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Aus: Ausgabe vom 19.04.2024, Seite 12 / Thema
Indien

Hindu-Nationalisten bauen um

In Indien wird gewählt. Die Frage ist nicht, ob Regierungschef Modi die Wahlen gewinnen wird, sondern in welchem Maße. Seine BJP krempelt das Land in autoritärer Manier um
Von Thomas Berger
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Heilandgleich. Indiens Premier Narendra Modi weiht den Ram-Janmabhoomi-Tempel in Ayodhya ein. Die Kultstätte wurde an jener Stelle errichtet, an der zuvor die 1992 von einem ­Hindu-Mob zerstörte Babri-Moschee stand (Januar 2024)

Indiens Bevölkerung wählt. 970 Millionen Wahlberechtigte dürfen bei der Neubesetzung von 543 Abgeordnetensitzen in der Lok Sabha, dem Unterhaus des Zweikammerparlaments, ihre Stimme abgeben. Das ganze lässt sich nicht an einem Tag bewerkstelligen, die Stimmabgabe erstreckt sich über sieben Etappen. In den ersten Regionen – 102 Wahlkreise, verteilt über 21 Teilstaaten – öffnen die Wahllokale schon am heutigen 19. April, die letzten erst am 1. Juni. Drei Tage später sollen alle Stimmen ausgezählt sein. Insgesamt treten Hunderte Parteien an, die oftmals nur von sehr begrenzter lokaler Relevanz sind. Die zentrale Frage lautet aber, ob es der seit 2014 regierenden hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) gelingt, ein weiteres Mal eine klare Mehrheit zu erringen, um Premierminister Narendra Modi eine dritte Amtszeit zu ermöglichen.

Modi und seine Partei geben als Ziel mindestens 370 Sitze an, 400 oder mehr sollen es für das von der BJP angeführte Bündnis, die National Democratic Alliance (NDA), werden. Mit einer solchen Mehrheit könnten die Hindu-Nationalisten nach Belieben die Verfassung ändern, und sie machen gar keinen Hehl daraus, dass sie das auch täten. Für viele im Land klingt das wie eine Drohung. 2019 hatte die BJP 303 Mandate errungen, die NDA kam auf rund 350. Die liberale und linke Opposition will einen erneuten Triumph Modis unbedingt verhindern. Es gehe schlicht um die Verteidigung der Demokratie, heißt es immer wieder. »Auf der einen Seite steht die BJP, die über diese Wahl eine Diktatur im Land etablieren will, und auf der anderen Seite die INDIA-Allianz, die dagegen ankämpft«, sagt Gopal Rai, ein Führungsmitglied der zum Oppositionsbündnis gehörenden Aam Aadmi Party, die aus der einstigen Antikorruptionsbewegung hervorgegangen ist. Der Erfolg der hindu-nationalistischen BJP spiegelt die tiefe Krise wider, in der sich die lange Zeit das politische Geschehen prägenden Kongresspartei (Indian National Congress, INC) ebenso befindet wie die traditionelle Linke rund um die beiden wichtigsten kommunistischen Parteien CPI-M und CPI.

Der Aufstieg des Chai-wallah

»Ich komme ja selbst aus ärmlichen Verhältnissen«, sagt Modi, inzwischen 73 Jahre alt, bei etlichen Gelegenheiten. Den Satz spricht er aus Kalkül, denn damit will der Premier sich und seine Herkunft vom wohlsituierten Nehru-Gandhi-Clan des INC – Indiens »First Family«, die bisher drei Premierminister gestellt hat – betont absetzen. Die solcherart vermittelte Botschaft, lautet, Modi sei doch »einer von uns«, und sie verfängt seit Jahren. Es ist die Geschichte des Aufstiegs vom Chai-wallah zum Regierungschef. Dass er der Sohn eines Teehändlers ist, der das Aufgussgetränk am Bahnhof der Heimatstadt verkaufte, ist unbestritten. Ebenso, dass der kleine Narendra immer wieder im Familiengeschäft ausgeholfen hat. Das aber, anders als oft dargestellt, erst nach Ende des Schulunterrichts.

Die BJP, noch vor der Kommunistischen Partei Chinas die mitgliederstärkste Partei der Welt, verhält sich zu ihrem Spitzenmann unbedingt loyal, seine Popularität sichert und mehrt ihren landesweiten Einfluss, heute auch in Gegenden, in denen sie früher kaum präsent war. Die Partei steht an der Spitze eines Bundes aus diversen Verbänden, der gemeinhin als »Safranbrigade« apostrophiert wird. Hindu-nationalistisch ausgerichtet sind alle diese Organisationen, beseelt vom unbedingten Glauben, dass Indien in erster Linie die Heimstatt der Hindus ist und sich daher alle anderen religiösen Gemeinschaften unterzuordnen haben. Am radikalsten treten in dieser Hinsicht die Mitglieder von Bajrang Dal und von Vishva Hindu Parishad (VHP), dem Welthindurat, auf. Angehörige beider Gruppen waren nachweislich in führender Rolle an den antimuslimischen Pogromen beteiligt, bei denen 2002 in Modis Unionsstaat Gujarat mehr als 2.000 Menschen ums Leben kamen.

Die »Mutterorganisation« insbesondere der BJP ist der »Reichsfreiwilligenbund« (Rashtriya Swayamsevak Sangh, RSS), eine 1925 gegründete, streng hierarchisch strukturierte Kaderorganisation, die bisweilen als faschistisch charakterisiert wird und laut BBC »das größte Freiwilligenkorps der Welt« ist. Zwar besteht keine formale Mitgliedschaft, Experten gehen aber davon aus, dass fünf bis sechs Millionen Inder mit dem RSS verbunden sind. Mehr als eine halbe Million Menschen kommen zu den sogenannten Shakhas, täglichen Zusammenkünften, bei denen ein unbedingter Korpsgeist geformt und das Bewusstsein für Indiens Auserwähltheit in seiner mehr als 5.000jährigen glorreichen Geschichte geschaffen werden soll. Bei solchen Treffen finden sich Familienväter ebenso ein wie Kinder und Jugendliche oder Rentner, die womöglich schon mehr als ihr halbes Leben der Truppe angehören. »Wir haben unsere Mitgliederzahl in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt«, sagte Arun Kumar, nationaler PR-Chef der Organisation, bereits rund um Indiens Unabhängigkeitstag im August 2019 gegenüber einem Reporter der größten südindischen Tageszeitung The Hindu. Der Zulauf habe aber nicht erst mit dem Modi-Boom eingesetzt, fügte er damals hinzu.

Spürbar ist allerdings, dass der Modi-Faktor den Trend nachhaltig verstärkt hat. Als sich die Organisation vor fast 100 Jahren gründete, waren daran gerade einmal 17 Personen beteiligt. Man traf sich im zentralindischen Nagpur im Haus des radikalen Arztes Keshav Baliram Hedgewar (1889–1940). Heute ist daraus eine Massenorganisation geworden, die viele im Land als gefährlich einstufen. Nicht nur, weil in manchen RSS-Camps der Waffengebrauch geübt wird, sondern schon aufgrund der gezielten Indoktrination gepaart mit der Einübung »mentaler und körperlicher Fitness«, wie sie bei den Shakhas immer wieder zentral ist. Hedgewar war es bei der Gründung vor allem noch um ideologische Vorbereitungen durch seinen Zeitgenossen Vinayak Damodar Savarker (1883–1966) gegangen, eine der führenden Figuren der hindu-nationalistischen Partei Hindu Mahasabha, die mit ihrer Vorstellung eines Hindu-Staates während des indischen Unabhängigkeitskampfes gegen die britische Kolonialmacht in Konkurrenz zum säkularen, bezüglich Religionen und Volksgruppen inklusiven Ansatz des INC unter Mohandas Karamchand »Mahatma« Gandhi und Jawaharlal Nehru stand.

Modi ist dem RSS bereits seit seinem achten oder neunten Lebensjahr verbunden. Zum Vollzeitkader der extremistischen Bewegung wurde er als junger Mann von Anfang 20. Die Organisation wurde gewissermaßen zu Modis Ersatzfamilie und half dem offiziell zölibatär Lebenden auch, sich aus einer schon in Kindheitstagen arrangierten Ehe zu lösen. Ohne diese spezielle Rückendeckung wäre wohl sein schneller Aufstieg in den Reihen der BJP nicht möglich gewesen. 1985, fünf Jahre nach ihrer Gründung – de facto handelte es sich um eine Neuformierung der früheren Bharatiya Jana Sangh, die 1977 in der ideologisch äußerst heterogenen Janata Party aufgegangen war –, trat er der Partei bei. Drei Jahre später war er bereits Generalsekretär der BJP im Bundesstaat Gujarat. In seiner Heimatregion trug er wesentlich dazu bei, der Partei 1995 zu einem fulminanten Wahlsieg zu verhelfen, der ihr erstmals die alleinige Regierung in einem indischen Teilstaat ermöglichte. (Heute regiert die Partei nicht nur den Bundesstaat, sondern auch rund zwei Drittel der Staatenregierungen oder ist zumindest an ihnen beteiligt.) Mit seinem Geschick stieg er in der Folge in die nationale Führungsriege auf, wurde 1998 gesamtindischer Generalsekretär und übernahm 2001 die Amtsgeschäfte als Chefminister in Gujarat. Seine neoliberale Politik machte den Staat für Kapitalinvestitionen attraktiv und sorgte so für eine positive ökonomische Entwicklung. Gerade diese Erfolge machten ihn im Wahljahr 2014 zum landesweiten Spitzenkandidaten der Partei.

Doch nicht nur der heute mächtigste Mann Indiens durchlief die Kaderschmiede RSS. Amit Shah, Innenminister und Exparteichef, der als engster Vertrauter Modis gilt, ist ebenso ein altgedienter RSS-Mann wie Verteidigungsminister Rajnath Singh. Wie die Onlinezeitung The Print in einem Hintergrundbeitrag vom Januar 2020 berichtete, hatten in der ersten Modi-Regierung ab 2014 von 66 Ministern und Staatssekretären der BJP 41 einen RSS-Hintergrund, im neuen Kabinett ab 2019 waren es dann 38 von 53. Damit war die Ministerriege stärker von dem rechten Korps geprägt als die BJP-Abgeordneten, bei denen nach Recherchen von The Print bloß bei rund einem Fünftel direkte Verbindungen zum RSS bestanden.

Bharat versus Indien

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1947 galt Indien immer als ein Land betonter Vielfalt. Selbst nach der Abspaltung Pakistans (einschließlich des erst 1971 zum eigenen Staat gewordenen Bangladesch) sollte das Land nicht nur für die der Zahl nach deutlich dominierende Hindu-Bevölkerung, sondern auch allen religiösen Minderheiten eine Heimat sein – ob Muslime, Sikhs, Christen, Parsen, Jains, Buddhisten oder andere. Ausdrücklich auch für die unzähligen indigenen Gruppen, die in manchen Gebieten sogar eine Mehrheit stellen und denen, offiziell unter »Scheduled Tribes« subsumiert, auch einige verfassungsmäßig garantierte Schutzrechte zugestanden werden. Sicher gab es fortwährend Konflikte zwischen den Gruppen, doch der säkulare Charakter des Staates war allgemeiner Konsens. Den stellt die BJP mit wachsender Entschlossenheit in Frage. Dem Indien der Vielfalt stellt sie unmissverständlich ihr Konzept von Bharat entgegen, also von einem Staatswesen unter klarer Hindu-Vorherrschaft. Das soll als Kampfansage verstanden sein.

Droupadi Murmu, die der Partei angehörende Staatspräsidentin, hatte bei einer Einladung zu einem hochoffiziellen Event diese Bezeichnung als Landesname gewählt und damit diplomatische Irritationen ausgelöst und offene Kritik geerntet. Denn Bharat impliziert im historischen Kontext Gebietsansprüche gegenüber den Nachbarn. Bei Murmu ist nicht ganz klar, ob der Beinahe-Eklat Absicht oder Unbedachtheit war. Andere Spitzenpolitiker der BJP ziehen mit diesem Begriff aber sehr bewusst in den Kampf um die Frage, welches Selbstverständnis von Indien in Zukunft begrifflich vorgestellt werden soll. Lediglich vor einer offiziellen Umbenennung schreckt man einstweilen noch zurück. Indiens Muslime als mit Abstand größte Minderheit – 220 Millionen Menschen, also rund 16 Prozent der Gesamtbevölkerung – befürchten derweil weitere Schikanen, mittelfristig vielleicht gar den Entzug ihrer Bürgerrechte. Als eine Vorstufe dazu wurde das Mitte März unter Protesten in Kraft gesetzte Einbürgerungsgesetz für religiös verfolgte Flüchtlinge aus Pakistan, Afghanistan und Bangladesch gesehen. Innenminister Amit Shah und andere dementieren, dass solche Pläne existieren.

Politik der Ungleichheit

Ideologisch durch und durch hindu-nationalistisch aufgestellt, ist die Modi-BJP wirtschaftspolitisch stramm neoliberal ausgerichtet. In ihrer Regierungszeit hat sie mit dem weiteren Rückzug des Staates aus der einst von Nehru begründeten gemischten Wirtschaft, bestehend aus einem privaten, einem staatlichen und einem starken genossenschaftlichen Sektor, fortgesetzt, was mehrere Regierungen vor allem unter INC-Führung schon ab 1991 eingeleitet hatten. Wenn sich die Kongresspartei heute im Wahlkampf betont an die Seite der wieder seit Wochen protestierenden Bauern stellt, so ist das mit Blick auf eigene Entscheidungen in der Zeit vor Modi nicht ganz aufrichtig. Wahr ist aber auch, dass sich in dessen Regierungszeit die Angriffe auf die gewerkschaftliche Mitbestimmung in Betrieben und auf fixierte Schutzrechte beispielsweise der indigenen Gruppen weiter verschärft haben und eine Öffnung für ausländisches Kapital weiter forciert wurde.

Die wirtschaftspolitische Bilanz im boomenden Erfolgsstaat Gujarat sicherte Modi bei den gesamtindischen Wahlen 2014 den beträchtlichen Stimmenzuwachs für seine Partei. Die Hoffnung, die dortige Politik, die zum Wirtschaftswachstum geführt haben soll, könne als Blaupause für das ganze Land dienen, war damals ein Haupttreiber bei der Wahlentscheidung. Auf den ersten Blick mag der Premier diese Erwartungen tatsächlich erfüllt haben. In kaum einer anderen Gegend der Welt wächst die Wirtschaft in solchem Maße wie in Indien. Im letzten Quartal 2023 waren es 8,4 Prozent, im vorangegangenen Quartal 7,6 Prozent. Ein Wachstum in vergleichbarer Größenordnung wird auch für das gesamte Jahr 2024 erwartet.

»Unsere Bemühungen dauern an, schnelles ökonomisches Wachstum zu erzeugen, das 1,4 Milliarden Indern hilft, ein besseres Leben zu führen«, hatte Modi bei Bekanntgabe dieser Quartalszahlen verkündet. Zwar lässt sich schwer leugnen, dass auch die indische Mittelschicht in den vergangenen Jahren breiter geworden ist, doch nach wie vor profitiert ein kleiner elitärer Kreis am stärksten von der BJP-Politik. Die an der Börse in Mumbai registrierten Topunternehmen des Landes brachten es am Ende des vergangenen Jahres auf einen neuen Gesamtwert von umgerechnet mehr als vier Billionen US-Dollar. Und laut einer Prognose der Immobilienberatungsfirma Knight Frank dürfte die Zahl der superreichen Inder mit einem Vermögen von mindestens 30 Millionen Dollar bis 2028 nochmals um 50 Prozent anwachsen, so rasant und erheblich wie in keinem anderen Land der Welt.

Auf der Gegenseite ist nach jüngsten Erhebungen der Weltbank zwischen März und September 2023 die Zahl der von extremer Armut betroffenen Menschen (2,15 US-Dollar und weniger pro Tag) in ganz Südasien von 161 auf 196 Millionen Menschen gestiegen – 70 Prozent von ihnen entfallen auf Indien. In der nächsthöheren Armutsgruppe (bis 3,65 US-Dollar) stieg die Zahl von 788 auf 814 Millionen Menschen. Zwischen 2017 und 2021 schwankte die allgemeine Armutsquote immer irgendwo zwischen zehn und 15 Prozent, anstatt weiter zu sinken, wie das zwischen 1993 und 2011 tatsächlich der Fall war, als sich der Anteil der Armen von 48 auf etwa 23 Prozent mehr als halbiert hatte.

Für solche Zustände wird der politische Gegner verantwortlich gemacht. Der INC sei »die Ursache aller Probleme Indiens«, er sei »wie bitterer Kürbis«, dessen Geschmack sich selbst mit Zucker nicht ändern lasse, griff Modi den Konkurrenten zum Auftakt seiner BJP-Wahlkampagne im Unionsstaat Maharashtra – dort, wo die Wirtschaftsmetropole Mumbai liegt – am 8. April an. Die eigene Regierungszeit wiederum wird als reine Erfolgsgeschichte präsentiert.

Kampf um Lehrpläne

Wohin gerade gesellschaftspolitisch die Reise unter Modi und Co. weitergehen dürfte, ließ sich auch anhand der Schlagzeilen wenige Tage zuvor erahnen. Da hatte die Meldung die Runde gemacht, der National Council for Educational Research and Training (NCERT) habe weitere Lehrplanänderungen beschlossen. So sollen ganze Passagen aus Schulbüchern entfernt werden, in denen beispielsweise an die Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya durch einen Hindu-Mob Ende 1992, der Hunderte Todesopfer forderte, oder an die antimuslimischen Pogrome in Modis Heimatregion Gujarat 2002, denen rund 2.000 Menschen zum Opfer fielen, erinnert wird. Bereits im vergangenen Oktober hatten Meldungen für Aufregung gesorgt, dass eine besonders radikale Fraktion der obersten nationalen Bildungshüter im NCERT sogar die Verwendung von »Bharat« in den Schulbüchern favorisiere.

»Indiens religiöse Minderheiten stehen unter Attacke«, hatte die Zeitschrift Foreign Policy schon im Dezember 2021 in einem Beitrag getitelt. Ganz ähnlich äußern sich nunmehr auch internationale Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch (HRW): »Die diskriminierende und spalterische Politik der BJP-Regierung hat zu einem Anstieg der Gewalt gegen Minderheiten geführt, sie erzeugt eine tiefgreifende Stimmung der Angst und eine abschreckende Wirkung auf Kritiker«, konstatierte im Januar Meenakshi Ganguly, HRW-Vizeregionaldirektorin für Asien. »Anstatt Schuldige zur Verantwortung zu ziehen, bestrafen die Behörden die Opfer und verfolgen jeden, der diese Aktionen in Frage stellt.« Kritisiert werden unter anderem Einschüchterungsversuche und fragwürdige Anschuldigungen gegenüber Oppositionellen oder unliebsamen Medienvertretern. An die Verhaftung von Arvind Kejriwal von der oppositionellen Aam Aadmi Party, Chefminister von Delhi, in der zweiten Märzhälfte war da noch nicht einmal zu denken. Im Oktober zuvor war gegen die Führung des regierungskritischen Nachrichtenportals Newsclick auf der Grundlage des Antiterrorismusgesetzes ermittelt worden.

Als einen der größten Erfolge ihrer Regierungszeit haben Modi und die BJP-Spitze im Januar die Einweihungsfeier des riesigen Ram-Janmabhoomi-Tempels in Ayodhya inszeniert. Das Hindu-Heiligtum zu Ehren des Gottes Ram, des Dämonenbezwingers aus dem uralten Heldenepos Ramayana, steht nun an der Stelle der 1992 zerstörten Babri-Moschee. Rahul Gandhi und andere Führungspersönlichkeiten des INC hatten ebenso wie weitere namhafte Oppositionelle die Einladung zu einer Teilnahme an dem Event ausgeschlagen und müssen sich dafür aus den Reihen der BJP den Vorwurf »antinationalen Verhaltens« gefallen lassen. Smriti Irani, zunächst bis 2016 Bildungsministerin und seither im Kabinett für die Textilbranche zuständig, unterstellte Rahul Gandhi sogar Verbindungen zu der als terroristisch verbotenen Popular Front of India. Die Exschauspielerin, die sich als besonders streitlustige BJP-Ikone für keine Verbalattacke zu schade ist, hatte dem Erben des Nehru-­Gandhi-Clans 2019 den »Familienwahlkreis« Amethi abgenommen.

Die zwei Dutzend Oppositionsparteien der vom INC dominierten INDIA-Allianz haben sich vielerorts auf ein abgestimmtes Antreten ohne gegenseitige Konkurrenz verständigt. Das mag helfen, eine Zersplitterung der Stimmen gegen BJP-Kandidaten zu verhindern. Doch nach bisherigen Prognosen der Umfrageinstitute ist einzig die Frage noch offen, wie stark der Wahlsieg von Modi ausfallen wird.

Thomas Berger schrieb an dieser Stelle zuletzt am 14. Februar 2024 über die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Indonesien.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. April 2024 um 10:54 Uhr)
    Im wahrscheinlichen Fall eines dritten Wahlsiegs könnte die hindu-nationalistische Regierung Indiens die säkulare Verfassung ändern – und hier liegt das eigentliche Problem! Der Premier und seine Indische Volkspartei (BJP) stehen unerschütterlich auf dem Fundament der Hindutva-Ideologie. Diese Ideologie postuliert, dass Indien auf der Grundlage eines kulturellen, religiösen und politischen Hinduismus regiert werden müsse. Im Weltbild der Hindu-Nationalisten werden Islam und Christentum als ausländische, also un-indische Religionen betrachtet. Premier Modi setzt damit eher auf Spaltung, indem er Hindu-Nationalismus gegen die demokratischen Einheitsbestrebungen des Riesenlandes stellt. Obwohl das endgültige Wahlergebnis erst am 4. Juni verkündet wird, hat Modi bereits jetzt seine Siegesfeier als »zweites Holi-Fest« deklariert. Mit Holi feiern Hindus traditionell den Triumph des Guten über das Böse.

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