4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 23.04.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
CO2-Emissionen

Hauptklimasünder Militär?

Erderwärmung durch Krieg? Annäherungen an die Frage, in welchem Maße Kriegsgerät Kohlendioxid emittiert
Von Wolfgang Pomrehn
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Gepanzerte Kohlendioxidschleuder »Leopard«? Sicher, so wie jedes Gerät, dass sich per Verbrennungsmotor fortbewegt

Als 1997 in Japans alter Kaiserstadt Kyoto nach äußerst zähen Verhandlungen und mit zwei Jahren Verzögerung das erste Klimaschutzprotokoll unterzeichnet wurde, wurden Treibhausgasemissionen des Militärs ausdrücklich ausgeklammert. Das war sicherlich ganz im Sinne der mit Abstand größten Militärmacht der Welt, der USA, deren Chefunterhändler Al Gore sich seinerzeit mächtig ins Zeug gelegt hatte, um dem Vertrag die Zähne zu ziehen. Der Klimaschutz sollte heruntergekocht werden, so dass er dem US-Parlament gerade noch verdaulich erscheinen würde. Die Mühe war indes vergebens, die USA traten dem Abkommen nie bei.

Inzwischen ist das Kyoto-Protokoll längst Geschichte. An seine Stelle sind 2015 freiwillige Selbstverpflichtungen der Staaten getreten. Allerdings hält sich seitdem die Ansicht, die Militärs dieser Welt seien vom Klimaschutz und den entsprechenden Bilanzen ausgeklammert. Wahr ist daran, dass sich für die Staaten Klimaschutz in diesem Bereich verbietet, solange er die Schlagkraft der eigenen Truppe verringert. In Teilen der Friedensbewegung, hier wie andernorts, wird daraus mitunter der Schluss gezogen, das Militär sei der größte Klimasünder. Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht, seinerzeit noch Mitglied der Partei Die Linke, spitzte dies im vergangenen Jahr auf einer Kundgebung in Berlin zu, indem sie jungen Klimaschützern zurief, das US-Militär sei die größte Bedrohung für das Klima, und sie sollten sich doch lieber dagegen als gegen die deutsche Industrie wenden. Das war natürlich nicht besonders weise, wenn man wohlwollend unterstellt, Wagenknecht sei es um die Herstellung eines politischen Bündnisses gegangen. Doch das soll hier nicht weiter bewertet, sondern vielmehr ein Blick auf die nackten Daten und Fakten gerichtet werden.

In ihrem regelmäßigen Bericht an das Sekretariat der UN-Klimaschutzrahmenkonvention über die Treibhausgasemissionen gibt die Bundesregierung den Ausstoß des deutschen Militärs für 2018 mit 282.000 Tonnen CO2-Äquivalente an. 2019 waren es 482.000 und 2020 373.000 Tonnen CO2-Äquivalente. Hauptbestandteil sind die Emissionen von Fahr- und Flugzeugen, sowie Ausgasungen der Kraftstoffe, bevor sie genutzt werden können. Hinzu kommen noch sehr geringfügige Mengen aus der Nutzung von Dieselaggregaten und ähnlichem. In diesen Zahlen sind auch die Emissionen von Methan und anderen Treibhausgasen enthalten, die entsprechend ihrer Klimawirksamkeit in CO2-Äquivalente umgerechnet werden.

Nicht enthalten sind in diesen Daten allerdings die Emissionen, die in den verschiedenen Kriegen Deutschlands in den vergangenen drei Jahrzehnten entstanden oder durch Truppenstationierung im Ausland verursacht wurden. In der Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, seinerzeit noch von der Linkspartei, heute Bündnis Sahra Wagenknecht, beruft sich die Bundesregierung auf das in den Klimaschutzverträgen vorgesehene Territorialprinzip. Das hieße, so die Antwort der Regierung, die Emissionen würden innerhalb von Staatsgrenzen erfasst und den jeweiligen Staaten zugeordnet. Oder mit anderen Worten: Wenn Deutschland Jugoslawien, die USA den Irak oder Russland die Ukraine überfällt, dann sind die dabei entstehenden Emissionen Angelegenheiten der gebeutelten Länder.

Das ist zwar moralisch verwerflich, wie manches Andere in der internationalen Klimadiplomatie. Aber es ist noch kein Grund, in der Bundeswehr einen Hauptklimasünder zu sehen. Deren Emissionen machen nur einen winzigen Bruchteil der Gesamtmenge an von Deutschland im Inland verursachten Treibhausgasen aus, die zwischen 2018 und 2020 jeweils 731 bis 846 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente betrug.

Und wie sieht es mit dem US-Militär aus? Das verbraucht sowohl im Inland als auf seinen diversen Stützpunkten in aller Welt jährlich »über 100 Millionen Barrel Öl« schrieb 2014 die US-amerikanische Union of Concerned Scientists (UCS) unter Berufung auf Angaben der Washingtoner Regierung. In diesen Angaben waren auch die seinerzeit noch anhaltenden Kriege im Irak und in Afghanistan inbegriffen. Die UCS ist ein Verband von Naturwissenschaftlern, der sich seit Jahrzehnten für Frieden und Umweltschutz einsetzt. 2010 sprach Sharon Burke, Chefin des seinerzeit neu eingerichteten Energiebüros im US-Verteidigungsministerium von 120 Millionen Barrel Öl, die jährlich verbraucht würden.

Wie vielen Treibhausgasemissionen entspricht das? Bei der Verbrennung des Kraftstoffs, der aus 100 Millionen Barrel Öl – ein Barrel ist ein 159-Liter-Fass – hergestellt werden kann, entstehen – konservativ gerechnet – knapp 50 Millionen Tonnen CO2. Hinzu kommen noch die Treibhausgase, die beim Transport und vor allem der Förderung freigesetzt werden. Nach einer im September 2023 im Fachblatt Nature Communications veröffentlichten Studie wären das noch einmal gut fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, wenn der globale Mittelwert zugrunde gelegt wird. Faktisch kommt es aber darauf an, woher das Rohöl bezogen wird, denn die Emissionen der Ölfelder weichen sehr stark voneinander ab. In Mexiko, Venezuela und insbesondere Kolumbien sind sie sehr hoch, in Großbritannien, den USA und Norwegen noch immer etwas überdurchschnittlich und in den Ländern rund um den Persischen Golf am niedrigsten. Doch das nur nebenbei. Das US-Militär verursacht also durch seinen Kraftstoffverbrauch 55 bis 66 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. Dieser Wert ergibt sich aus den Angaben von Burke.

Gemessen an den mehr als sechs Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten, die noch immer jährlich in den USA in die Luft geblasen werden, ist der Anteil des Militärs also auch jenseits des Atlantiks gering. Doch natürlich geht es letztlich um alle Emissionen und ein Aufrechnen gegeneinander ist wenig sinnvoll. Soll die weitere Verschärfung der Klimakrise verhindert werden, müssen restlos alle Quellen der Treibhausgase verstopft werden, auch die militärischen. Ein Grund mehr, endlich einen globalen Abrüstungsprozess in Gang zu setzen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans-Peter Z. aus Monte Isola (BS), Italien (23. April 2024 um 22:32 Uhr)
    (…) Die scheinbar akribische Detailbetrachtung soll wohl verbergen, dass die ganz großen Emissionsquellen einfach unterschlagen werden. Pomrehn berücksichtigt tatsächlich absolut nichts, außer den Emissionen der Militärfahrzeuge (und Flugzeuge). Was er an Substantiellstem vergisst: Emissionen von Transporten (Zug, Schiff) zu Einsatz- und Manöverorten. Emissionen der Sprengstoffdetonationen, einschließlich Munition. Emissionen der Truppenstandorte (Kasernen, Hallen). Dies alles könnte vielleicht wenig sein, könnte man raten? – Vielleicht! Aber ganz, ganz sicher nicht wenig, sondern der bei weitem dominierende Löwenanteil ist dies: Der Moloch der gesamten Rüstungsindustrie. Er ist in keinster Weise berücksichtigt, ist aber zu hundert Prozent den Militäremissionen zuzurechnen. Ich habe keine konkreten Daten, aber abgeschätzt aus den SIPRI-Daten: Militärinvestitionen 2 Billionen US-Dollar weltweit jährlich. Das BIP der USA liegt bei 14 Billionen US-Dollar. Die Militärinvestitionen betragen also rund 15 Prozent davon. Dabei handelt es sich durchweg um energieintensive Industrien. Schwerindustrie, Stahl- und Aluminiumerzeugung, auch die Gewinnung exotischer Metalle für die Militärelektronik ist immens Energie- und CO2-intensiv. Mit Sicherheit sind die Emissionen der Rüstungsindustrie um ein Vielfaches höher als die im Artikel berücksichtigten läppischen Treibstoffemissionen. (…)
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (23. April 2024 um 11:25 Uhr)
    Umweltsünder Militär! In einer Welt, in der wir jedes Gramm CO2 umdrehen, um den Klimawandel zu bekämpfen, gibt es einen schmutzigen, oft übersehenen Akteur: das Militär. Die USA setzten sich durch, dass militärische Emissionen aus dem Kyoto-Protokoll herausgehalten wurden, und sie ratifizierten es sogar nie! So wurde das Militär von der CO2-Accountability freigestellt, während der Rest der Welt nachhaltige Windmühlen baute. Die Klimabilanz ist ohne Militärdaten so sauber wie ein Wüstensturm. Ein feiner Trick, oder? Die USA, China, Russland und Indien – Big Player auf dem militärischen Parkett, verschlingen jährlich mehr Öl als ein Flammenwerfer auf Steroiden. Über 100 Millionen Barrel werden nur vom US-Militär allein im Inland und auf seinen globalen Stützpunkten verbrannt, geschweige von den Herstellungsenergien der Kriegsgeräte, was den Himmel zusätzlich trüben. Wenn wir das Kohlendioxid ernsthaft reduzieren wollen, dann müsste eigentlich das Militär auf Diät gesetzt werden. Wenn wir wirklich etwas für das Klima tun wollen, müssen wir alle Quellen der Verschmutzung angehen. Und dafür müssen wir alle zusammenarbeiten, sogar das Militär, denn ohne es bringen alle Bemühungen nichts!
  • Leserbrief von R.Brand (23. April 2024 um 09:52 Uhr)
    Doch, Wagenknecht hat damit sehr recht. Auch die Bundeswehr ist dabei und man sollte stets die Rasenmähermethode anwenden. Zuerst die strafen, die am meisten »Klimasünder« sind, nicht die Normalbürger, die nur eine Immobilie benötigen, die sie sich leisten können. Also Militär und Superreiche zuerst, mit allem was dazugehört: Privatjets, Privatjachten, Villen u. Landsitze, Fuhrparks mit Rolls, Ferrari usw., dicke Dienstwagen, Flüge …

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