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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 8 / Ansichten

Sauber gerissen

Von Felix Bartels
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3.000 Jahre Warten hat sich gelohnt: Leverkusen ist Meister

Elfmal Bayern, jetzt Bayer. Etwas origineller hätte der Fußballgott sich schon zeigen dürfen. Bis zum Wochenende hatte das Vermächtnis Leverkusens sich darauf beschränkt, Zinedine Zidane eines der schönsten Tore der Fußballgeschichte ermöglicht zu haben. 2002 war das, im Jahr des Toppmöller, als die wenig honorige Legende vom ewigen Zweiten geboren wurde. »Vizekusen« oder wie man in England sagte: »Neverkusen«.

Zwischen damals und jetzt lagen Täler und Hügel. Dann kam der Mont Ventoux: Ohne nennenswertes Vorland erhebt sich der erste Meistertitel des Vereins in Hochgebirgsgröße. Bei genau null Ausschlag auf der Zitterskala. Ein Durchmarsch, und der Punkte­rekord der Bundesliga – 2013 schlossen die Bayern mit 91 ab – ist noch drin. Fünf Spieltage vor Schluss steht Leverkusen in allen drei Pflichtspielwettbewerben ungeschlagen, eindrucksvoller als etwa die Invincibles von Arsenal mit ihren zwölf Remis 2003/04. Xabi Alonso musste auf Glück nicht hoffen: ein strukturiertes, gleichwohl variables Spiel, eine organische Mannschaft, die jeden Spieler besser macht, eine Haltung, die nichts leichtnimmt. Man wird sehen, ob das in den kommenden Spielen, wenn es um nichts mehr geht, so bleibt.

Und die Bayern? Der Bruch war überfällig. Ihr Erfolg beruhte lange Zeit auf einer Methode, die Methode recht eigentlich nicht zu nennen wäre. In den neunziger Jahren arbeitete man mit einem Geldvorteil, der in sportliche Entwicklung aber nicht umgesetzt wurde. Man agierte de­struktiv, kaufte der Konkurrenz Spieler weg, ob die zur eigenen Mannschaft passten oder nicht.

Die Größe eines Vereins misst sich weniger an Titeln als vielmehr daran, ob er eine Spielidee hat, die beharrlich in allen ihren Teilen ausbuchstabiert wird, von Jugendarbeit über Scouting und Transfers bis hin zur Trainingsmethodik und dem Spiel auf dem Platz. Dass Bayern vor 2013 seine Dominanz am Markt nicht in eine beständige sportliche Dominanz umsetzen konnte, hat mit dem Fehlen einer solchen Spielidee und einem ihr entsprechenden organischen Ganzen zu tun. Mit Louis van Gaal änderte sich das, auch wenn er bald scheiterte. Jupp Heynckes stabilisierte die Methode, Pep Guardiola entwickelte sie fort. Von dieser Substanz profitierten die folgenden Trainer, seit 2016 ließ die Mannschaft erst kaum merklich, dann deutlich nach. (Flicks Coronasaison darf als nicht exemplarisch ausgeklammert werden.) Irgendwann musste dann einfach Schluss sein, der Verein war längst ins alte Muster zurückgefallen. Traurig für ihn, nicht für die Liga.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. April 2024 um 10:13 Uhr)
    Der »Werkself« thront nun als Meister auf dem Gipfel des Erfolgs. Der einstige Fluch ist endlich gebrochen, und »Vizekusen« gehört der Vergangenheit an: Die Überflieger von Bayer Leverkusen krönten ihre außergewöhnliche Saison mit der ersten deutschen Meisterschaft in der Vereinsgeschichte. Ohne jeden Zweifel gebührt Bayer Leverkusen die Ehre, deutscher Meister des Jahres 2024 zu sein! Die BayArena verwandelte sich in eine Festwiese, Freudentränen flossen, und die Spieler wurden wie Helden gefeiert. Zur Ehre des spanischen Trainers Xabi Alonso erklang in einem bewegenden Moment der Klassiker »Viva España« durch die Stadionlautsprecher – eine passende Hommage, denn Alonso hatte einmal mehr bewiesen, welch außergewöhnlicher Trainer er ist, als sein Team den finalen Schritt über die Ziellinie machte. Sportgeschäftsführer Simon Rolfes hat einen Kader zusammengestellt, der in allen Belangen überzeugte und stets die Spannung aufrechterhielt. Die Neuzugänge wie Xhaka, Grimaldo, Boniface und Jonas Hofmann hoben das Team auf ein neues Niveau und trugen maßgeblich dazu bei, Verletzungen und Formschwankungen auszugleichen. Mein Kompliment und ein dreifaches »Sport frei« für diese herausragende Leistung!
    • Leserbrief von Paul Vesper aus 52062 Aachen (16. April 2024 um 11:18 Uhr)
      Geld schießt doch Tore! Auch wenn es versteckt in die Bayer-Kasse fließt. Die Nachwuchsarbeit dieses Vereins ist am Geißbockheim des EFF-Cee seit Jahren schon auszumachen. Florian Wirtz ist nicht zu kritisieren; er muss (zusammen mit seinen Eltern) an seine Zukunft denken. Und die ist nun mal die klingende Münze. Ob Lukas Podolski anders gehandelt hätte? Das darf bezweifelt werden. Vizekusen hieß der Verein, weil er trotz des vielen Geldes kaum etwas gewonnen hat. Dieser Misserfolg war jahrein, jahraus sensationell. Warten wir einmal ab, wie die Dinge unter dem Bayer-Kreuz in der nächsten Saison und danach ohne Xabi Alonso laufen. Ich bekenne, ich mag diese Vereine – Leverkusen, Hoffenheim, RB Leizig – nicht. Sie und die Herren der FIFA mit ihrem VAR und den idiotischen Regeln (Handregel im 16-m-Raum!) sind die Totengräber unseres Sports. Kein Glückwunsch nach Bayerkusen! Paul Vesper, unregelmäßiger Besucher des Müngersdorfer Stadions seit 1955
  • Leserbrief von Hans-Peter Schneider aus Siegen (16. April 2024 um 08:52 Uhr)
    Gut und kenntnisreich geschrieben. Der Autor weiß, wovon er schreibt. Dies unterscheidet ihn von manchem Geschreibsel der sogenannten Fachmagazine. Respekt!

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