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Aus: Ausgabe vom 22.04.2024, Seite 16 / Sport
Eishockey

Mit beiden Beinen an Deck

Eishockey: Pinguins aus Bremerhaven gegen Berliner Eisbären
Von Andreas Müller
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Zweiter Akt: Blaine Byron von den Eisbären erzielt das Tor zum 2:0 gegen Torwart Kristers Gudlevskis von den Pinguins (19.4.2024)

Was in ihrem natürlichen Lebensraum ausgeschlossen ist, gelingt in der Deutschen Eishockeyliga (DEL) am Ende ihrer 30. Spielzeit mühelos. Die Pinguins aus Bremerhaven und die Berliner Eisbären begegnen sich in der abschließenden Playoff-Serie um den Meistertitel auf derselben Eisfläche. Wechselweise an der Weser und in der Hauptstadt, bis ein Team vier Siege eingefahren hat. Als Primus der Vorrunde durften die »Fischtown-Cracks« das erste Match am vorigen Mittwoch zu Hause bestreiten und legten mit 4:2 vor, ehe in der zweiten Partie am Freitag die Berliner zu Hause mit 5:3 gewannen. Das gestrige Spiel drei war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet. Es ist in der Geschichte der DEL das sechste Mal, dass die beiden Erstplazierten der Hauptrunde sich im Finale wiedersehen.

Die Hauptstädter hatten auf dem Weg dahin im Viertelfinale mit 4:1-Siegen die Mannheimer Adler und im Halbfinale die Straubing Tigers ausgeschaltet. Bremerhaven besiegte in der K.-o.-Runde zunächst Ingolstadt mit 4:0 und danach den Titelverteidiger aus München überraschend souverän mit 4:1. Nachdem sie den ersten Finaleinzug in der 41jährigen Vereinsgeschichte perfekt gemacht hatten, bildete sich am Morgen danach eine bis dato nie gekannte Menschenkette vor der Geschäftsstelle der Pinguins. Alle in der schier endlosen Schlange wollten Tickets für das finale Kräftemessen mit dem neunmaligen DEL-Champion aus der Hauptstadt. Die Eishalle am Wilhelm-Kaisen-Platz ist maximal für knapp 4.650 Zuschauer ausgelegt. 2.500 der Plätze sind Dauerkarteninhabern und 400 Tickets den Eisbären-Fans vorbehalten. »Die restlichen Tickets waren in zehn Minuten weg. Wir hätten für jedes Finalspiel locker mehr als 10.000 verkaufen können«, sagt Alfred Prey, der sportliche Leiter des Klubs, zu jW.

Die Arena am Berliner Ostbahnhof war am Freitag mit 14.200 Zuschauern ausverkauft. Allein die Kapazität ihrer Eishallen verrät einiges über zwei unterschiedliche »Gewichtsklassen« in diesen Endspielen. Man fühle sich als »Underdog«, trotzdem sei die Euphorie in Bremerhaven mit seinen rund 114.000 Einwohnern und die Hoffnung auf den größtmöglichen Coup riesengroß, berichtet Prey. Was die in den Pucksport vernarrte Region derzeit erlebe, sei »das Ergebnis von jahrelanger Kontinuität und dem Charakter unserer Spieler«. Goalgetter Jan Urbas aus dem slowenischen Paradesturm mit Ziga Jeglic und Miha Verlic absolviert seine siebte Saison im Norden, Stürmer Ross Mauermann seine achte. »Unsere Spieler sind keine Reisenden in Sachen Sport. Die meisten sind schon mehrere Jahre hier und mit dem Verein verwurzelt.« Was die Cracks eine verschworene Gemeinschaft werden ließ und auf dem Eis zu »blindem Verständnis« führte. Dazu passt, dass Mike Moore, bis zu seinem Karriereende 2022 der Kapitän, jetzt eigens aus den USA anreiste, um seinen früheren Kumpels beizustehen.

Eine besonders wichtige Konstante für den Erfolg ist Trainer Thomas Popiesch. Just seit 2016, dem Jahr des DEL-Aufstiegs, steht der für Prey beste Coach der gesamten Liga bei den Pinguins hinter der Bande. Er und seine »Gelbhelme« um den herausragenden lettischen Keeper Kristers GudĮevskis verbringen während der Saison soviel gemeinsame Zeit im Bus wie kein anderes Team. Allein bei den Fahrten zu Auswärtsspielen nach Schwenningen an die zwölf Stunden pro Hin- und Rückfahrt. »Die Spieler, die zu uns kommen, wissen das. Die meisten sind es längst gewohnt. Auswärtsspiele in Berlin oder Wolfsburg sind für uns Kurzstrecke. Da lohnt es für die Spieler kaum, sich im Bus hinzusetzen«, sagt Prey, nach dem Motto: Wer so etwas nicht aushält oder sich darüber mokiert, hat hier nichts verloren! Statt vom Geld eines Großsponsors wird das Budget aus vielen Quellen und einem Pool von ungefähr 250 Partnern gespeist. »Fischtown« an der Weser rangiert im finanziellen Ranking aller 14 DEL-Klubs im Gegensatz zu Berlin, Mannheim oder München am unteren Ende – was den famosen Auftritt mit dem Finale als Highlight um so bemerkenswerter und eindrucksvoller macht.

Die Pinguins sind kein Starensemble, sondern eine gelungene und lange gereifte Mischung aus Teamplayern, gern auch mit Puckjägern aus kleineren Eishockeynationen wie eben Slowenien, Norwegen, Dänemark oder dem Baltikum. Hinzu kommt der »Wohlfühlfaktor« und die familiäre Atmosphäre in einem Verein mit nur rund 400 Mitgliedern, in dem sich »jeder um jeden kümmert«. Die Nordwest-Zeitung vor Ort lobte kürzlich die besondere Qualität von Alfred Prey bei der Kaderzusammenstellung als »Spürnase des deutschen Eishockeys«. Dass seine Besten regelmäßig von der Konkurrenz weggekauft werden, ist für den 70jährigen eher Ermunterung, dem bisherigen Pfad treu zu bleiben. »Wer bei uns in der ersten oder zweiten Reihe aufläuft, würde bei den finanzkräftigen Klubs vielleicht nur in der dritten oder vierten Reihe spielen. Doch wir bieten diesen Spielern eine Chance, sich zu zeigen. Wir bieten ihnen eine Plattform, sich in der DEL zu etablieren und auf sich aufmerksam zu machen.«

Zur Freude der Fans wird der Großteil der Mannschaft aus der großartigen Eiszeit 2023/24 in der nächsten Saison beisammenbleiben, während Trainer Thomas Popiesch mit dem Zweitligisten aus Krefeld in Verbindung gebracht wird. Manager Alfred Prey sieht für sich selbst die Zeit gekommen, das Ruder an Exprofi Sebastian Furchner zu übergeben. Der langjährige Macher wird seinen Nachfolger fortan aus der zweiten Reihe unterstützen und weiter darüber wachen, dass in Bremerhaven am bewährten Kurs festgehalten wird. Am Credo soll sich hier nichts ändern, ob es jetzt die Vizemeisterschaft wird oder das »Wunder von der Werder« gelingt. »Hier ist alles überschaubar und bescheiden. Alles andere würde uns nicht zu Gesicht stehen und würde in dieser Stadt nicht akzeptiert. Egal, wie das Finale zu Ende geht, wir werden weiterhin keine großen Töne spucken und mit beiden Beinen an Deck bleiben.«

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