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Aus: Ausgabe vom 17.04.2024, Seite 2 / Inland
Reaktionäres Preußentum

»Rechte Preußen-Fans fühlen sich hier sehr wohl«

Potsdam: Initiative setzt Widerstand gegen Wiedererrichtung der Garnisonkirche fort. Kritik an Stiftung. Ein Gespräch mit Sara Krieg
Interview: Kristian Stemmler
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Als »Tag von Potsdam« bekannter Staatsakt mit Adolf Hitler (Mitte) und Reichspräsident Paul von Hindenburg in der Garnisonkirche (21.3.1933)

Im wiederaufgebauten Turm der Potsdamer Garnisonkirche ist am Ostermontag mit der Kapelle der erste Teilbereich eröffnet worden. Ihre Initiative hat dagegen demonstriert und die »kirchliche Aufmachung« kritisiert. Was meinen Sie damit?

Die geplante Nutzung als Kirche wird oft als Argument für den Wiederaufbau herangezogen. Potsdam hat jedoch keinen Bedarf an einer weiteren Kirche. Jener Faktor wird auch betont, um einen Vertrauensvorschuss für die inhaltliche Arbeit zu erhalten, so als wäre die Kirche von Natur aus besonders qualifiziert, einen Gedenk- und Bildungsort zu betreiben. Das Gegenteil ist der Fall. Die Rechtsform der kirchlichen Stiftung entzieht zudem das Projekt der öffentlichen Kontrolle.

Die Garnisonkirche war nach dem Ende des Kaiserreiches eine Wallfahrtsstätte für Reaktionäre und Militaristen. Und hier wurde im März 1933 der Pakt von Faschisten und Konservativen öffentlich besiegelt.

In der Weimarer Republik war die Garnisonkirche ein Hauptquartier nationalistischer, militaristischer, antisemitischer und demokratiefeindlicher Vereinigungen. Hier fand bereits im November 1919 eine große Gegenveranstaltung zur Weimarer Nationalversammlung statt, bei der rechte Weltkriegsverlierer sich auf den Kampf gegen die Demokratie einschworen. Beim »Tag von Potsdam« am 21. März 1933 war die Garnisonkirche Schauplatz der Machtübergabe von Reichspräsident Hindenburg an Adolf Hitler und wurde dadurch als »Geburtsstätte des Dritten Reichs« bekannt.

Der heutige Pfarrer der Kirche spricht von einem »deutlichen Bruch mit der Geschichte vor 1945«. Das ursprünglich in rechten Kreisen angestoßene Wiederaufbauprojekt sei den Initiatoren aus der Hand genommen worden und werde ein »Friedens- und Demokratiezentrum«. Wie sehen Sie das?

Warum überhaupt ein rechtes Projekt in die Hand nehmen? Das sind typische PR-Sätze der Stiftung. Sie hat jedoch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die erste Gelegenheit für einen Bruch wäre die Architektur gewesen. Friedensarbeit braucht keinen Turm, aber sie wollen den Turm unbedingt originalgetreu wiederherstellen, inklusive Waffenschmuck. Dazu brauchte es das absolute Minimum eines inhaltlichen Konzepts, um Gelder einzuwerben. Die Bildungsarbeit der Stiftung ist weit entfernt von den Standards renommierter Gedenkstätten. Die Abgrenzung von den rechtsextremen Initiatoren ist bestenfalls halbherzig.

Warum engagiert sich die bei anderen Gelegenheiten sehr um ein modernisiertes Image bemühte Evangelische Kirche bei dem Projekt so sehr?

Das Engagement der Evangelischen Kirche geht auf den ehemaligen Landesbischof und EKD-Rastvorsitzenden Wolfgang Huber zurück, der die Übernahme des Projekts maßgeblich vorangetrieben hat. Zu seinen Beweggründen kann ich nur spekulieren. Womöglich wollte er sich durch die »Konversion« der Garnisonkirche stellvertretend mit seiner eigenen NS-Familiengeschichte versöhnen. Im übrigen Kirchenumfeld sehe ich eine Mischung aus patriarchalen Machtdynamiken, Korpsgeist und Ignoranz. Das Eingeständnis eines Fehlers wäre ein zu großer Gesichtsverlust.

Sie haben auch auf das Treffen von Faschisten und Konservativen in Potsdam im November hingewiesen. Droht die Stadt wieder zu einem Pilgerziel für Reaktionäre zu werden?

Potsdam ist das bereits. Die Stadt ist ein beliebter Wohnort für die Alexander Gaulands und Kai Diekmanns dieser Welt. Erst kürzlich gründete eine kleine Männergruppe hier einen preußischen Traditionsverein. Die laufen mit maßgeschneiderten Uniformen aus der Kaiserzeit herum. Rechtskonservative Preußen-Fans fühlen sich hier sehr wohl und üben auch erheblichen Einfluss auf die Stadtentwicklung aus.

Die Teilrekonstruktion der Garnisonkirche fällt in eine Zeit, in der das Land wieder »kriegstüchtig« werden soll. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Das Wiederaufbauprojekt geht weiter zurück als die aktuelle Aufrüstungsdebatte. Aber selbstverständlich war, ist und bleibt die Garnisonkirche ein Symbol der Sehnsucht nach einem kriegstüchtigen Deutschland.

Sara Krieg ist Sprecherin der »Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche«

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