4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.04.2024, Seite 4 / Inland
Repressive Migrationspolitik

Mit Plaste auf Stimmenfang

Bundestag: Ampel beschließt mit BSW und AfD Grundlage für bundesweite Einführung von Bezahlkarten
Von Marc Bebenroth
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Abstimmung über den Gesetzvorstoß der Regierungskoalition im Plenum (12.4.2024)

Die weitere Entmündigung von Asylsuchenden ist beschlossene Sache. Am Freitag hat der Bundestag die rechtliche Grundlage zur bundesweiten (Wieder-)Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete verabschiedet. Für das Änderungsgesetz der Ampelfraktionen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen stimmten auch die Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sowie die Fraktion der AfD. Der Gesetzentwurf der Unionsfraktion fand nicht die nötige Mehrheit, erhielt aber ebenfalls die Stimmen von AfD und BSW. Die Linke-Gruppe stimmte gegen beide Vorlagen.

Das verabschiedete Gesetz ermöglicht es den Ländern, nach eigenem Ermessen Karten anstelle von Bargeldleistungen einzuführen. Offiziell geht es der Bundesregierung darum, Zahlungen an »Schleuser und Schlepper im Ausland« zu unterbinden, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Plenum erklärte. Man setze »zusätzliche Schranken« gegen deren »menschenverachtendes Geschäftsmodell«. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass jene kommerziellen Fluchthelfer zumindest zum Teil vorab bezahlt werden wollen, wofür die Familien den Fliehenden das nötige Geld mitgeben, wie Migrationsforscher immer wieder unterstreichen.

Der BSW-Abgeordnete Alexander Ulrich begrüßte im Plenum grundsätzlich, dass die Bundesrepublik Menschen Schutz biete, beklagte in der Debatte aber – auf der Linie der vorliegenden Entwürfe –, dass »wir« an »unsere Grenzen kommen« bei der »riesigen Zahl irregulärer Migration«. Es gelinge »uns« auch nicht, abgelehnte Asylsuchende »wieder zurückzuführen«. Dies seien die »entscheidenden« Punkte. SPD und Grüne kritisierte der BSW-Politiker dafür, Migration als »Managementproblem« zu betrachten. »Die schiere Anzahl« der Geflüchteten überfordere »unsere Gesellschaft«.

Die Linkspartei hatte sich zuvor mehrfach gegen die Bezahlkarte ausgesprochen. Den Eindruck zu erwecken, Asylsuchende würden nichts anderes tun, als den ganzen Tag Geld an Schleuser zu überweisen, geißelte Clara Bünger (Die Linke) als »falsch und irreführend«. Sie wies darauf hin, dass Leistungen für Geflüchtete unter dem Niveau der Leistungen für erwerbslose Deutsche liegen, also »unter dem Existenzminimum«. Daher sei es »absurd« zu glauben, dass »große Geldbeträge ins Ausland transferiert werden«. Sie warnte vor einem Flickenteppich an Regelungen und einem Bürokratiemonster für die Kommunen. Profitieren werden laut Bünger die Anbieter solcher Karten. Das sei ein Geschäft »in Millionenhöhe«.

Durch die Möglichkeit, über die Bezahlkarte steuern zu können, wo Betroffene in welchen Geschäften einkaufen können, werde die Residenzpflicht »durch die Hintertür« eingeführt, kritisierte Bünger. Befürworter, wie der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae, behaupten dagegen, die Verwaltung werde entlastet, da sich am Monatsende keine langen Schlangen bilden würden. Den Ampelparteien, der Union, BSW und AfD geht es im »Superwahljahr« mit dem Bezahlkartenbeschluss zweifellos darum, die Stimmung gegen Geflüchtete in Wählerstimmen umzuwandeln.

Betroffene stehen unter dem sozialen und finanziellen Druck, ihre Angehörigen im Ausland zu unterstützen. Darauf wies sogar die »Gewerkschaft der Polizei« am Freitag hin. Jene Drucksituation verschwinde nicht mit der Bezahlkarte, erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke. Mehr noch: Wird das Überweisen von Geld verunmöglicht, könnten unbeglichene Forderungen von »Schleppern« sich auch auf die Sicherheit der Verwandten in den Herkunftsländern auswirken. Kopelke warnte explizit auch davor, Barzahlungen an Asylsuchende zu gering zu bemessen. Dann bestehe das Risiko, dass Geflüchtete versuchen werden, »sich das nötige Geld über kriminelle Machenschaften zu besorgen«.

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  • Leserbrief von Martina Dost aus 15306 Vierlinden bei Seelow (13. April 2024 um 07:23 Uhr)
    DDR-Sozialisierte werden sich erinnern, dass wir zum proletarischen Internationalismus erzogen wurden. Die überwiegend aus dem gutsituierten, bürgerlichen Mittelstand stammenden BSW-Mitglieder kennen diesen Begriff nicht. Sie machen sich außerdem keinerlei Gedanken darüber, wie es Menschen geht, die am oder unter dem kleingerechneten Existenzminimum leben und denen man Arbeitsplätze verweigert. Das betrifft nicht nur die Flüchtlinge, Armut haben sie gar nicht auf dem Schirm. Und auch den Mittelstand, dem sie mit ihrem phrasenhaften, von historischen Halbwahrheiten und politökonomischem Unverständnis durchsetzten »Programm« Hoffnungen machen, werden sie enttäuschen. Man sollte schon wissen, wie eine kapitalistische Gesellschaft funktioniert. Nicht »wir« kommen nicht wegen der »irregulären Migration« an unsere Grenzen, sondern das System Imperialismus ist an der Grenze. Wir reißen immer noch Wohnungen ab, wir werfen täglich Unmengen an Lebensmitteln weg, die Bevölkerung auf dem früheren DDR-Territorium sinkt weiter, und auch der Lehrermangel liegt nicht an den Migranten. Es ist eine Schande, wie sich dieses BSW verhält, ich bezeichne sie für mich als Spießer, sie werden der echten linken (marxistischen) Bewegung schaden mit ihrer Demagogie. Wir brauchen keine zweite Linke und keine dritte Sozialdemokratie.
    • Leserbrief von Bernd Jacoby aus Wiesbaden (16. April 2024 um 16:08 Uhr)
      Wenn ich mich nicht irre, hatte der sozialistische Staat deutscher Nation ein sehr strenges Grenzregiment in beide Richtungen und hat bei Anwendung des proletarischen Internationalismus ebenfalls von Auslesekriterien Gebrauch gemacht. Menschenmassen haben nicht an die Tür geklopft. Welcher Staat tut was zu welchem Zweck oder tut es nicht oder nur zeitweise? Ja, der moderne Kapitalismus hat Grenzen und wer in Richtung Sozialismus geht, nimmt sie mit – erst recht, wenn er so tut, als könne er das alles ignorieren. Wie war das noch mal mit den Muttermalen der alten Gesellschaft? Sind nicht die Deutschen gerade die größten Spießer, die mal diesen, mal jenen Flüchtlingen zujubeln, weil sie der lebende Beweis dafür sind resp. dazu dienen müssen, dass man jetzt bei den Guten ist? Ihre Argumentation enthält nur Frust und Phrasen, keine wirkliche Kritik an BSW.
      • Leserbrief von Franz Döring (17. April 2024 um 13:02 Uhr)
        Warum sagen Sie uns nicht deutlich genug, dass Sie die strenge Ausländerpolitik des BSW gut finden! Diese Politik zielt auf die Wähler der AFD und sie ist eine strikte Abkehr von den kommunistischen Zielen! Warum erwähnen Sie nicht die Vorstellungen der DKP in dieser so wichtigen Frage für Deutschland?
    • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (16. April 2024 um 14:39 Uhr)
      Na Frau Dost, da bin ich doch gerne Spießer. Kapazitätsgrenzen einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen ist weder links noch menschenfreundlich. Es ist nur naiv. Anke Hassel von der DGB-nahen Böckler-Stiftung hat eine linke Migrationspolitik skizziert: https://www.blaetter.de/ausgabe/2018/oktober/die-linke-antwort-migration-regulieren Welch dystopisches Szenario bei »offene Grenzen für alle« blüht, hat Hans Thie, Exreferent der Linksfraktion, mal aufgezeigt: https://hansthie.de/seid-willkommen-verdammte-dieser-erde/
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (15. April 2024 um 22:46 Uhr)
      Sehr gut und sehr richtig geschrieben, Frau Dost!

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