4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 12.04.2024, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Ein Salto rückwärts

Neuer Studiengang in Leipzig soll die Trainermisere im Spitzensport mildern
Von Andreas Müller
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Ausbildung von Weltklasse für Weltklasse, das war einmal: Manfred Kokot (r.) gewinnt über 100 Meter beim Sportfest 1976

Am 22. Oktober 1950 nahm die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) ihren Lehrbetrieb auf, 1990 war das Ende dieser Einrichtung von Weltklasse für Weltklasse besiegelt. Ein »unverzeihlicher Fehler«, meinten damals nicht wenige. Deren Stimmen ignorierte das fortan für Leistungssport zuständige Bundesministerium des Innern (BMI) damals konsequent. Ebenso die sächsische Landesregierung, die ebenfalls den Daumen senkte. Inzwischen ist die Not bei gut ausgebildeten Trainern derart groß, dass in der Nordischen Kombination mit Eric Frenzel ein früherer Weltklasseathlet trotz fehlenden beruflichen Abschlusses als Bundestrainer arbeiten darf. Früher ein No-Go. Heute Ausdruck eines Zustandes, der den sächsischen Freistaat zum Salto rückwärts veranlasste und einer DHfK im Bonsaiformat den Weg ebnete. Starten soll der neugestrickte Studiengang für Trainerinnen und Trainer nun unterm Dach der sportwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Leipzig, voraussichtlich mit Beginn des Wintersemesters 2025 – fast genau 75 Jahre, nachdem die DHfK dereinst gegründet wurde.

Auf dem Weg zur »kleinen Renaissance« fand Ende März eine nicht öffentliche Expertenanhörung statt, um das Profil des Neulings genauer zu bestimmen. Bereits seit zwei Jahren gab es darüber Gespräche im Freistaat zwischen Ministerien, Universität, Landessportbund (LSB), Olympiastützpunkt (OSP) und Sportwissenschaftlern. »Die Konstellation nach den Vorgesprächen ähnelte ein bisschen der von Henne und Ei«, erklärt Falk Lange aus dem Pressereferat des federführenden Wissenschaftsministeriums in Dresden auf jW-Anfrage. »Solange kein belastbares Konzept vorliegt, kann es von unserer Seite noch keine abschließenden Entscheidungen über die finanziellen und personellen Ressourcen geben. Und solange nicht geklärt ist, was an Personal und Geld zur Verfügung steht, bleiben Fragen nach der konkreten Ausgestaltung des Studiengangs offen.«

Klar ist, dass eine dreijährige akademische, gleichzeitig sehr praxisbezogene Ausbildung vorgesehen ist, mit einem Grundstudium und anschließender Spezialisierung auf einzelne Sportarten. Gestartet werden könnte mit bis zu 30 Studierenden, nach dem Motto: Erstmal ein Angebot machen und nachjustieren, wenn die Bewerberzahlen hoch genug sind. Wichtig ist es Falk Lange zu betonen, dass die Entwicklung des neuen Studiengangs in Leipzig nun »weitgehend autonom« vorangetrieben werde. Was die Chancen erhöht, ebenfalls das Personal vom benachbarten Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in den künftigen Lehrbetrieb einzubinden. Das Institut, eng mit dem Spitzensport verflochten, befindet sich nur einen Katzensprung vom Sport­campus der Uni entfernt.

Für Professor Lutz Nordmann, den Chef der Trainerakademie (TA) des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Köln, brauchte es zunächst eine gründliche Bedarfsanalyse. »Wichtig ist, gezielt und passgenau auszubilden.« Normalerweise sollte es so sein, dass der organisierte Sport in Gestalt des DOSB präzise ansagen müsste, wie viele Trainer wo gebraucht werden, um auf dieser Grundlage die Frage zu beantworten, wie und wo das zu stemmen ist. »Genau das hat aber seit über 30 Jahren nicht funktioniert. Daran wird der neue Studiengang sicher nichts Wesentliches ändern«, so der einstige DHfK-Absolvent gegenüber jW. Im jüngsten Entwurf für ein Leistungssportgesetz kommen die Trainer mit ihren Sorgen und Nöten gar nicht vor. Geschweige denn der Hinweis auf eine »Trainerlücke«, die sich gähnend auftut. Schon vor vier Jahren war klar, dass im gesamten bundesdeutschen Sportsystem fast die Hälfte der nahezu 3.500 von Bund, Ländern oder der Bundeswehr finanzierten Trainerinnen und Trainer über 50 Jahre alt sind. Jedes Jahr sind etwa 120 von ihnen zu ersetzten, um die altersbedingten Abgänge zu kompensieren.

Wie soll das gelingen, wenn die TA als einzige echte Ausbildungsstätte für diese Berufsgruppe jedes Jahr nur 30 Absolventen in die Praxis entlässt? Mehrheitlich sind es Abgesandte ihrer Verbände, die zu diesem Studium delegiert wurden und für die Planstellen gewissermaßen schon reserviert sind. Genau das versteht der zum 31. Mai in den Ruhestand wechselnde TA-Direktor unter »passgenau«, während das Trainerstudium in Leipzig auf die klassische Bewerbung und nach dem Abschluss auf die Regularien des »freien Marktes« vertraut. Als Ergänzung zur TA lässt Lutz Nordmann dieses Modell durchaus gelten. Schon weil es einen allgemein anerkannten akademischen Grad verspricht, während seine TA-Absolventen ihr Diplom nur mit fremder Hilfe und Kooperationen, etwa Kursen bei der Berufsakademie Baunatal oder der Hochschule für Prävention und Gesundheit Saarbrücken, auf ­Bachelorformat bringen können.

»Wir sind ständig auf diese Vehikel angewiesen, das ist doch peinlich«, ärgert sich der scheidende TA-Direktor. Trotz Uniabschluss sei der »Leipziger Weg« jedoch kaum geeignet, das Problem bei den wichtigsten Partnern der Athleten energisch und zeitgemäß anzupacken. Statt »Bittsteller bei den Unis« zu sein, sollte der Sport und insbesondere der DOSB sich auf seine eigenen Stärken besinnen und die originäre Trainerausbildung »im eigenen Haus« forcieren. »Beide Modelle haben meines Erachtens ihre Vorteile und sie ergänzen sich«, schlägt Christian Dahms, Hauptgeschäftsführer des LSB Sachsen mit Sitz in Leipzig, die Brücke. »Das Wichtigste ist: Die Politik hat das Problem der Trainer und ihrer Ausbildung auf dem Schirm.«

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