4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 22.04.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Leben in der DDR

Karte auf den Tisch

Heinz Günther blickt auf sein Leben vor, in und nach der DDR zurück
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Mit den Akten hat nur der Gegner Politik gemacht: Unterlagen im inzwischen ins Bundesarchiv integrierten Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit (Berlin, 24.10.2017)

Heinz Günther, 1930 auf einem Rittergut in der Nähe von Neubrandenburg geboren, blickt in seiner beim Verlag im Park erschienenen »Lebensbilanz« auf ein ereignisreiches Leben zurück, das nicht zuletzt ein Leben jener Generation ist, die im jugendlichen Alter in die DDR hineinwuchs. Der promovierte Jurist war nach einer Lehre im Landratsamt von 1946 bis 1948 zunächst Verwaltungsangestellter, FDJ-Funktionär, Parteisekretär bei der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit in Neubrandenburg, dann Attaché im diplomatischen Dienst, Dozent an der Sektion Aufklärung der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit, wo er den Lehrstuhl »Regimeverhältnisse/Straf- und Prozessrecht der BRD« leitete, und schließlich Oberst der Hauptverwaltung Aufklärung. Nach dem Ende der DDR war er noch bis 2005 als Rechtsanwalt tätig.

Günther hat nun »Erinnerungswertes« zusammengetragen – auch um, wie er schreibt, das »Erinnerungsvermögen zu schärfen« und »Geschehnisse zu rekapitulieren«. Wenn er das aufschreibe, was ihn in seinem Leben bewegt und berührt habe, dann verlange er indes nicht, dass »unbeteiligte Leser« das auch für lesenswert halten.

Das Buch, das Beobachtungen aus vielen Jahrzehnten zusammenträgt, ist durchaus lesenswert. Günther erinnert sich an seine Kindheit, die Aufbaujahre in der DDR, rekapituliert seine Stationen beim MfS, schreibt ausführlich über die Zeit an der Botschaft der DDR in Jugoslawien. Immer wieder kommt er auch auf Ereignisse und Entwicklungen im persönlichen Umfeld und in der Familie zu sprechen.

Gedanken gemacht hat Günther sich auch über die Frage, warum viele DDR-Bürger das Ende ihres Staates passiv hinnahmen, und über den »schlechten Ruf der Staatssicherheit«. Dazu schreibt er unter anderem, dass das MfS es von Anfang an dem Gegner überlassen habe, über seine Arbeit zu berichten. Inhaltliche Hintergründe, etwa zu Ermittlungsverfahren oder Haftbefehlen wurden nicht veröffentlicht, Ansätze zu einer Öffentlichkeitsarbeit, die es in Günthers Verantwortungsbereich in den 50er Jahren im Bezirk Neubrandenburg gab, nach wenigen Jahren unterbunden. Damit habe man der »Gerüchteküche« den Boden bereitet und der Gegenseite die Möglichkeit gegeben, alle möglichen »Entstellungen« und »Phantastereien« zu verbreiten.

Günther wurde mit den Folgen nach 1990 auch in einer Versammlung der PDS konfrontiert. Dort ließ sich ein stellvertretender Berliner Bezirksbürgermeister »über eine andere Parteigruppe aus, in der es ehemalige Angehörige des MfS gebe. Diese Leute würden nicht begreifen, dass ihre Mitgliedschaft der Partei mehr schade, als ihr zu nutzen. Daraufhin legte ich meine Mitgliedskarte auf den Tisch und verließ die Zusammenkunft.« (jW)

Heinz Günther: Erinnerungswertes aus drei Systemen. Eine Lebensbilanz. Verlag im Park, Berlin 2023, 272 Seiten, 18 Euro

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