4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Geldpolitik

Die EZB zögert noch

Zentralbank hält an Politik des teuren Geldes fest. Vorerst jedenfalls. Streit an der »Zinsfront« hält an
Von Klaus Fischer
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Im Nebel stehen (EZB-Gebäude in Frankfurt am Main)

Die Europäische Zentralbank (EZB) belässt ihre Waffen im Arsenal. Am Donnerstag teilte die Superbehörde in Frankfurt am Main mit, dass der Leitzins, zu dem sich Banken bei ihr Geld leihen können, weiterhin auf dem aktuellen Satz von 4,5 Prozent verbleibt. Finanzinstitute, die ihr Geld bei der EZB deponieren, erhalten aus Frankfurt weiterhin glatte vier Prozent – für das Geld ihrer Kunden.

Die Mitteilung enttäuschte erneut Interessengruppen, die »teures Geld« für ein Übel, »billiges« für den großen Problemlöser halten. Zinsen runter, und alles wird besser! Niedrige Zinsen seien gut für Investitionen, regten den Konsum an und gäben so der Konjunktur Schwung. Um die ist es in EU und Euro-Raum nicht gut bestellt. Die Lobbyisten vergessen zu erwähnen, dass die mehr als zehnjährige »Zinspause« der EZB – mit der inzwischen ihre Pension aufzehrende Politikstars den Euro »retteten« – erhebliche sozioökonomische Verwerfungen in EU-Europa verursacht hat. Wesentlichster Effekt dabei: Nahezu alle wichtigen Mitgliedstaaten sind bis über beide Ohren verschuldet und am Ende ihrer Finanzierungsspielräume, sollten die Zinsen hoch bleiben.

Ja, Politik kann einfach sein. Besonders wenn es sich um das Geld anderer Leute handelt und wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten ignoriert werden – oder gleich der ganze Kapitalismus. Drängt irgendwo ein Problem, wird es mit neuen Schulden gelöst – neuerdings auch »Sondervermögen« genannt. Das ist der Masterplan der aktuell tonangebenden Macher – und der verschiebt die Probleme allenfalls in die Zukunft.

Nüchtern betrachtet bilden Zinssenkungen oder -erhöhungen keinen Widerspruch ab. Beide sind lediglich Lenkungsinstrumente – oder wie oben genannt – Waffen der Zentralbank gegen Wirtschaftsflaute und/oder zu starke Geldentwertung. Und auf beiden Seiten dieser vermeintlichen Front finden sich seltsame Koalitionen.

So setzt das spekulative Kapital an Börsen auf Niedrigzinsen, weil das Geldströme zu seinen Gunsten umleitet. Dass die kapitalistischen Haupthandelsplätze in New York oder Frankfurt am Main neue Rekordstände in Serie verkünden, wird dabei nur als Vorbote eines neuen, noch mächtigeren Aufschwungs gewertet. Dabei sind aktuelle Bewertungen von Konzernen wie Microsoft oder Nvidia eher Ausdruck der Verzweiflung bei Fondsmanagern und Brokern. Denn sie stehen in keinem Verhältnis zur in naher Zukunft realistisch erwartbaren Konjunkturentwicklungen. So wird der Reichtum der Aktienbesitzer nominell erhöht, hat aber keine Entsprechung auf materieller Seite – was u.a. eine weitere galoppierende Inflation an Börsen und bei Kryptowährungen etc. befürchten lässt.

Auch sozialistisch determinierte Politiker neigen eher zu Schulden als zu Sparappellen. Aktuell rufen in Deutschland viele nicht zu Unrecht nach Staatsgeld für die Bewältigung sozialer Krisen, wie die beim Wohnungsbau. Aktuell gegenläufige Prozesse des globalen Verwertungszyklus – und deren tatsächliche Ursachen – werden indes meist ignoriert. Das Problem: Die wuchtige und selbst verursachte BRD-Wirtschaftskrise wird mit dem Bau Potemkinscher Dörfer nicht gelöst, sondern verschleiert – und verschärft.

Wenn Propaganda den Blick auf die Realität ersetzt, schreiben selbst als seriös geltende Nachrichtenagenturen wie die dpa Sätze wie: »Um die nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf Rekordhöhe gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen, hatte die EZB seit Juli 2022 zehnmal in Folge die Zinsen nach oben geschraubt.« Na klar, Wladimir Putin ist schuld. Und weil dann auch noch die Klimaerwärmung so dramatisch ist, muss die BRD nach den Atomkraftwerken auch weitere Kohlekraftwerke stillegen, wie aktuell zum 1. April geschehen.

Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift, bemerkte einst Karl Marx. Das heißt nicht, dass die Idee gut sein muss. Abschalten ohne adäquaten Ersatz bedeutet letztlich, dass selbst der teure Strom knapp wird. Die Abwanderung von Unternehmen wird so weiter zunehmen, die Zahl der Pleiten steigen und die Quellen für Steuereinnahmen austrocknen. Wohnungsnotstand, Fachkräftemangel, Bildungsmisere, Fehlallokation staatlicher Gelder für Propagandazwecke statt zur Finanzierung eines tragfähigen Sozialwohnungsbaus – all das und viel mehr sind die Probleme dieses Landes und der EU.

Die aber sind nicht zu lösen, wenn ein wenig an der Zinsschraube gedreht und neue Schulden für Aufrüstung und »die Ukraine« gemacht werden. Zumal die Zinskanone – die im gegenwärtigen Kriegsrausch der EU-Politik eine ganz eigene und drohende Bedeutung erhält – meistens den gleichen Effekt hat: Sie zielt auf Großes und erlegt zuerst die Spatzen.

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