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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Palästina-Kongress

»Das Versammlungsrecht wurde mit Füßen getreten«

Über das staatliche Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin. Ein Gespräch mit Alexander Gorski
Von Stefan Huth
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Die Polizei stürmte am Freitag den Palästina-Kongress in Berlin und beendete ihn ohne Begründung

Am Freitag wurde der Palästina-Kongress in Berlin von der Polizei aufgelöst, seine Fortsetzung am Wochenende verboten. Kam das überraschend für Sie?

Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht bin. Es gab in den letzten Monaten verschiedenste Arten der Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung. Dennoch bin ich darüber schockiert, wie die Polizei an diesem Tag vorgegangen ist.

Wie beurteilen Sie das Agieren aus rechtlicher Perspektive?

Die Polizei hat sich an diesem Freitag in jeglicher Hinsicht rechtsstaatswidrig verhalten. Das Versammlungsrecht wurde mit Füßen getreten. Es war der Polizei klar anzumerken, dass ein Verbot dieses Kongresses mit allen Mitteln durchgesetzt werden sollte. Ich bin überzeugt, es wurde politischer Druck ausgeübt. Bekanntlich haben sowohl die Bundesinnenministerin als auch verschiedene Regierungsvertreter der Stadt Berlin im Vorfeld öffentlich gefordert, dass mit aller Härte gegen den Kongress vorgegangen werden soll.

Haben die Vorwürfe gegen die Veranstalter an irgendeiner Stelle Substanz?

In den vergangenen Wochen und Monaten hieß es, sie würden einen »Hassgipfel« organisieren. Der Vorwurf lautete stets, es solle ein Treffen antisemitischer Gruppen und Einzelpersonen stattfinden. Das entbehrt jeglicher Grundlage. Es ist zu beachten, dass der Veranstalter des Kongresses die Vereinigung »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« war. Eine Vielzahl der geplanten Rednerinnen und Redner auf diesem Kongress sollte jüdisch sein. Diese Hetzkampagne im Vorfeld war eben ein Ausdruck der Panik- und Stimmungsmache in den deutschen Medien und zielte auf die Diffamierung der Palästina-Solidaritätsbewegung insgesamt.

Im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsverbot wurde immer wieder der Vorwurf des Antisemitismus erhoben ...

Jegliche Kritik am Vorgehen des Staates Israel und jeglicher Einsatz für einen Waffenstillstand und für eine Ahndung des andauernden Genozids in Gaza werden als antisemitisch gebrandmarkt. Dahinter steht die blinde Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus.

Der Beginn der Veranstaltung wurde durch staatliche Schikanen verzögert, beendet wurde sie offiziell, als der Videobeitrag des palästinensischen Autors Salman Abu Sitta gezeigt wurde. Aufgrund israelfeindlicher Äußerungen, hieß es, dürfe er sich in Deutschland nicht politisch betätigen. Kann sich das Verbot auch auf solche Übertragungen beziehen?

Die Veranstalter des Kongresses und deren rechtliche Vertreter haben von diesem Betätigungsverbot vorab keine Kenntnis erlangt. Am Morgen des 12. April besprachen sie auch noch einmal mit der Polizei, ob es Probleme bezüglich der geplanten Beiträge gäbe. Das wurde verneint. Auch das besagte Video stand auf dem Programm, der Sprecher wurde dort namentlich genannt. Aber selbst wenn es so ist, dass ein Betätigungsverbot gegen diese Person vorliegt, besagt die Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte eindeutig, dass ein Betätigungsverbot eben nicht dazu führt, dass man ein Video dieser Person in Deutschland nicht abspielen darf. Das sollte die Polizei wissen. Und dennoch wurde das als Vorwand genutzt, um die Veranstaltung zu stoppen und den Kongress für das gesamte Wochenende zu verbieten. Die Veranstaltung war von Anfang an als Versammlung geplant, sie unterliegt damit auch dem Schutz durch Artikel 8 des Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlins.

Am Freitag wurden Dutzende Pressevertreter, die sich zuvor nicht akkreditiert hatten, von der Polizei in den Saal geleitet. Wie beurteilen Sie das?

Grundsätzlich ist es so, dass Pressefreiheit herrscht und dass bei öffentlichen Versammlungen auch die Presse Anwesenheitsrecht hat. Gleichzeitig haben die Veranstalter bei Versammlungen in geschlossenen Räumen das Hausrecht. Da die Teilnehmerzahl für den Kongress durch die Polizei stark limitiert wurde – es waren nur 250 Teilnehmer zugelassen –, war vereinbart worden, dass man die Medienvertreter geordnet einlässt. Die Polizei hat sich an diese Absprache nicht gehalten und hat insbesondere Medienvertreter, die der Veranstaltung offensichtlich sehr feindlich gegenüberstanden, vorab durch eine Hintertür ohne Absprache mit den Veranstaltern in den Raum gelassen. Das verstößt insbesondere gegen das Kooperationsgebot.

Die Bundesregierung hat Solidarität mit Israel zur Staatsräson erklärt. Der Kongress sollte sich explizit gegen diesen Kurs wenden, gegen die Staatspolitik, also auch die deutsche Militärhilfe für die israelische Regierung. Erleben wir gerade, wie nun auch das Versammlungsrecht »kriegstüchtig« gemacht wird?

Absolut. Die Staatsräson ist ein politisches Konzept der Regierung. Es ist kein juristischer Grundpfeiler oder Grundsatz. Wir sehen hier, dass die Solidarität mit Israel über die Grundfreiheiten aus dem Grundgesetz, speziell Artikel 8 GG zur Versammlungsfreiheit, gestellt wird. Das ist insofern interessant, als der Internationale Gerichtshof, IGH, und viele andere internationale Institutionen eben schon längst erkannt haben, dass das Vorgehen Israels im Gazastreifen und insgesamt in Gaza und der Westbank aus Sicht des Völkerrechts höchst problematisch ist. Deutschland verweigert sich dieser Einschätzung.

Die Art des Umgangs mit solchem Protest, mit dieser Gegenöffentlichkeit scheint ein deutsches Spezifikum zu sein. Gab es internationale Reaktionen auf die repressiven Maßnahmen?

Uns vom Legal Team wurde zurückgespiegelt, dass es sehr viel internationale Anteilnahme und Solidarität gab, aber auch extrem viel Unverständnis über das Agieren der Staatsmacht. Und dass das Entsetzen über das Grundrechtsverständnis der deutschen Behörden im Ausland sehr groß ist.

Alexander Gorski ist Mitglied im Legal Team des Palästina-Kongresses. Er arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin

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