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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 5 / Inland
Postgesetz

Mafia auf vier Rädern

Bericht deckt »schwere strukturelle Kriminalität« bei Paketdiensten auf. Ampelkoalition will trotzdem nicht eingreifen
Von Ralf Wurzbacher
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Anfällig für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigungsformen: Die deutsche Paketbranche

Postdienste in Deutschland – ein bisschen wie die Mafia auf vier Rädern? Ein Bericht der Generalzolldirektion liefert erhellende Einblicke in eine Branche, in der krumme Machenschaften quasi zum Geschäftsmodell gehören. Aufgrund komplexer und weitverbreiteter Subunternehmerketten sei das Kurier-, Express und Paketgewerbe »anfällig für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigungsformen«, heißt es in einem Schreiben der Kölner Behörde an das Bundesfinanzministerium (BMF), aus dem am Montag die Rheinische Post (RP) zitierte. Karl-Josef Laumann, Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen (NRW), erinnern die Schilderungen an den »›Tatort‹ in der ARD«. Dabei mischt auch die Bundesregierung mit. Die weiß zwar um die Vorgänge, will aber dennoch von energischen regulatorischen Eingriffen absehen.

Dabei böte sich mit der gerade in der parlamentarischen Beratung befindlichen Novelle des Postrechtsmodernisierungsgesetzes die beste Gelegenheit, die Strukturen aufzubrechen. Zumal neben der Gewerkschaft Verdi auch die Bundesländer auf Änderungen des von der Ampel eingebrachten Entwurfs pochen, die speziell auf ein Verbot des Einsatzes von Fremdpersonal mittels sogenannter Werkverträge gerichtet sind. Mit dem Instrument wird Personal zu weitaus schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen als die Stammbelegschaften in den beauftragenden Unternehmen beschäftigt. Nach Auffliegen des in der Fleischindustrie lange Zeit grassierenden Ausbeutersystems – Tönnies-Skandal –, sind dort Werkverträge und Leiharbeit seit drei Jahren weitestgehend untersagt. Das müsse Vorbild für den Bereich Paketdienste sein, verlangte Laumann gegenüber RP. »Wir müssen die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Paketzustellerinnen und -zusteller ihren Job unter guten und fairen Arbeitsbedingungen erledigen können.«

Mit viel und besser bezahlter Arbeit versorgt die Branche bisher vor allem Strafverfolger. Laufende Ermittlungen erstreckten sich »in erheblichem Umfang auf Sachverhalte, die der schweren strukturellen Kriminalität zuzuordnen sind, beziehungsweise die seitens der Staatsanwaltschaft als organisierte Kriminalität bewertet wurden«, liest man in besagtem Bericht der Generalzolldirektion und weiter: »Die Täter agieren arbeitsteilig und schaffen planmäßig ein System von tatsächlich aktiven Unternehmen und gewerblich registrierten, aber tatsächlich inaktiven Unternehmen, die durch Strohleute geführt werden.« Ziel sei es, Kontrollbehörden zu täuschen und dadurch die wirklichen Verantwortlichkeiten zu verschleiern, um fortgesetzt und in erheblichem Umfang durch Straftaten wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Beispiele: In einem Fall in Zuständigkeit des Berliner Hauptzollamts (HZA) hatte der Firmeninhaber »keinerlei Kenntnisse über die Geschäftsabläufe, kannte seine Arbeitnehmer nicht«. Im Münsterland stießen Beamte auf ein verworrenes Unternehmensgeflecht, bei dem die Kurierfahrer ihren Chef nicht benennen konnten. »Viele der angetroffenen Arbeitnehmer waren moldawische Staatsbürger. Teilweise versuchten diese sich mit gefälschten rumänischen Dokumenten auszuweisen.«

»Wir dürfen hier nicht weiter wegschauen und kriminelles arbeits- und sozialrechtswidriges Verhalten einfach hinnehmen«, bekräftigte Laumann. Am 2. Februar hatte der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, die Postgesetznovelle um ein Verbot von Subunternehmen und Werkverträgen zu ergänzen. Ausnahmen sollten möglich sein, sofern ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu tariflichen Entgeltbedingungen eingesetzt würden. Bisher blieb der Vorstoß ohne Wirkung. Der Regierungsentwurf sieht lediglich vor, dass alle an der Auslieferung beteiligten Unternehmen ein Marktzugangsverfahren durchlaufen müssen, mit dem die Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Fachkunde der Unternehmen vorab überprüft werden soll. Der Ansatz wirkt angesichts der Masse an schwarzen Schafen und der begrenzten Ressourcen der Gesetzeshüter wie Augenwischerei. Dazu noch einmal Laumann: »Wer nach dem Bericht des Zolls allerdings immer noch nicht handelt, handelt mindestens fahrlässig.« Klar ist andererseits auch: Bei einem harten politischen Durchgreifen drohte dem Paketgeschäft der Zusammenbruch.

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