Geheimdienst sucht Spione
Von Dieter Reinisch, WienIn kaum einer Stadt der Welt gibt es eine höhere Geheimdienstdichte als in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien. Nach unterschiedlichen Schätzungen könnten es bis zu 7.000 Mitarbeiter »ausländischer Nachrichtendienste« sein, wie es das Innenministerium bezeichnet. Wie die Behörden auf diese Zahl kommen, verraten sie nicht. Zumeist werden Mitarbeiter von Botschaften unliebsamer Länder pauschal als Spione eingestuft. So sollen etwa alle Mitarbeiter der russischen Botschaft von österreichischen Behörden mittlerweile als potentiell feindliche Agenten geführt werden.
Arbeit für ausländische Geheimdienste ist eine strafbare Handlung. Dennoch treten die Mitarbeiter des Mossad und anderer israelischer Geheimdienste als Beobachter propalästinensischer Versammlungen oft gemeinsam mit der Wiener Polizei auf. Zumeist stört dies niemanden in der politischen Landschaft Österreichs. Erst knapp vor Ostern war ein gebürtiger Palästinenser mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Linz aufgrund enger Geheimdienstkooperation zwischen Österreich, Großbritannien und den USA verhaftet worden. Geht es um Russland, führt dessen angebliche Arbeit in Österreich jedoch zu heftigem Aufschrei in Politik und Medien.
Seit Tagen dominiert kaum ein anderes Thema die Nachrichtensendungen des Landes: Im österreichischen Geheimdienst soll es einen »russischen Spionagering« gegeben haben, ist zu vernehmen. Der Auslöser war Egisto Ott, ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, der für den nach Russland abgesetzten ehemaligen Wirecard-Chef Jan Marsalek gearbeitet und mutmaßlich seine Informationen an Russland verkauft haben soll. Nahezu alle Vorwürfe gegen Ott sind derzeit unbewiesen.
Die Wiener Wochenzeitung Falter berichtet von »beträchtlichen Bareinzahlungen« auf das Konto des Kärntners: »Zwischen 2015 und 2017 betrugen die Bareinzahlungen durchschnittlich circa 93.000 Euro jährlich.« In den folgenden Jahren sollen sie sich auf rund 28.000 Euro im Jahr reduziert haben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), wie der heute Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst genannte österreichische Geheimdienst damals hieß, soll Ott bereits 2017 auf der Spur gewesen sein. Der damalige BVT-Chef Peter Gridling habe damals einen Tip eines »befreundeten Dienstes« erhalten, wonach es ein Leck gebe. Ott wurde für acht Monate suspendiert. Zwei weitere Male wurde er freigestellt und schließlich versetzt. Enge Kontakte zur rechten FPÖ, vor allem zum Abgeordneten Hans-Jörg Jenewein, hielt Ott weiter.
Im Januar 2021 kam dann die erste Festnahmeanordnung. Nachdem der Wirecard-Skandal um Marsalek aufgeflogen war, soll ein bulgarischer Mitagent über ein »russisches Spionagenetzwerk in Österreich unter der Leitung von Marsalek« ausgesagt haben. Ott wurde am Karfreitag 2023 verhaftet. Involviert soll auch sein ehemaliger Abteilungsleiter Martin Weiss sein. Der soll Marsalek zur Flucht nach Russland verholfen und sich selbst nach Dubai abgesetzt haben. Gemeinsam mit Ott war er zuständig für »Terrorismusbekämpfung und verdeckte Ermittlungen«.
Ott soll ab 2015 mehr als 300 Anfragen aus der Sicherheitsdatenbank an Russland weitergeleitet haben. Neben Auskünften über transatlantische Journalisten soll sich darunter auch mehr als ein Dutzend Anfragen über Aktivisten des sogenannten antideutschen Spektrums befunden haben. Brisant: Von 2009 bis 2012 war Ott Verbindungsoffizier in Rom und Ankara und konnte dadurch internationale Kontakte schließen. Von seiner Suspendierung 2017 wollen die Geheimdienste Italiens und Großbritanniens dann nichts gewusst und ihn weiterhin mit Informationen versorgt haben.
Am Dienstag forderten alle Parteien einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Causa, nachdem dem Parlament die Prozessakte von Ott übergeben worden war. Dieser soll nach der Wahl im Herbst eingesetzt werden. Doch nicht nur Ott bereitet derzeit in Österreich Kopfschmerzen. Wie der Spiegel kürzlich berichtete, ist der Grund für die grassierende Migräne in der US-Botschaft in Wien, weltweit bekannt als »Havanna-Syndrom«, nun endlich gefunden: Das sollen auch die Russen gewesen sein.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ernst A. (17. April 2024 um 07:36 Uhr)Volksverräter in Richtung Russland? An die Spitze der Kampagne »Jagd auf russische Spione« haben sich die Grünen gesetzt. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im österreichischen Parlament, Sigrid Maurer, im Ö1 »Abendjournal« vom 16. April zu Kickl: »Er bezeichnet sich ja selber als Volkskanzler, ich glaube aber er ist eher ein Volksverräter in Richtung Russland.« Man sollte von Maurer annehmen, sie sei politisch gebildet und hätte eine Ahnung von Geschichte. Wenn sie nun den Begriff Volksverräter, den zuletzt die Nazis in ihrer Propaganda verwendeten und in ihren Terrorgesetzen zur Rechtfertigung von politischem Mord gebrauchten, in ihrer Polemik einsetzt, zeigt das ihre politische Ruchlosigkeit. Wird sich Maurer demnächst auf Teilnehmer von Kundgebungen zum Tag des Sieges am 9. Mai wegen deren Russlandnähe einschießen und zur Hatz auf die »Volksverräter« aufrufen?
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