4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 23.04.2024, Seite 1 / Titel
Aufrüstung auf Allzeithoch

2,44 Billionen verballert

Rekordwert bei Rüstungskosten: SIPRI konstatiert so hohe Militärausgaben wie noch nie. Maßgeblicher Treiber ist Ukraine-Krieg
Von Jörg Kronauer
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Kriegstagung im Visier: Protest gegen die Münchner »Sicherheitskonferenz« am 17. Februar 2024

Die globalen Militärausgaben haben im vergangenen Jahr Rekordhöhe erreicht und lagen bei einem Wert von 2,44 Billionen US-Dollar (etwa 2,28 Billionen Euro). Dies geht aus einer Analyse hervor, die das Stockholmer Institut für Internationale Friedensforschung (SIPRI) am Montag veröffentlichte. Demnach sind die Mittel, die in die Armeen der Welt investiert wurden, mit plus 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr so stark gestiegen wie seit 2009 nicht mehr. Ebenfalls erstmals seit 2009 stellte SIPRI einen Anstieg der Militärausgaben auf sämtlichen Kontinenten gleichzeitig fest. Maßgebliche Treiber seien der Ukraine-Krieg, die Waffengänge in Nah- und Mittelost und die gefährlich zunehmenden Spannungen in der Asien-Pazifik-Region gewesen, schreibt das Institut. Die Staatenwelt gab rund 2,3 Prozent ihrer gesamten Wirtschaftsleistung für militärische Zwecke aus.

Spitzenreiter in Sachen Militarisierung waren laut den SIPRI-Angaben auch im Jahr 2023 die westlichen »Werte«-Staaten und insbesondere die USA. Letztere, traditionell unangefochtene Nummer eins, steckten mit 916 Milliarden US-Dollar – 37 Prozent aller Militärausgaben weltweit – mehr als dreimal so viele Mittel in ihre Streitkräfte wie die Nummer zwei, China. SIPRI weist darauf hin, dass die US-Aufwendungen für Militärforschung und -entwicklung besonders stark stiegen. Darin spiegele sich die gezielte Vorbereitung auf einen etwaigen Krieg gegen eine gleichfalls hochgerüstete Großmacht wider. Die NATO-Mitglieder – knapp ein Sechstel aller UN-Mitgliedstaaten – standen mit 1,34 Billionen US-Dollar für 55 Prozent aller Militärausgaben weltweit. Deutschland schaffte es mit 66,8 Milliarden US-Dollar auf Rang sieben. Es war damit nach den USA und Großbritannien der Staat mit den drittgrößten Militärausgaben im Westen.

Die Militärdominanz des Westens zeigt sich auch darin, dass seine Staaten ihren Bürgern einen größeren Anteil an der nationalen Wirtschaftsleistung für die Streitkräfte abverlangen als alle anderen Weltregionen – mit Ausnahme des Nahen und Mittleren Ostens. So fließen 3,4 Prozent der US-Wirtschaftsleistung in das Militär; in Europa sind es 2,8 Prozent. China gibt seit Jahren rund 1,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für seine Streitkräfte aus. Dabei rechnet SIPRI sogar noch Ausgaben aus anderen Budgetposten ein, was es bei den westlichen Staaten in diesem Umfang nicht tut. Umgekehrt erhält China, weil ein Dollar dort eine größere Kaufkraft hat als etwa in den USA, für seine Militärausgaben von – laut SIPRI – 296 Milliarden US-Dollar eine vergleichsweise größere militärische Schlagkraft.

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Militärausgaben weltweit von 2017 bis 2023 (in Mrd. US-Dollar). Quelle: SIPRI-Jahresberichte

Besonders stark gestiegen sind – kriegsbedingt – die Militärausgaben Russlands (109 Milliarden US-Dollar) und der Ukraine, die inklusive der westlichen Unterstützung – die USA haben sie jetzt mit ihrem 61-Milliarden-Dollar-Paket verlängert – auf 91 Prozent der russischen Militärausgaben kam.

Scharfe Kritik an der Militarisierungswelle kam unter anderem von Greenpeace, dessen Abrüstungsexperte Alexander Lurz »ein verengtes Verständnis von Sicherheit« beklagte, und aus der Partei Die Linke. Ihre außen- und friedenspolitische Sprecherin im EU-Parlament, Özlem Alev Demirel, wies darauf hin, dass Deutschland mit den für 2024 vorgesehenen Militärausgaben von 90 Milliarden US-Dollar sogar »auf Rang vier der SIPRI-Liste klettern« würde. Anstelle der Aufrüstungsspirale, die »niemanden sicherer« mache, seien »massive Investitionen in die soziale Infrastruktur« sowie »diplomatische Initiativen« nötig.

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  • Leserbrief von Gregor Putensen aus Greifswald (30. April 2024 um 11:52 Uhr)
    Die kürzlich bekannt gewordenen Zahlen des SIPRI zu den internationalen Rüstungsausgaben und militärischen Aktionen und Ambitionen der regierenden »Eliten« der Großmächte und jener, die nunmehr auch den deutschen Anspruch auf diesen Rang erheben, sind eine dramatische Warnung vor einer sich abzeichnenden Kriegskatastrophe. Sie lassen bei den Wachsamen und fachlichen Kritikern und bei vielen der zum militärischen Opfergang verurteilten Völker das Blut erstarren. Die meisten jedoch üben sich in scheinbar gleichmütiger Verdrängung oder routinierter Resignation angesichts der jährlich alarmierenderen Zahlen aus dem Friedensforschungsinstitut in Stockholm. 2,4 Billionen – das heißt 2.400 Milliarden Dollar wurden 2023 trotz all dem sozialen und ökologischen Elend und einer bereits eingetretenen Klimakrise in der Welt verpulvert. Soviel wie noch nie zuvor – nicht einmal während des Kalten Krieges! Diese menschheitsgefährdende Vergeudung steigerte sich mit fast siebenprozentiger Zuwachsrate gegenüber dem Vorjahr vor dem Hintergrund eines globalen geopolitischen Umbruchs. Dieser signalisiert das allmähliche Schwinden der nach dem Zweiten Weltkrieg den USA zugefallenen Dominanz in den internationalen Beziehungen, das mit der Riesensumme von über 916 Milliarden Dollar für das US-amerikanische Rüstungsbudget (37 Prozent aller Militärausgaben der Welt) aufgehalten werden soll. Die NATO als de facto amerikanisches Militärbündnis gab allein über eine Billion (d. h. 1.340 Milliarden) Dollar für den ursprünglich nur auf die Staaten des Nordatlantiks bezogenen Verteidigungspakt aus, der nunmehr zusammen mit Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland weltweite militärstrategische Ambitionen gegenüber Russland und China verfolgt. Auch letztere stockten zwar weniger, aber dennoch erheblich gegenüber dem kollektiven Westen auf: Russland im Krieg mit der Ukraine um 44 Milliarden auf 109 Milliarden und China auf fast 300 Milliarden Dollar.
    Wie bei einer Waage werden ihre beiden Waagschalen im Namen einer gegenseitig unvermeidlichen Abschreckung mit immer weiteren Gewichten für gesteigerte Aufrüstung sowie reale bzw. vermeintlich geopolitische Verteidigungserfordernisse belastet. Die SIPRI-Zahlen sprechen für sich. Aber zugleich werden die Grenzen der Tragfähigkeit für die Waagschalen tragenden Balken im Zuge dieser Entwicklungen immer verschwommener. Trotz – nein, vor allem wegen immer raffinierterer waffentechnischer Innovationen. In deren Konsequenz kann durch Fehldeutung der jeweils gegnerischen Absichten, durch technische Defekte automatisierter Befehlsketten oder stressbedingter Fehlentscheidungen ein letztlich ungewollter Krieg, aber dann auch mit seinen kaum zu stoppenden Eskalationen, ausgelöst werden.
    Das offenkundige Kalkül auf Seiten Russlands: Das nahezu zwanzigfach größere Wirtschaftspotenzial des Westens für den Ukraine-Krieg so lange wie möglich militärisch nur begrenzt wirksam werden zu lassen, um die NATO mit einer zur Neutralität gezwungenen Ukraine gegenüber dem europäischen Teil Russlands auf Abstand zu halten. Sollte dies auf längere Sicht mit konventionellen Waffen nicht gelingen, sähe sich Russlands Staatlichkeit existenziell gefährdet. Dies wäre laut seiner im Prinzip von den USA 2015 übernommenen Nukleardoktrin (mit der Streichung des zuvor geltenden Verzichts der UdSSR auf Erstanwendung von Kernwaffen) der Fall, der nunmehr den Rückgriff auf entsprechende Einsatzmittel erlauben würde.
    Das proklamierte Ziel eines einzig und ausschließlich denkbaren Sieges der Ukraine über Putins Russland reflektiert das profitable westliche Kalkül. Dies setzt auf eine lange Kriegsdauer mit entsprechender rüstungsindustrieller Hochkunjunktur vor allem in den drei klassischen Großmächten des Westens unter Einschluss Deutschlands als zweitgrößter Waffenlieferant für die Ukraine nach den USA. Die damit verbundenen, nicht ganz unrealen Hoffnungen auf eine Schwächung (oder gar Baerbocksche »Ruinierung«) Russlands bei größerer Dauer des Kriegsverlaufs würde sich für den Westen solange bezahlt machen, wie die Truppen der Ukraine formal allein ohne NATO, aber mit westlichen Waffen kämpfen.
    Aber die große Frage hierbei: Für wie lange hält der Kreml diesen auf westlicher Seite behaupteten Tatbestand noch für glaubwürdig? Keineswegs hinter vorgehaltener Hand kursiert nicht nur in Moskau die noch als inoffiziell geltende Auffassung, dass sich Russland längst in einer Art von militärischer Auseinandersetzung mit den USA und ihrer NATO befindet. Polens Regierung signalisierte bereits mehrfach ihre Bereitschaft, ihr Land für die Stationierung amerikanischer Kernwaffen zur Verfügung zu stellen.
    Letzte der sogenannten »roten Linien« sicherheitspolitischer Mäßigung stehen somit in Frage.
    Verbleibt den Völkern für ihr Leib und Leben tatsächlich nur noch ergebenst, dass militärische Vabanque-Spiel ihrer »Eliten« hinzunehmen und
    ja, solange wie möglich, als Steuerzahler auch noch zu finanzieren?
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (22. April 2024 um 22:34 Uhr)
    Bei dieser gigantischen Aufrüstung der westlichen Wertestaaten grenzt es schon an großer Demagogie und Perfidie, wenn der Wertewesten diese militärischen Rüstungsausgaben auch noch als bloße Verteidigung hinstellt. Gauner, Deppen und sonstige Narren haben eines gemeinsam, allesamt verzerren die Realität gewaltig, doch jeder auf seine Weise. Die Einen wollen so im Trüben fischen, die anderen sind entweder zu dumm um zu begreifen, dass der Rüstungswahn in Kriege einmündet, die Anderen vertrauen tapfer auf ihre Obrigkeit, die ja per se wohl die Wahrheit sagt, die Dritten hingegen reiben sich die Hände und denken schmunzelnd an die gigantischen Profite der Rüstungsindustrie, aber auch an die satten Gewinne der Banken, die schließlich die Gelder für die Rüstung als gut verzinsliche Kredite vorschießen. Der Ukraine-Krieg. ist hierbei der willkommene Aufhänger, der, gäbe es ihn nicht, eigentlich erfunden werden müsste, denn irgendwie müssen die hiesigen Herrschenden ja ihrem Publikum die immensen Opfer der Bevölkerung als unbedingte Notwendigkeit unter die Weste jubeln. Dabei gilt die primitive Gleichung: Der Russe ist mal wieder grauenerregend, das rechtfertigt allemal dann einen Sozialabbau und Minderung des Lebensstandards der breiten Masse, die gefälligst moralisch aufgerüstet und entsprechend empört zu sein hat. Merke: Wer schon ein bloßer armer Schlucker ist, also einer ohne Geld, der hat gefälligst moralistisch drauf zu sein, denn Kriegsgewinnler ist der sogenannte Otto-Normal-Verbraucher nun mal nicht, also ist er dann ersatzweise moralisierend aufzupäppeln, in wilde Wut zu versetzen und dabei feste das Hirn ausschalten. In Trikontst. funktioniert derlei Kalkül der Herrschenden meist nicht, wohl aber in den westlichen Wertestaaten, dort, wo entweder linke Parteien sowie Friedensbewegungen schwach oder lendenlahm und ohne Biss sind, da geht derlei Rechnung recht oft auf. Und so lange das so bleibt, steigert sich entweder der Rüstungswahn oder ein großer Krieg bricht aus.

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