4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 22.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
DDR-Erbe

Geschichte im Orkus

Die verschollene Leninstatue aus Potsdam – ein Armutszeugnis für die Denkmalpflege der BRD
Von Carlos Gomes
E3_Statue_Potsdam.jpg
Die Potsdamer Leninstatue vor dem verlassenen Kulturhaus der Sowjetarmee im Jahr 2001

Vor 50 Jahren, am 22. April 1974, wurde in Potsdam anlässlich Lenins Geburtstag vor dem Haus der sowjetischen Offiziere ein überlebensgroßes Standbild des Revolutionsführers Wladimir Iljitsch Lenin aufgestellt. Es zeigt ihn in stolzer Haltung, eine Schriftrolle in der rechten Hand, die linke am Revers. Obwohl die Statue unter Denkmalschutz steht, verschwand sie unter rätselhaften Umständen und gilt bis heute als vermisst. Ihr Schicksal versinnbildlicht den respektlosen Umgang mit dem Kulturerbe der DDR, bei dem weder wissenschaftliche Erkenntnisse noch geltendes Recht berücksichtigt werden.

Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht die 1974 in Potsdam errichtete Leninstatue aus Bronze.. Laut einem von der Stadt 1991 in Auftrag gegebenen Gutachten hatte ein unbekannter Künstler das Denkmal nach Vorlagen einer Marmorbüste des berühmten sowjetischen Bildhauers Nikolai Tomski angefertigt.

Bis 2004 war die Plastik in der Hegelallee zu finden, sie verschwand, als der Gebäudekomplex abgerissen wurde. Obwohl das Standbild seit 1977 unter Denkmalschutz steht, hatte man es ohne die notwendige Genehmigung demontiert. Diese wurde erst später rückwirkend vom Eigentümer des Grundstücks, Dirk Onnen, beantragt. Der angegebene Grund für die Entfernung und Sicherung des Denkmals war die Befürchtung, es könne während der Bauarbeiten beschädigt werden. Der Antrag zur provisorischen Entfernung der Statue vermerkt explizit, dass sie nach den Bauarbeiten wieder aufgestellt werden sollte.

Die geforderte Rückkehr des Standbilds erfolgte jedoch nicht, so dass sich das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege darum bemühte, seinen Verbleib zu klären. Der für den Abtransport Lenins verantwortliche Onnen teilte nach jahrelangem Schriftverkehr in einer Stellungnahme mit, die Statue sei eingemottet worden und warte auf eine bevorstehende Sanierung. Er erklärte weiter, dass er sie als sein Eigentum betrachte und sich zwar dazu verpflichtet sehe, die Leninfigur zu erhalten, nicht jedoch, sie der Stadt zurückzugeben. Diese Behauptung Onnens widersprach den getroffenen Vereinbarungen und war womöglich unrechtmäßig. Außerdem stand zu dieser Zeit das Standbild immer noch auf der Liste geschützter Denkmäler, es wäre somit die Pflicht der Stadt gewesen, diesem Fall nachzugehen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten. Doch in der Stadtverordnetenversammlung konnte man sich nicht auf Wege zur praktischen Klärung der Angelegenheit einigen.

Vor allem die CDU wehrte sich aktiv gegen eine mögliche Wiedererrichtung des Denkmals und reichte später gar einen Antrag auf Löschung der Statue aus der Denkmalliste ein. Damit dokumentierte sie ihr mangelndes Verständnis der Funktion von Denkmalpflege. Diese dient nicht etwa der Verbreitung der eigenen Weltanschauung, sondern dem Schutz historischer Zeugnisse. Und so lehnte das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege diesen Antrag folgerichtig ab. In der Begründung hob es die Bedeutung des Lenindenkmals als Zeugnis der DDR-Gedenkkultur und als nach Vorlage von Tomski gestaltetes Kunstwerk hervor. Bezüglich des Ortes zeigte sich die Behörde allerdings flexibel, was auch eine museale Ausstellung ermöglichen würde.

Für das Jahr 2019 plante das Potsdamer Stadtmuseum eine Ausstellung zum 25. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte. Die Leninstatue wäre hierfür ein geeignetes Exponat gewesen. Auf Anfrage des Landesamts für Denkmalpflege zeigte sich Onnen überraschenderweise kooperativ und meldete, das Standbild sei zwar noch auf einem seiner Grundstücke bei Oldenburg in Niedersachsen gelagert, könne aber dem Stadtmuseum für besagte Ausstellung zur Verfügung gestellt werden. Ein glückliches Ende schien in Sicht.

Doch es kam zum großen Eklat: Im April 2018, wenige Monate nachdem die CDU erneut vergeblich versucht hatte, die Statue aus der Denkmalliste zu streichen und selbst eine museale Ausstellung zu verhindern, verkündete Onnen, unbekannte Täter hätten die etwa eine halbe Tonne schwere Statue von seinem Grundstück gestohlen. Mit Hilfe schwerer Geräte sollen sie die gewichtige Bronzeplastik unbemerkt und ohne Einbruchspuren zu hinterlassen, abtransportiert haben. So unglaubwürdig diese Geschichte auch klingt, sie wurde von keiner Behörde je auf juristischem Weg angezweifelt. Und sie lädt zu vielerlei Spekulationen ein, schließlich wäre mit solch einem Kunstwerk auf dem Schwarzmarkt viel Geld zu verdienen. In Potsdam sah man jedoch keinen Anlass, rechtliche Schritte zu unternehmen oder irgendwelche Ermittlungen einzuleiten. Steeven Bretz, Kreisvorsitzender der örtlichen CDU, schien von diesem Zeugnis politischer Inkompetenz sogar amüsiert und kommentierte, dass es angesichts von Lenins Abneigung gegen Privateigentum nicht ohne Ironie sei, wenn die Statue nun auf unergründliche Weise den Besitzer gewechselt habe. Diese Reaktion eines zuständigen Politikers spiegelt den unverantwortlichen Umgang mit den DDR-Denkmälern wider. Und leider ist dies kein Einzelfall, sondern ein Paradebeispiel für deren Schicksal nach 1990. Dabei war im Einigungsvertrag festgehalten worden, dass »die kulturelle Substanz« der neuen Bundesländer »keinen Schaden nehmen« dürfe. Die staatliche Verwaltung ignorierte dies jedoch in vielen Fällen und versuchte mit Brechstange und Dynamit ihre Ideologie im öffentlichen Raum durchzusetzen.

Es ist ein Armutszeugnis für die deutsche Politik und Denkmalpflege, dass eine unter Denkmalschutz stehende, eine halbe Tonne schwere Statue spurlos aus der Öffentlichkeit verschwinden konnte, ohne dass irgendwer dafür zur Verantwortung gezogen wurde. So bleibt zu hoffen, dass die noch erhaltenen Kunstwerke nicht weiterhin auf eine vereinfachte politische Botschaft reduziert werden, sondern als authentische Erinnerungsstücke und wichtige historische Symbole behandelt werden.

Carlos Gomes: Lenin lebt. Seine Denkmäler in Deutschland. Verlag 8. Mai, zweite durchgesehene, aktualisierte und erweiterte Auflage, Berlin 2023, 152 S., Großformat, geb., 21,90 Euro. Auch im jW-Shop erhältlich, jungewelt-shop.de

Hintergrund: Lenindenkmäler in Deutschland

Wenn von deutschen Lenindenkmälern die Rede ist, denken viele automatisch an die DDR. Tatsächlich entstanden jedoch schon viele Jahre vor der Gründung des Arbeiter- und Bauernstaats erste Ehrenmäler. Ende der 1920er Jahre trafen deutsche Kommunisten in der Sowjetunion auf kleine Gedenkstätten in Gebäuden politischer Organisationen mit einer Darstellung Lenins und kommunistischen Symbolen. Nach diesem Vorbild errichteten sie auch hierzulande »Leninecken«. Eine ist heute noch in Halle (Saale) erhalten. Sie wurde 1929 im KPD-Hauptsitz eingeweiht und hat als zentrales Element eine Tonskulptur mit Lenins Konterfei.

Mit der Machtübernahme durch die Nazis begann 1933 die Verfolgung von Kommunisten sowie kommunistischer Symbolik. Es entstanden keine neuen Lenindenkmäler. Die Wehrmacht brachte allerdings zwei Bronzefiguren Lenins als Kriegsbeute aus der UdSSR. Nach der Befreiung Deutschlands wurden sie in Eisleben und Küstrin-Kietz aufgestellt.

In der DDR prägte die Figur Lenins die Gestaltung der öffentlichen Räume mit. Die ersten Gedenkstätten entstanden vor allem an den Orten, an denen sich Lenin während seines Exils aufgehalten hatte, wie Berlin, Leipzig, Stralsund und Sassnitz. 1951 schuf Johannes F. Rogge in Königsee als erster deutscher Bildhauer eine Leninstatue. Zum 100. Geburtstag Lenins kam es 1970 zur Errichtung einer ganzen Reihe von Leninmonumenten in verschiedenen Städten und Gemeinden. Als Relief, Büste und Standbild war Lenin nun fester Bestandteil der DDR-Denkmallandschaft.

In der BRD hingegen kam es lediglich zur Einweihung einer Bronzetafel in München, wo Lenin einige Monate gelebt hatte. Im Jahr 1968 wurde sie an seiner einstigen Wohnung angebracht, als ein symbolischer Akt der Gastfreundschaft für Besucher der bevorstehenden Olympischen Sommerspiele, insbesondere für jene aus den Ländern des Warschauer Vertrags. Zwei Jahre später zerstörten jedoch Faschisten die Tafel durch einen Sprengstoffanschlag.

Mit dem Anschluss der DDR an die BRD begann die Phase des großen Denkmalsturms. Dieser Prozess wurde von den Stadtverwaltungen angeführt, die im Laufe der 1990er Jahre eine Art nachträgliche, bürokratisch verordnete Umwälzung in Gang setzten, der die meisten Darstellungen Lenins zum Opfer fielen. Durch verschiedene Zufälle oder auch entschlossene Interventionen einzelner Akteure blieben allerdings einige Dutzend Gedenkstätten unversehrt. Und inzwischen kam es sogar zu Wiederaufstellungen einst entfernter Denkmäler, etwa der Statue in Gera oder der Büste in Potsdam, sowie zur Errichtung neuer Leninmonumente in Berlin, Gelsenkirchen, Klein-Strömkendorf, Lünen und Schalkau. (cg)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (22. April 2024 um 11:17 Uhr)
    Good Bye, Lenin! Oder: Schon immer löschten die jeweiligen Sieger die Kulturen der von ihnen Besiegten aus. Daran hat auch der Euphemismus »Zivilisation« bis heute nichts zu ändern vermocht.

Ähnliche:

  • Monument der 70er-DDR-Moderne: »Das Minsk« in Potsdam
    28.09.2022

    Fliegende Nachbarn

    In Potsdam eröffnete im ehemaligen Terrassenrestaurant »Das Minsk« ein Museum für Ostkunst. Es zeigt Werke aus der DDR in ungewohnten Kontexten
  • »Zwölf Millionen, Egon!« (Blick in die Gasse)
    03.09.2018

    Durch die Biergasse

    Was würde Yvonne dazu sagen? Eine Ausstellung über die Olsenbande in Potsdam
  • Max Beckmann bediente sich in seinem Werk neben der Mythologie v...
    10.03.2018

    Meister der Moderne

    Die Potsdamer Ausstellung »Max Beckmann. Welttheater« lädt dazu ein, den großen Bildermacher in all seinen Bezügen kennenzulernen. Auffällig ist seine prägende Rolle für die Malerei in der DDR

Regio: