4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 23.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Kanarische Inseln

Kanaren am Limit

Zehntausende protestieren gegen Massentourismus, Immobilienspekulation und Umweltzerstörung
Von Carmela Negrete
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Insgesamt 55.000 Menschen gingen nach Angaben der Veranstalter am Sonnabend auf die Straße (Santa Cruz de Tenerife)

Es war ein historischer Protest: Zehntausende Menschen demonstrierten am Sonnabend auf allen sieben Hauptinseln der Kanaren gegen den Massentourismus und gegen die Immobilienspekulation, die das Leben der Einheimischen immer schwieriger macht. Auch in anderen spanischen Städten protestierten Einwohner der Kanarischen Inseln, die außerhalb des Territoriums leben, gegen ein Tourismusmodell, das es der lokalen Bevölkerung und den Fachkräften immer schwerer macht, dort zu leben, wo sie arbeiten, und das die Umwelt zerstört. Sogar am Neptunbrunnen in Berlin, vor dem Roten Rathaus, versammelte sich ein Dutzend Kanarier mit einem Transparent, auf dem Stand: »Die Kanaren am Limit. Für einen nachhaltigen Tourismus.«

Unter dem Motto »Die Kanaren haben genug« wurde nicht gegen den Tourismus an sich demonstriert, der derzeit mehr als 35 Prozent des kanarischen BIP ausmacht, betonten die Organisatoren. Sie prangerten, wie es in einer Mitteilung hieß, die »gnadenlose Ausbeutung« des Tourismus an, die nicht zu mehr Wohlstand führe. Die Onlinetageszeitung Diario Red beschrieb die Proteste in einem Editorial am Sonntag so: »Viele der Demonstrierenden haben deutlich gemacht, dass sie nicht gegen den Tourismus an sich sind, sondern gegen das aktuelle Modell protestieren.« Das heißt, »wogegen gestern Zehntausende Kanarierinnen und Kanarier protestiert haben, ist das kapitalistische System«.

Im vergangenen Jahr wurden auf den spanischen Inseln Teneriffa, Gran Canaria, Lanzarote, La Gomera, El Hierro, La Palma und Fuerteventura rund 477 Millionen Übernachtungen gezählt. Die Touristen gaben dort 108 Milliarden Euro aus, die jedoch in die Taschen einiger weniger flossen, wie der spanische staatliche Fernsehsender TVE berichtete. »34 Prozent der Bevölkerung sind von Armut bedroht«, so die TVE-Korrespondentin in dem Beitrag von Sonnabend, »und das inmitten einer Wohnungs- und Wasserkrise«. In der Region seien rund zwei Millionen Menschen prekär beschäftigt, die meisten davon im Tourismussektor.

Die Demonstrierenden fordern deshalb unter anderem eine Touristensteuer und dass nicht mehr »jede dritte Wohnung von Ausländern gekauft wird«. Denn durch immer mehr Ferienwohnungen werde der Wohnraum auf den Inseln für die einheimische Bevölkerung knapp und mit den dort gezahlten Löhnen unerschwinglich, so das Demonstrationsbündnis aus Bürgerplattformen und Umweltorganisationen. Tatsächlich werden Fälle von jungen Polizisten, Busfahrern oder Krankenschwestern, die keine bezahlbare Wohnung finden und in Wohnmobilen leben müssen, in der spanischen Presse immer häufiger thematisiert.

Aber auch die Auswirkungen des Tourismus auf die Umwelt geben vor Ort Anlass zur Sorge. Insbesondere Dürre und Wasserknappheit als Folge des Klimawandels stellen eine große Herausforderung dar. Auf Teneriffa wurde im März wegen einer schweren Dürre der Notstand ausgerufen, und in mehreren Ortschaften müssen die Einwohner den Wasserverbrauch einschränken und dürfen etwa private Swimmingpools nicht füllen, Häuser und Autos nicht mit Wasserschläuchen reinigen und am Strand nicht duschen. Solche Maßnahmen gelten derzeit auch in anderen Urlaubsregionen wie Barcelona oder an der andalusischen Küste. In der katalanischen Hauptstadt hatten die Behörden sogar erwogen, Trinkwasser per Schiff in die Stadt zu bringen. Statt dessen wurden nun zwölf mobile Entsalzungsanlagen angeschafft.

Auf Teneriffa befinden sich seit zwei Wochen mehrere Aktivisten im Hungerstreik gegen den Bau von zwei neuen Hotels. Sie argumentieren, wenn man schon am Limit sei, brauche man keine neuen Touristenunterkünfte, sondern müsse sich auf den Notstand konzentrieren. Die Aktivisten gehören der Organisation »Canarias se agota« (Die Kanaren sind erschöpft) an und haben inzwischen große Teile der Bevölkerung hinter sich.

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