ich weit entfernt davon, die damaligen Strafgefangenen mit den armen Geflüchteten von heute zu vergleichen. Aber die koloniale Denkweise der Nachfolger des britischen Weltreichs ist Gegenwart. Sie zeigt genau so wie Christian Bunke es in seinem Kommentar ausdrückt, nämlich wie »Nationalstaaten und geopolitische Machtblöcke gegen die von Hunger, Krieg und ökologischer Katastrophe schutzsuchenden Menschen aus der neokolonialen Welt vorgehen wollen«. Man muss nicht bis drei zählen können, um zu wissen, dass die Regierung mit diesem Vorgehen Sympathiepluspunkte angesichts der bevorstehenden Unterhauswahlen erzielen will. Und die Regierung in Ruanda? Das UN-Flüchtlingswerk berichtet über außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Todesfälle in der Haft im ostafrikanischen Land, das seit 24 Jahren von Paul Kagame regiert wird. Sein Willkommengruß ist gut gefüttert. Umgerechnet fließen ca. 580 Millionen Euro in seine Staatskasse. Ob dieses Geld einer menschengrechten Ausstattung für die neuen Mitbürger zugute kommt, darf bezweifelt werden. Hans Schoenefeldt
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (24. April 2024 um 10:34 Uhr)
    Absurditäten der Tories: Die konservative Regierung unter Boris Johnson hatte zur Eindämmung dieses Phänomens eine Initiative ins Leben gerufen, die in vielen westeuropäischen Ländern mit großem Interesse verfolgt wird. London stuft sämtliche Bootsankömmlinge als »illegale Einwanderer« ein, egal ob es sich um politische Flüchtlinge oder Wirtschaftsmigranten handelt. Ihnen wird kein Bleiberecht gewährt. Stattdessen wird das Asylverfahren nach Ruanda ausgelagert, wobei dieses Land als britischer Rettungsanker fungiert: In dem 6.600 Kilometer entfernten zentralafrikanischen Staat können sich Migranten um Asyl bewerben, jedoch ist eine Rückkehr nach Großbritannien nahezu ausgeschlossen, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen. Eine »Ruanda-Sicherheitsvorlage« erklärt Ruanda per Dekret zu einem sicheren Drittland, und die Gerichte sind verpflichtet, sich an diese Vorgabe zu halten. Damit wird die Möglichkeit, den Abschiebeplan gerichtlich anzufechten, praktisch zunichtegemacht. Der Regierungschef zeigt keinerlei Bereitschaft, sich von heimischen Gerichten oder gar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR reinreden zu lassen. Sunak begründet dies damit, dass der EGMR ein ausländisches Gericht sei, da es seinen Sitz in Straßburg hat. Die teure Asylpolitik stößt bei den Steuerzahlern auf wenig Gegenliebe, aber wen kümmert das schon? Sunak, der als Finanzminister zunächst gegen die kostspieligen Pläne war, sieht sich nun gezwungen, den rechten Flügel seiner Fraktion zu besänftigen, um noch einige Monate im Amt bleiben zu können. Ein Wahlsieg der Labour-Partei könnte dem Spuk erst ein Ende setzen.
  • Leserbrief von Holger (23. April 2024 um 20:55 Uhr)
    Na ja, es geht hier wohl weniger um Ausländerfeindlichkeit, die man GB nun wirklich nicht nachsagen kann (im Vergleich zu Deutschland). Aber es geht um Abschreckung. Wer unbedingt denkt, sein Leben in einem schlapperigen Schlauchboot riskieren zu müssen, der sollte es lieber bleiben lassen, denn sonst landet er ohnehin in Ruanda. So zumindest der Grundgedanke. Und ich denke schon, dass man zwischen in ihren Heimatländern verfolgten Asylsuchenden und einfachen Wirtschaftsmigranten unterscheiden sollte. Letztere kann Europa beim besten Willen nicht alle aufnehmen. GB hat dabei das »Glück«, eine Insel zu sein. Da geht das mit der Abschottung einfacher. Es kann aber nicht sein, dass die Menschen sich dann alle an der französischen Küste stauen, um irgendwie rüberzukommen oder bei dem Versuch ertrinken. Es soll sich herumsprechen, dass das sinnlos ist. So gesehen rettet das Gesetz Menschenleben.

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