4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Freitag, 3. Mai 2024, Nr. 103
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 20.04.2024, Seite 8 / Inland
Kampf um Gemeinnützigkeit

»Wir werden noch nicht einmal im VS-Bericht genannt«

Bayern: Kulturverein in Nürnberg soll nach Geheimdiensthinweis Gemeinnützigkeit verlieren. Ein Gespräch mit Tatjana Sambale
Interview: Hendrik Pachinger, Nürnberg
Demonstration_beim_P_66123308.jpg
Solidarität mit türkischen Kommunisten. Demonstration in München (28.7.2020)

Ihrem Kulturverein will die Stadt Nürnberg die Gemeinnützigkeit entziehen und verweist auf Paragraph 51 der Abgabenordnung. Sie argumentiert, im Bericht eines Inlandsgeheimdienstes genannte Organisationen könnten nicht gemeinnützig sein. Was hat das mit dem Dialog der Kulturen e. V. zu tun?

Der Dialog wird als solcher überhaupt nicht im Verfassungsschutzbericht genannt. Hier wurde der bayrische »Verfassungsschutz«, VS, vergangenes Jahr eigenständig aktiv. Die Behörde machte das Nürnberger Zentralfinanzamt darauf aufmerksam, dass es »relevante Verbindungen des Vereins ›Dialog der Kulturen e. V.‹ zu im Verfassungsschutzbericht als extremistisch eingestuften Gruppierungen gibt«.

Worin sollen diese Verbindungen bestehen?

Sie bezogen sich auf die TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten, jW), deren Charakterisierung im VS-Bericht als Kopie beigefügt war. Diese wiederum hätten die ATIF/ATIK (Konföderation der Arbeiterinnen aus der Türkei in Europa, jW), Yeni Kadin (»Neue Frau«, jW) und YDG (»Neue Demokratische Jugend«, jW) als Umfeldorganisationen von ATIF/ATIK. Alle sind im bayrischen VS-Bericht genannt. Dem Dialog der Kulturen e. V. wird nun unterstellt, auf seiner Facebook-Seite eine Veranstaltung beworben zu haben, unter der das YDG-Logo abgebildet war.

Man hat das bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, VVN–BdA, auf ähnliche Weise versucht.

Schlimm genug, dass es nach Paragraph 51 der Abgabenordnung bereits ausreicht, in einem Verfassungsschutzbericht auch nur erwähnt zu werden, damit die Gemeinnützigkeit aberkannt werden kann. Damit kehrt sich die Beweislast völlig um, wie die VVN–BdA in Bayern feststellen musste. Aber in unserem Fall ist die Lage noch absurder, da der Dialog der Kulturen e. V. noch nicht einmal im VS-Bericht genannt wird!

Ist dieses Vorgehen eine Spezialität des bayrischen »Verfassungsschutzes«?

Es liegt nahe, mit solchen Mitteln gegen einen interkulturellen, linken Verein vorzugehen. Aber niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass solche Probleme und Verschärfungen auf Bayern beschränkt bleiben. Wir befinden uns in Zeiten eines reaktionär-militaristischen Staatsumbaus, für den seit längerem bereits juristisch und politisch die Weichen gestellt wurden. Was wir nun direkt erleben, ist die konkrete Anwendung dieser Verschärfungen in der Praxis infolge des gesellschaftlichen Rechtsrutsches.

In der Vereinssatzung wird als Zweck angegeben, »den Dialog zwischen den Völkern, Migranten, Jugendlichen, Kindern, Frauen und Männern« zu fördern.

Seit über zehn Jahren sind wir wichtiger Anlaufpunkt für Menschen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen. Regelmäßig wird dort gemeinsam gekocht, gespielt und vor allem gelernt. Voneinander und miteinander lernen wir, aus was für Welten wir kommen und in was für einer Welt wir gemeinsam leben wollen. Wenn wir gemeinsam verschiedene Probleme aus unserem Alltag besprechen, auch solche, die ihre Wurzeln in einem System kapitalistischer Ausbeutung haben, dann erleben wir wirkliches Miteinander. Dann spüren wir, wie wichtig der Verein ist und auch, weshalb er seit Jahren zurecht gemeinnützig arbeitet.

Ihr Verein will den Entzug der Gemeinnützigkeit nicht akzeptieren. Was ist geplant?

Wir werden politisch und juristisch um den Erhalt der Gemeinnützigkeit ringen. Uns geht es nicht darum, Illusionen über die Verfasstheit dieses Staates zu propagieren, sondern erkämpfte politische Handlungsspielräume nicht ohne weiteres aufzugeben. Es darf nicht sein, dass Schreibtischtäter mit Gehaltszetteln des Verfassungsschutzes auf der Basis einer schlampigen Internetrecherche städtischen Behörden diktieren, wer öffentliche Mittel erhält und wer nicht. Darüber hinaus organisieren und erfahren wir auch materielle Solidarität. Wir planen eine Solidaritätsparty anlässlich des diesjährigen 8. Mai und bauen einen Förderkreis auf. An dem Grundsatz, dass Gruppen und Menschen Vereinsräume bei Bedarf auch kostenfrei nutzen können, wollen wir unbedingt festhalten.

Tatjana Sambale ist Pressesprecherin der Kampagne zur Rettung des Dialogs der Kulturen e. V. in Nürnberg

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche: