junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Mittwoch, 8. Mai 2024, Nr. 107
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 13.04.2024, Seite 5 / Inland
Soziale Arbeit

»Der Frust bei uns ist riesig«

Beschäftigte von freien Trägern in sozialer Arbeit kämpfen in Berlin für bessere Bezahlung. Demobericht einer Betroffenen
Von Maria Frankl
5.jpg
»Stimmung wie im Fußballstadion«: Am Donnerstag vor dem Berliner Abgeordnetenhaus

Lautstark forderten am Donnerstag an die 4.000 Menschen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus die Hauptstadtzulage für Beschäftigte von freien Trägern in der sozialen Arbeit. Viele Kindertagesstätten blieben wegen der Demo an diesem Tag geschlossen. Aufgerufen hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Die Stimmung glich der in einem Fußballstadion. Zahlreiche Banner, Schilder und Fahnen der verschiedenen Träger mit Aufrufen wie »Versprochen ist versprochen – Hauptstadtzulage für alle« oder »Gleiche Arbeit, gleiches Geld« waren zu sehen. Redner von Verbänden und Initiativen wurden bejubelt.

Es war bei weitem nicht die erste Aktion dieser Art, und es wird wohl auch nicht letzte gewesen sein. Worum geht es? Im öffentlichen Dienst bekommen Vollzeitbeschäftigte 150 Euro Hauptstadtzulage im Monat, und das seit November 2020. Ihre Kollegen bei den freien Trägern erhalten die Zulage bisher nicht. Am 27. Dezember 2023 sagte der Senat den freien Trägern schriftlich zu, das zu ändern. Es gehe darum, die Mitarbeitenden »entsprechend dem Bezahlungsniveau des Landes Berlin zu vergüten«. Am 23. Februar aber machte die CDU-geführte Senatsverwaltung für Finanzen einen Rückzieher. Begründet wurde der Wortbruch durch Staatssekretärin Tanja Mildenberger mit tarifrechtlichen Bedenken.

Der Frust bei uns Sozialarbeitenden, Erzieherinnen und anderen Beschäftigten der freien Träger ist riesig. Wir bekommen für die gleiche Arbeit weniger Geld. So erhält ein Erzieher mit Vollzeitstelle im öffentlichen Dienst 150 Euro mehr Gehalt als eine Erzieherin, die bei einem freien Träger arbeitet. Beide verrichten dieselbe, verantwortungsvolle Tätigkeit. Dies führte bereits zu Kündigungen von Beschäftigten, die zu öffentlichen Trägern wechselten. Wir können diese Ungleichbehandlung nicht länger hinnehmen! Berlinweit steigen die Mieten. Lebensmittel, Kleidung und Unternehmungen werden immer teurer, doch unsere Gehälter stagnieren. Der Senat will sparen, aber nicht auf unsere Kosten!

Berlin verliert Hoch- und Fachhochschulabsolventinnen der Sozialen Arbeit. Sie verlassen nach ihrem Studium die Stadt, da sie hier keine bezahlbaren Wohnungen finden. Das führt zu einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels. Dabei sind jetzt schon viele Stellen unbesetzt. Unsere Arbeit leidet darunter. Das geht zu Lasten derer, die unsere Hilfe benötigen: Ratsuchende in Beratungsstellen, in der Kinder- und Jugendhilfe, Kinder und Eltern in Kitas sowie in zahlreichen anderen Bereichen.

Die Zeit für Fallanfragen ist knapp. Klientinnen warten mitunter schon mehrere Wochen auf einen Termin zur Klärung finanzieller Angelegenheiten. Das Jobcenter hat ihnen mal wieder mit einer Kürzung gedroht. Oder Mietzahlungen wurden eingestellt, womit der Verlust der Wohnung droht. Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit langfristiger Perspektive ist unter diesen Umständen kaum noch möglich. Die soziale Arbeit wird kaputtgespart, und die Leidtragenden sind marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die in der Regel keine Mittel und Kapazitäten haben, um Widerspruch einzulegen oder Lobbyarbeit zu betreiben.

Viele Sozialarbeitende, Erzieherinnen und andere Beschäftigte bei freien Trägern machen längst Woche für Woche Überstunden, um die Arbeit zu stemmen. Und nach Feierabend engagieren sich einige noch in Netzwerken wie »Freie Träger, faire Löhne«, »Solidaritätstreff Soziale Arbeit Wedding« oder »Solidaritätstreff Soziale Arbeit Neukölln« für die dringend nötige Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen. Kein Beruf mit Studienabschluss wird so schlecht bezahlt wie die Sozialarbeit. Beschäftigten im sozialen Bereich die Hauptstadtzulage zu zahlen ist da das Mindeste. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist auf Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter angewiesen. Wer an der Bildung spart, spart an der Zukunft.

Auch das rief ein Sprechchor bei der Demo am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus. Der Unmut der Beschäftigten war dort deutlich zu spüren. Es reicht, wir haben die ungleiche, schlechte Bezahlung satt! Oder anders: Ich kann gar nicht so schlecht arbeiten, wie ich bezahlt werde.

Die Autorin ist Sozialarbeiterin in Berlin-Neukölln

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Regio: