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Aus: Ausgabe vom 17.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Meinungs- und Kunstfreiheit

»Kunst sollte reflektiert und kritisch sein«

Über Dichtung, den Nahostkonflikt und den Umgang mit der Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland. Ein Gespräch mit Faten El-Dabbas
Von Mawuena Martens
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»Meine Texte sind Momentaufnahmen« – Faten El-Dabbas auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2024

Als Spoken-Word-Künstlerin tragen Sie ihre lyrischen Texte vor Publikum vor, zum Beispiel am 18. April in der Maigalerie der jungen Welt. Worum geht es in Ihrer Dichtung? Und was wollen Sie mit Ihren Texten und Aufführungen bewirken?

In meinen Texten geht es um gesellschaftskritische Themen, die Verstand und Herz erreichen sollen. Das heißt, ich versuche mit meinen Texten zu informieren, andere bzw. ungesehene Perspektiven und Lebensrealitäten aufzuzeigen und dafür mehr Verständnis zu erwecken. Meine Texte sind das Ergebnis meines persönlichen sowie des kollektiven Empfindens als palästinensische, arabische, muslimische Frau in Deutschland. Dabei nehme ich auch andere Identitäten an, beispielsweise die eines Kindes, das aus seiner Heimat nach Deutschland fliehen musste, oder die einer Mutter in Gaza. Dadurch kann ich diesen Menschen eine Stimme geben und auf ihre Schicksale aufmerksam machen, da sie in den deutschen Medien keine Erwähnung finden.

Wie sind Sie zum Dichten gekommen?

Die Leidenschaft zum Dichten kam durchs Lesen der Werke des aus meiner Sicht einflussreichsten palästinensischen Lyrikers Mahmud Darwish. Er brachte mir mit seinen Gedichten meine Heimat Palästina näher und weckte eine starke Sehnsucht in mir, obwohl ich bis zu meinem 22. Lebensjahr nie dort gewesen war. Er sagte mal: »Mut ist, Waffen mit Worten zu begegnen.« Dieses Zitat wurde mein Leitgedanke. Worte haben eine mächtige Wirkung. Deshalb sollte Kunst reflektiert und kritisch sein.

Wie läuft der Prozess der Dichtung ab? Gibt es einen bestimmten Auslöser oder machen Sie das systematisch? Und erscheint das gesamte Gedicht sofort vor dem inneren Auge, oder sind es einzelne Fetzen, die Sie sammeln und dann zusammensetzten?

Es gibt beide Varianten. Ich ­schreibe aber überwiegend anlassbezogen und lasse mich von meinen Gefühlen treiben. Deshalb gelingt es mir wahrscheinlich auch gut, schwierige bzw. schwer verdauliche Themen so zu verpacken, dass individuelle Schicksale im Vordergrund stehen und die Zuhörer eine Art Beziehung zu diesen Menschen aufbauen und damit Empathie entwickeln können. Manchmal kommt es aber vor, dass ich einen Auftrag bekomme, einen Text zu einem konkreten Thema zu schreiben. Das funktioniert dann nur systematisch, und da arbeite ich auch mehrere Tage an dem Text, bis ich inhaltlich und sprachlich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Die gefühlsgeleiteten Texte entstehen dagegen fast in einem Rutsch, sind aus einem Guss.

In wie vielen Sprachen dichten Sie? Und sind die Schriftstücke auch so etwas wie ein Ventil für Sie persönlich?

Ich schreibe überwiegend auf Deutsch, manchmal auch auf Englisch. Das liegt daran, dass meine Zielgruppe ja auch die sogenannte Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ist … Meine Texte sind Momentaufnahmen, die sehr stark meine Gefühlslage widerspiegeln. So dominiert meistens in kurzen Gedichten meine Wut, Enttäuschung und Trauer, hier schreibe ich in erster Linie für mich selbst, um zu verarbeiten. In den überwiegend längeren Spoken Words für die Bühne ist fast das gesamte Gefühlsspektrum zu erkennen, wobei ich am Ende oftmals bewusst mit der Hoffnung abschließe.

Hat sich seit dem 7. Oktober etwas geändert in dem Sinne, dass Sie Absagen von Veranstaltern erhalten haben?

Das zwar nicht, aber mir ist es in der Vergangenheit schon zwei Mal passiert, dass es Antisemitismusvorwürfe gegen mich gab und die Veranstaltungen abgesagt wurden, weil eine Person die Veranstalter darum gebeten hatte.

Hat das etwas mit antipalästinensischem Rassismus zu tun?

Definitiv, denn die Absagen fanden statt, ohne dass sich mit meinen Texten auseinandergesetzt wurde. Es reicht bereits aus, Israel öffentlich für seine Politik zu kritisieren und die Fakten beim Namen zu nennen: Gaza ist das größte Freiluftgefängnis der Welt, auch die Westbank und Ostjerusalem werden besetzt, und Palästinenser mit israelischem Pass sind als Bürger zweiter Klasse der Willkür Israels ausgesetzt.

Wie haben Sie auf diese Vorfälle reagiert? Und was macht das mit Ihrer Kunst?

Es ist extrem frustrierend, weil ich mich mit meiner Kunst als Vermittlerin sehe, die Brücken bauen will, über die die Zuhörer dann gehen können. Gleichzeitig ist es auch verletzend, da die Veranstalter in beiden Fällen die Entscheidung trafen, mich wieder auszuladen, ohne vorher das persönliche Gespräch mit mir zu suchen. Die Meinungs- und Kunstfreiheit hat in Deutschland einen hohen Stellenwert, nur nicht, wenn es um Palästina und Israel geht.

Spoken-Word-Performance mit Faten El-Dabbas am 18. April in der jW-Maigalerie, Torstr. 6, Berlin-Mitte, 19 Uhr

Faten El-Dabbas ist deutsch-palästinensische Spoken-Word-Künstlerin, Autorin und Politologin

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