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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Umweltverschmutzung

Abort Ozean

Studie schätzt Menge von Plastikabfällen auf dem Grund der Weltmeere
Von Felix Bartels
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Deponie. Auf dem Grund der Ozeane dürften sich mittlerweile zwischen drei und elf Millionen Tonnen Plastikmüll befinden

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann müllen sie noch heute. So oder so ähnlich dürften gesammelte Märchen über die Menschheit enden, sollte es je eine Edition in die Zentralbibliothek der pangalaktischen Weltraumbehörde schaffen. Dass er Abfall macht, der nicht so leicht und organisch vom Kreislauf der Natur absorbiert werden kann, ist eine der Fähigkeiten, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Eine andere, die er dem Tier voraushat, wäre, dieses Problem lösen zu können. Wie überhaupt der Glanz der Menschheit als Krone der Schöpfung zum großen Teil darin besteht, Probleme zu lösen, die es ohne sie kaum gäbe. Die Lilien auf dem Feld, wusste schon Matthäus, haben diese Art Sorgen nicht. Sie sind einfach bloß da, wachsen und vergehen, kommen auch ohne die Menschen ganz gut zurecht. Andererseits: Mensch sein ist Zweck genug, und die Natur zu schonen macht man nicht der Natur zuliebe, sondern weil sie gebraucht wird, damit wir einigermaßen frei von Vergiftung leben können.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind die ordinären Probleme der Umweltverschmutzung im Angesicht des universellen Problems der globalen Erwärmung in den Hintergrund getreten. Fast konnte man vergessen, dass es neben Treibhauseffekt, Kippunkten und Klimawandel auch weiterhin Luftverschmutzung, Desertifikation, Waldsterben oder Atommüll gibt. Kaum weniger drastisch ist die Sache mit dem Plastikmüll. Was leicht gesagt ist, da auch das jeder weiß, aber das Wissen beschränkt sich darauf, dass das Problem groß ist, wie groß es genau ist, weiß man gemeinhin schon weniger. Beim Plastikmüll wären zunächst mal Plastik und Mikroplastik zu unterscheiden, letztere Verschmutzung, jene unsichtbare durch Partikel, die man nicht sehen oder bemerken kann, ist direkt im menschlichen Körper angekommen. Der ordinäre Plastikmüll dagegen ist mit der Hand zu greifen und überwältigt das Auge. So eindrucksvoll allerdings die Plastikstrudel in den Ozeanen wirken, auch sie haben einen schwerer sichtbaren Anteil.

Im Durchschnitt gelangt etwa jede Minute Plastik im Volumen eines Müllwagens in die Weltmeere. Ein Teil treibt oberhalb, den bekannten Strömungen folgend, jenen Stellen zu, an denen der Unrat sich ballt. Der andere Teil sinkt auf den Meeresboden ab. Insgesamt dürften sich mittlerweile auf dem Grund der Ozeane zwischen drei und elf Millionen Tonnen Plastikmüll befinden, wie eine Studie der australischen Wissenschaftsbehörde CSIRO und der kanadischen University of Toronto ergeben hat.

Die im meeresbiologischen Fachjournal Deep Sea Research veröffentlichte Untersuchung basiert auf den Messungen ferngesteuerter Unterwasserfahrzeuge (Remote Operated Vehicles, ROV), durch die es zum ersten Mal gelungen sei, grob zu quantifizieren, wie viele Plastikabfälle auf den Boden der Ozeane gelangen und wo genau sie sich ansammeln, bevor sie in kleinere Stücke zerlegt und mit dem Meeressediment vermischt werden, erläutert die CSIRO-Forscherin Britta Denise Hardesty der Deutschen Presseagentur zufolge. »Wir wissen, dass jedes Jahr Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Ozeanen landen, aber was wir bisher nicht wussten, war, wieviel dieser Verschmutzung auf den Meeresboden gelangt«, so Hardesty. Die Studie definiert »Plastikmüll« als größere Gegenstände, Netze etwa oder Becher und Tüten, schließt also Mikroplastik aus.

Die Produktion von Kunststoffen hat im Laufe der Zeit exponentiell zugenommen, so dass voraussichtlich bis 2050 insgesamt 26.000 Millionen Tonnen erzeugt sein werden. Ungefähr die Hälfte dieses Kunststoffs wird zu Abfall werden. Der weltweite Kunststoffverbrauch wird sich demnach bis 2040 verdoppelt haben, daher sei es für den Schutz der marinen Ökosysteme und der Tierwelt darin von entscheidender Bedeutung, zu verstehen, wie und wohin Plastikmüll im Meer von den Strömungen geführt werde, heißt es in der Untersuchung. »Obwohl wir wissen, dass Millionen von Tonnen Plastik in die Ozeane gelangt sind, verstehen wir noch nicht die Muster ihrer Anhäufung und die Ursachen für diese Muster. Es wird davon ausgegangen, dass die Tiefsee ein Rastplatz oder ein Reservoir für den größten Teil der Plastikverschmutzung ist.« Die Studie versteht sich als erster Schritt, diese Wissenslücke zu schließen.

Die Plastikverschmutzung auf dem Meeresboden könnte den Schätzungen zufolge bis zu 100mal größer werden als die Menge Plastik, die an der Meeresoberfläche schwimme, sagte Alice Zhu, Doktorandin der Universität Toronto und leitend an der Studie beteiligt. Der Grund der Ozeane sei somit langfristig verschmutzt. »Das wird durch den extrem langsamen Abbau von Kunststoff in kalten Umgebungen noch verschärft, in denen es sowohl an Sauerstoff als auch an UV-Strahlung mangelt«, heißt es in der Studie. Etwa die Hälfte (46 Prozent) der geschätzten Plastikmasse befindet sich den Ergebnissen zufolge oberhalb von 200 Metern Wassertiefe, der Rest (54 Prozent) in den folgenden Meerestiefen von bis zu 11.000 Metern.

Die Studie könnte weitere Forschungen und Entwicklungen nach sich ziehen. Doch wie auch beim Klimawandel lassen die Probleme sich weder bloß technisch-ökonomisch noch rein national lösen. Analog zur historischen Klimaschuld gibt es eine historische Müllschuld. Hochentwickelte Länder, die die Industrialisierung vollzogen haben, besitzen in der jetzigen Phase ihrer Entwicklung nicht bloß bessere Möglichkeiten, auf umweltschonende Technologien umzustellen, sie haben die Umwelt auch Jahrzehnte vor den sogenannten Schwellenländern belastet. Die Forderung globaler Gerechtigkeit wird damit eine der globalen Ungerechtigkeit. Wirtschaftsstarke Staaten müssen nicht ihren gleichen Teil, sie müssen mehr leisten als jene Länder, deren Produktivkräfte weniger entwickelt sind. Für einen zwischenstaatlichen Modus, der dieses Verhältnis gerecht und auf Machbarkeit hin regelte, bedürfte es allerdings einer nachgerade selbstlosen Verpflichtung aller Staaten einem globalen Ganzen, genannt Menschheit, gegenüber, und das ist – man kann es nicht anders sagen – reine Utopie.

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