4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 20.04.2024, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage
Gelebte Humorkritik

Schrei mich an, und ich öffne einen Sekt

Der boshafte Witz und seine Feinde. Humortherapie und woke Doktorspiele
Von Felix Bartels
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Der kurze Moment, in dem die Norm durchbrochen wird, ist der Moment des Lachens

Einem Menschen mit Humor

Kommt das Leben komisch vor.

Peter Hacks

Warum wir über die Wachen lachen? Weil sie übers Lachen wachen. Humorkritik hat, mit säuerlicher Miene, das Leben immer bloß komischer gemacht. Die der woken Bewegung markiert da keine Ausnahme, was schon bei der Selbstbezeichnung ansetzt. Diese Leute sind im Sinn des Wortes nicht einfach wach, sondern erwacht. Ein Unterschied, der lustig wird, wenn man ihn ernst nimmt. Wer wach ist, muss nicht wachsam sein. Der Erwachte dagegen neigt zur Haltung des Erweckenden. Mit besonderem Eifer lässt er den Rest der Welt an seiner Transformation teilhaben. Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher …

Werfen sie mit Dreck nach dir, wirf Bernstein zurück. Von der Neuen Frankfurter Schule gilt gleichfalls, dass ohne sie unser Leben weniger komisch wäre. Im Gegensatz zur woken Bewegung ist sie aber nicht Quell, sondern Urheber von Heiterkeit. Kaum verwunderlich daher, dass man einander wenig zu schenken hat. In einem klugen Essay unter dem Titel »Woke zu sein bedarf es wenig« hat Bernd Eilert, der jüngste der Frankfurter, zusammengetragen, was es zur Sache gibt. Sein Claim trägt: Nicht die Ziele der woken Bewegung sind abzulehnen, sie verrennt sich in ihren Methoden, will den Humor von belasteten Tendenzen befreien, ohne die eigentlichen Tendenzen zu erkennen, ohne zu begreifen mithin, was Humor ist, wie er funktioniert, wie er wirkt. Eilert ist nicht unbetroffen. Das Umfeld der Neuen Frankfurter Schule wurde schon länger von woker Seite einer nachträglichen Kritik unterzogen. Zudem hat der Mann, gemeinsam mit Robert Gernhardt und Pit Knorr, für Otto Waalkes getextet, der letzthin ebenfalls ins Feuer der Woke­ness geriet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hörte die Signale und versah im Herbst 2023 ältere Clips des Komikers mit »Diskriminierungshinweisen«.

Da auch die Kritik an einer Massenbewegung nicht ohne konkrete Beispiele auskommt, bringt Eilert Aussagen der Psychologin Tabea Scheel bei, in denen, was wokerseits über Humor, seine Möglichkeiten und Funktionen, gedacht oder vielmehr empfunden wird, mit dankenswerter Klarheit formuliert ist. Selten trifft man es so plump, selten aber wurde ruchbare Praxis so gut in Worte eingefangen. Scheel, die laut Spiegel im Dienst des Deutschen Instituts für Humor steht, äußert im betreffenden Interview: »Aggressiver Humor, zu dem auch Ironie, Sarkasmus und Zynismus gehören, macht andere nieder, damit wir uns selbst besser fühlen.« Künstlern rät sie, den »eigenen Alltag mit einem Humor (zu beleuchten), der nicht auf Kosten anderer geht«. Das dürfte schwierig werden, denn zu jeder Pointe gehört ein Dummer. So bliebe dem Künstler nur der Ausweg, über sich selbst zu witzeln, doch zum einen tut das so gut wie jeder Humorist, und zum anderen wäre das allein nicht abendfüllend. Guter Humor sind für Scheel vielmehr »Pflegekräfte auf Intensivstationen oder Busfahrerinnen auf Parkplätzen«, die »gemeinsam tanzen«. Nicht gegen-, miteinander sollt ihr lachen. Nie war Utopie trauriger. Die gesamte Gesellschaft in einen Morgenkreis verwandelt. Warum verwechseln diese Leute immer gute Laune mit Humor?

Der Wunsch nach einem Humor, der keinem wehtut, ist so weltfremd wie der Wunsch nach einem Humor, dem keiner wehtut. Die Herstellung von Komik ist keine Gewohnheit, die die Menschen ebenso gut unterlassen könnten. Witzarbeit findet in einer konfliktuösen Welt statt, folglich spiegelt sie diese Welt. Es ist schon etwas komplizierter, doch aufs Elementare gebracht, ist ein Künstler einer, der auf Kränkung mit Kränkung reagiert. Aufgehoben aber in einer Form, an der Andere teilhaben können. Kein Humor ohne Abwertung, ohne Entblätterung, Provokation, Subversion, Widersinn.

An dieser Stelle spaltet sich die woke Bewegung. Ein Teil von ihr scheint wirklich der Idee eines nicht diskriminierenden, nicht aversiven Humors anzuhängen. Der andere Teil sieht irgendwie ein, dass das nicht geht, besteht aber darauf, dass Humor bestimmte Gruppen der Gesellschaft auszusparen habe. Minderheiten nämlich oder solche, die diskriminiert wurden oder werden. Das klingt erst mal einleuchtend, reproduziert allerdings auf versiertere Weise denselben Irrtum. Humor, Komik, Witzarbeit erschöpfen sich nicht in ihrer politisch kritischen Funktion. Sie sind Bausteine des Humanen, der Mensch braucht sie wie das Atmen. Und er braucht sie in all ihren Facetten, in den grenzwertigen ganz besonders. Der boshafte Witz, gegen den es wokerseits vor allem geht, kann nach oben treten, aber auch zur Seite oder nach unten, diskriminierend ist er allemal. Sein technischer Vorgang ist nicht das Anrennen gegen Machtverhältnisse, sondern das Spiel mit Stereotypen. Sein Motiv nicht Aufbegehren, sondern Entlastung. Er schafft eine Situation mit etwas, das man wiedererkennt, und es geht gerade darum zu sagen, was nicht gesagt werden sollte. Und all das steht aber unter dem großen Vorzeichen, dass das alles nicht so gemeint sei, wie es gesagt wird. Jegliche Kunst ist Spiel, jegliches Spiel ein Weg, etwas zu tun, ohne es zu tun.

Unterm Humor waltet ein Einverständnis von Sprechenden und Hörenden. ­Witze müssen verstanden werden, manche von ihnen werden nur von zwei Menschen auf der Welt verstanden (man nennt diese Sorte Insider). So unergiebig es wäre, einen Witz mit einem Menschen zu machen, der ihn nicht versteht, so wenig sinnvoll scheint, einen Witz zu kritisieren, den man nicht versteht. Wo ein Witz sein Publikum hat, hat er seine Berechtigung. Und kein Publikum ist identisch mit der Gesamtmenge der Hörenden. Manche Witze beruhen auf einem stillschweigendem Einverständnis. Der Sprechende und das von ihm adressierte Publikum wissen, worum es geht, sie wissen, dass das, was gesagt wurde, nicht wirklich gemeint war. Dass mitunter gar das glatte Gegenteil gemeint ist.

Humorvolles Reden – ich schreibe vom Reden, rede damit aber zugleich vom Schreiben, es macht für die Sache, die hier verhandelt wird, keinen Unterschied – humorvolles Reden also, mithin ironisches, ist eine Spielart des gestischen Redens. »Gestisch« meint: nicht nur durch das, was gesagt wird, sondern auch dadurch, wie es gesagt wird, gelangt die Botschaft an ihre Adresse. Der Sprechende schlüpft in eine Art Rolle. Das eigentlich Gemeinte soll dem Hörer vermittelt zugehen, sei es durch Witz, sei es durch Vergnügen, sei es durch Provokation. Der Redende wird damit selbst zur Botschaft, er desavouiert sich vorm Hörer in der Hoffnung, dass der ihm folgt, indem er sich distanziert. Im günstigen Fall distanzieren sich Sprecher und Hörer gemeinsam vom Sprecher-Ich.

Das kann in verschiedenen Graden passieren. Bei einer Übertreibung bleibt die Grundtendenz der Aussage erhalten, nur die Beschreibung ist drüber und bewirkt je nach Kontext verstärkende oder konterkarierende Effekte. Beim Widersinn soll die Tendenz selbst desavouiert werden. Humorvolles Reden bewegt sich im Spektrum zwischen diesen idealen Fällen. Es kann schon durchaus das meinen, was gesagt wird, es aber so sagen, wie es dann doch wieder nicht gemeint ist. Es kann aber auch so reden, dass das genaue Gegenteil dessen gemeint ist, was es sagt. Und es kann etwas sagen, das so gemeint ist, wie es gesagt wurde, und dennoch Elemente enthält, durch die der Redende sich selbst, während er andere verspottet, subtil mit verspottet.

Wir sprechen damit, und zwar ganz eigentlich, vom uneigentlichen Sprechen. Das uns vertraut ist in zahllosen Gestalten und dennoch oft nicht als solches erkannt wird. Im ironischen Modus etwa wird das Gegenteil dessen mitgeteilt, was gesagt wurde. Wenn Hamlet der scheinklugen Erörterung seiner Schulfreunde Rosenkrantz und Güldenstern überdrüssig ist, würgt er die beiden mit »denn, meine Seel, ich weiß nichts zu räsonieren« ab. Der Modus der Untertreibung bewirkt kontextbedingt das Gegenteil dessen, was gesagt wird. Peter Hacks kommentierte die Dummheiten der SED-Funktionäre mit den Worten: »Sie waren ja nie nur intelligent.« Die Übertreibung soll etwas Zutreffendes verdeutlichen, indem sie nicht trifft. Der in die deutsche Kleinstaaterei zurückkehrende Heine schrieb etwa: »Das halbe Fürstentum Bückeburg / Blieb mir an den Stiefeln kleben«. Im Modus der Überraschung wird eine Stimmung oder Situation aufgebaut, die dann mit einem Satz, sinnvollerweise dem letzten, zerstört wird. Theodor Kramers »Wann immer ein Mann trifft auf einen« funktioniert so. Rührend und geradezu feierlich beschreibt der Dichter, wie man im Kaffee­haus einem traurigen Trinker Gesellschaft leisten soll, bis dessen Stimmung sich wieder aufhellt, steigert das Pathos im Satz »Das schuldet ein Mann einem andern«, um dann mit »Aber zuhörn muss er ihm nicht« die heiße Luft rauszulassen.

Die Spiegelung vollzieht exakt die Haltung, die sie kritisiert. Als Wolfgang Schäuble irgendwann im Lauf der Neunziger einmal mehr was Menschenverachtendes geäußert hatte, kommentierte Wiglaf Droste (so oder so ähnlich): »Behalten Sie Platz!« Als Thilo Sarrazin seine rassistische Offensive gestartet hatte, stand in einer Ausgabe der Titanic der Satz zu lesen, er solle ruhig mal ein Auge zudrücken. Die woke Gemeinschaft würde heute in derart adressierten Politikern Opfer erblicken, obgleich sie es sind, die es – im Gegensatz zur sie spiegelnden Satire – mit ihrer Menschenverachtung tatsächlich ernst meinen. Die Reproduktion nimmt einen Vorwurf auf und entschärft ihn, indem sie ihn eingesteht. Wenn man den Vorwurf »Sie wollen doch bloß Aufmerksamkeit« mit »Stimmt« pariert, haben wir sie in reiner Form. Subtilere Fälle sind auch möglich, wenn ein Vorwurf zugleich zugestanden und indirekt zurückgegeben wird. Dann wäre auf die Frage mit »Sie nicht?« zu entgegnen. In der tragischen Komödie »The Guard« antwortet Sergeant Boyle auf den Rassismusvorwurf: »Ich bin Ire, Rassismus ist Teil unserer Kultur.« So reproduziert und bestätigt er nicht nur den Vorwurf in seiner Antwort (im Sinn von: Iren sind halt so), er kriegt den ihn Tadelnden, indem er ein kultura­listisches Abwehrargument benutzt, das in der antirassistischen Gemeinde gang und gäbe ist. Im Sprachspiel entsteht ein doppelter Sinn von Worten, spielerisch oder sinnhaft-invers: »Froh zu sein, bedarf es eh nich« (sprachzufällig gegenteilige Haltung zeugend), über Bellizisten »sie bellen nur, das Beißen überlassen sie anderen« sagen (sprachzufällig Wahrheit zeugend), den Bildhauer Gerhard Rommel »Büstenfuchs« nennen (spielerisch-boshaft), auf die Aussage, etwas sei »einfach erstaunlich«, es sei »erstaunlich einfach« antworten (spielerisch-heiter).

Der Modi sind viele mehr, doch sie alle haben, auf die eine oder andere Art, mit Gegensätzen zu tun. In jedem Modus mithin deckt sich der Redende nicht mit der Rolle des Redenden. Wie immer die verschiedenen Spielarten wirken, eines lässt sich für alle festhalten: Es ist nie so gemeint, wie es geschrieben oder gesagt wird. Und genau das nicht wissen zu wollen, das uneigentliche Sprechen zu behandeln, als sei es heiliger Ernst, ist die Geschäftsgrundlage der woken Manufaktur.

Nun ließe sich von woker Seite einwenden, dass veritable Rassisten diese und andere Humortechniken kapern könnten. Dass sie es dann wirklich so meinen, wie es sagen. Und das könnte nicht nur so sein, es geschieht auch. Humor, wie gesagt, lebt auf in einer Sprecher-Hörer-­Beziehung. Ein rassistischer Possenreißer, der ein rassistisches Auditorium unterhält, dergleichen ist wohl schon vorgekommen. Doch was soll daraus folgen? Das tätige Lachen kann nicht bestraft werden für das Lachen der Täter. Man kann nicht die Kunst abschaffen, weil sie gelegentlich missbraucht wird. Zumal der Unterschied zwischen einem boshaften Witz und einem Witz aus Bosheit in der Regel leicht zu erkennen ist. An der erwähnten Sprecher-Hörer-Beziehung nämlich. Derselbe Witz kann sich ändern, je nachdem, wem ich ihn erzähle. Jeder Versuch, diese spezifische Chemie in einer allgemeinen, äußerlichen Maßgabe zu regeln, muss scheitern, weil im Humor das Allgemeine der konkrete Fall ist.

Unberührt vom Verstandenwerden bleibt die Funktion des boshaften Witzes. Er ist Ventil und Entlastung, befreit von etwas, das andernfalls auf ernste ­Weise, weniger gesteuert und bewusst zum Vorschein käme. Man spart eine Menge Zeit, wenn man in der Theorie des Witzes gleich bei Sigmund Freud anklopft. Er hat, will mir scheinen, die Frage, warum wir Witze reißen, recht gediegen erklärt. Seine Schrift »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« (1905) rekon­struiert das Lachen über einen Witz als Erleichterung, als Einsparung von sittlicher Anstrengung. Der kurze Moment, in dem man auf sexuelle Normen oder politische Tabus keine Rücksicht nehmen zu müssen meint, in dem man die Freiheit fühlt, sich einfach Nonsens hingeben zu dürfen, oder den Gefühlsaufwand einspart, empathisch sein zu müssen, das ist der Moment des Lachens.

Ich habe zu Beginn zwischen Heiterkeit und Humor unterschieden und denke, das ist so ziemlich, worauf Freud hinauswill. In der Kindheit, heißt es bei ihm, pflegen »wir unsere psychische Arbeit überhaupt mit geringem Aufwand zu bestreiten«, sie ist der Lebensabschnitt, in dem »wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen«. Mit dem Verlust der kindlichen Heiterkeit wurde das Leben anstrengend, erwachsen sein bedeutet, viele Dinge nicht einfach so finden zu dürfen, wie es einem gerade reinkommt. In der Pointe des Witzes zieht sich für einen Moment dieser sittliche Schleier ab, es entsteht eine emotionale Erinnerung an die Freiheit kindlicher Tage. »Die Lust des Witzes«, fasst Freud zusammen, scheint »aus erspartem Hemmungsaufwand hervorzugehen, die der Komik aus erspartem Vorstellungs(Besetzungs)aufwand und die des Humors aus erspartem Gefühlsaufwand. In allen drei Arbeitsweisen unseres seelischen Apparats stammt die Lust von einer Ersparung; alle drei kommen darin überein, dass sie Methoden darstellen, um aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verlorengegangen ist.« Ich machs mal kürzer: Wer heiter sein will, muss humorvoll sein. Wer heiter ist, kann nicht humorvoll sein.

Wenn man, das im Hinterkopf, auf den boshaften Witz kommt, der irgendwen (nach oben, nach unten, zur Seite) diskriminiert (berechtigt oder unberechtigt) und mit Stereotypen arbeitet, erhält man einen Schlüssel für seine gegenwärtige ­Praxis, die vom woken Verständnis nicht einfach bloß kritisiert wird, sondern dasselbe schon mit einbezieht. Am Anfang steht ein Stereotyp, das man nach zeitgenössischem Verständnis nicht für korrekt halten darf. Es ist strenggenommen auch nicht korrekt, denn Stereotype sind auf den Einzelnen bezogen zumeist ungerecht. Das Wissen allerdings, dass sie nicht ganz aus der Luft gegriffen, nicht reine Erfindung sind, stiftet ein Gefühl von Ambivalenz. Man darf etwas nicht, das zwar nicht korrekt ist, aber doch irgendwie Wirklichkeit bezeichnet. Der boshafte Witz arbeitet sich ab an dieser Ambivalenz. Als Begleitprodukt einer Zeit, in der das politisch Korrekte, das moralisch Richtige bereits allgemein anerkannt ist. Er ist nicht Zeugnis alter Denkweisen, sondern Zeichen ihrer Überwindung.

Ein berühmtes Beispiel wäre das ­Titanic-Cover vom Oktober 2003. Im Zusammenhang der Wahl des Bundespräsidenten, es ging um die Nachfolge von Johannes Rau, hatte es Diskussionen gegeben, ob nach all den alten weißen Männern nicht einmal Zeit sei, das Amt mit Repräsentanten weniger etablierter Gruppen zu bekleiden. Die Redaktion bildete auf dem Titelblatt das Gesicht von Roberto Blanco ab, unterlegt mit den Worten: »Warum nicht mal ein Neger?« Die Resonanz war durchaus geteilt. Technisch lag in diesem Titelbild einfach eine Spiegelung vor. Die durchaus verklemmte, zwar wohlmeinende, aber in Stereotypen denkende Gesinnung des Juste Milieu wurde parodiert. Gelebte Humorkritik warf der Titanic sodann Rassismus vor, doch die Pointe ihres ganzen Ärgers lag darin, dass sie nicht begriffen hatte, wer das eigentliche Thema dieses Witzes war. Nicht Roberto Blanco, nicht Menschen schwarzer Hautfarbe, sondern sie, die humorkritische Erregungskultur der Gutgesinnten. Der boshafte Witz von heute ist der boshafte Witz zum boshaften Witz. Indem die woke Bewegung ihn bekämpft, wird sie zu seinem Motor, sichert sein Fortbestehen durch Motivation. Nicht durch ihre Ziele, sondern durch ihre immer wieder überschießende Tapsigkeit, ihren Anspruch auf Universalität, ihr spürbares Strafbedürfnis und ihre Unfähigkeit, mit Mehrdeutigkeit, Dialektik und Komplexität umzugehen, trägt sie zum Aufbau einer Spannung bei, die ein Bedürfnis nach einer Witzarbeit schafft, die die generierte Spannung abbauen kann.

Humor schafft ein Gegending, das aber kein Gegending sein könnte, gäbe es nicht das Ding, auf das es bezogen ist. Das Gegending zu behandeln, als sei es das Ding, trifft nicht. Im besten Fall macht Humor den Tadel selbst zur Quelle, im schlechtesten erhebt er sich über ihn. Was Humor in jedem Fall unterlassen wird: aufhören. Denn er ist als Technik tief eingeübt im Menschlichen, woran keine Volkserziehung was ändern kann.

Es wäre wohl möglich, unter diesen Umständen eine den neueren Umständen angepasste Definition von Humor zu geben: Humor ist, wenn mans trotzdem macht.

Felix Bartels, Jahrgang 1978, ist jW-Redakteur für besondere Aufgaben. An dieser Stelle schrieb er zuletzt in der Ausgabe vom 23. Dezember 2023 über »Weihnachtsarithmetik im Zeitalter des Patchwork«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. aus W. (20. April 2024 um 18:59 Uhr)
    Mein Versuch zum Thema, angeleitet von dieser schönen Wochenendlektüre: Heiterkeit verhält sich zu Humor wie Frieden zu Freiheit.

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