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Aus: Ausgabe vom 12.04.2024, Seite 15 / Feminismus
Kino

Feminismus auf der Leinwand

Aus Wut Kraft schöpfen: Frauenfilmfest präsentiert 95 Filme aus 40 Ländern
Von Gitta Düperthal
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In Colin Higgins’ Kultkomödie »Nine to Five« darf das Publikum bewundern, wie phantasievoll Jane Fonda, Lily Tomlin und Dolly Parton planen, ihre sexistischen Chefs loszuwerden ...

Cineastinnen freuen sich darauf: Beim 41. Internationalen Frauenfilmfest (IFFF), vom 16. bis 21. April, wird in Kölner Kinofoyers feministisch debattiert, Wiedersehen zelebriert und unkompliziert kennengelernt. Gemeinsam wird über das, was auf der Leinwand läuft, geschwelgt – und ja, auch miteinander gestritten: filmpolitisch ambitioniert oder aktivistisch kämpferisch. Das von einem großen Team getragene Festival halte Meinungsverschiedenheiten aus, versuche sie im Dialog zu lösen, so Festivalleiterin Maxa Zoller. Anliegen sei, »jegliche Form der Moralisierung und der damit bedingten Polarisierung« fernzuhalten.

Pressefrau Stefanie Görtz kündigt gegenüber junge Welt an, das aktuelle Programm präsentiere Filme, die Perspektiven aufzeigen und »einen trotz aller Schwierigkeit der Weltenlage, trotz Krisen und Kriegen nicht gleich in den Boden tackern«. Ziel sei, das Publikum so aus dem Kino zu entlassen, dass es Kraft schöpfen konnte. Agitiert werde, sich Dinge nicht gefallen zu lassen, und sich politisch zu engagieren. Mit 95 Filmen aus 40 Ländern präsentiert das Team Filmkunst, die inspirieren und unterhalten soll. Aus dem Archiv wird Lustiges, aber auch klassenkämpferisch Brisantes geboten. Ob es um Arbeitsrechte oder Antisexismuskampagnen geht, die an die heutige »Me too«-Debatte anknüpfen: »Frauenrechte sind auf der Straße erkämpft worden«, betont Görtz.

Im Fokus »Rage and Horror« läuft Colin Higgins’ 80er Jahre Kultkomödie »Nine to Five«: Das Publikum kann auf der Leinwand bewundern, wie fantasievoll Jane Fonda, Lily Tomlin und Dolly Parton planen, ihre sexistischen, egoistischen, verlogenen Chefs umzubringen. »Black Panthers« von Agnès Varda zeigt, wie radikaler Widerstand gegen brutale Polizeiwillkür die US-amerikanische Öffentlichkeit aufrüttelt. Filme aus der Stummfilmzeit führen fröhlich anarchistisches weibliches Selbstbewusstsein vor Augen, frei von Konventionen, was »schicklich« ist. Sarah-Duhamel-Liebhaberinnen – und davon gibt es viele – können sich auf Kostbarkeiten aus der filmischen Schatzkiste aus dem Jahr 2012 freuen. Duhamel zeigt, wie befreiend weibliche Wut sein kann: ob als eifersüchtige Gattin in »Patouillard a une femme jalouse« oder auf Spinnenjagd mit Kollateralschäden in »Les araignées de Rosalie«. Gespannt darf man auf den Workshop mit Betty Schiel vom IFFF-Team und Sara Neidorf vom »Final Girls Berlin Film Festival« sein: Es geht um »subversive Möglichkeiten feministischer Aneignung von Wut«.

Věra Chytilovás tschechischer Film »Wolfsbaude« nutzt Möglichkeiten des Horrorfilms, um Mechanismen von Unterdrückung und Manipulation in autoritären Systemen aufzuzeigen. Eine Jugendgruppe muss sich in einer abgelegenen Hütte gegen drei Skilehrkräfte behaupten, die versuchen, die Jugendlichen gegeneinander auszuspielen. Der Film aus dem Jahr 1986 weist im Mikrokosmos Parallelen zur heutigen Lage in der BRD und dem Umgang mit der AfD auf. Er parodiert, wie anfällig eine Gesellschaft sein kann, sich spalten zu lassen. Kompletter Horror oder Lehrstück in Solidarität, sich gegen reaktionären Irrsinn resistent zu zeigen? Man darf gespannt sein.

Spannend auch der Debütfilmwettbewerb: In »Ellbogen« von Aslı Özarslan von 2024, Verfilmung des gleichnamigen Romans von Fatma Aydemir, geht es um Wut vor dem Hintergrund von Alltagserfahrungen von Postmigrantinnen, denen der sogenannte Migrationshintergrund wie Kaugummi an den Schuhsohlen klebt. Die Koproduktion zwischen Deutschland, der Türkei und Frankreich lief auf der 74. Berlinale. Wie könnte es ausgehen, wenn man wie Hasal (Melia Kara)18 Jahre jung und elanvoll ist, aber feststellen muss, dass alles Gerede von Integration Chimäre ist? Ausbildung klappt nicht, in der Disko vom Türsteher abgewiesen, statt der Geburtstagsfeier mit Freundinnen sexuelle Belästigung in der U-Bahn-Station: Da kann der Geduldsfaden reißen.

Sofia Alaouis religionskritisches Science-Fiction-Drama »Animalia« (2023), eine Gemeinschaftsproduktion aus Frankreich, Marokko und Katar, kommt als Endzeitfilm daher. Er wirft Fragen auf wie: ob Gott existiert, der permanente Tanz ums goldene Kalb des Kapitalismus nur Chaos auslöst, wir alle zu egoistisch denken? Mit mystisch anmutenden Bildern bezieht er sich auf Transzendentalphilosophie. Die marokkanische Großstadt Khouribga ist vom Militär abgesperrt, die Natur rundherum spielt verrückt.

Mit dem belgisch-französischen Film »Camping du Lac« (2023) entführt Éléonore Saintagnan in eine Erzählung, die als Roadmovie einer jungen Frau startet. Nicht nur Deutsche sind dem Fortschrittsglauben ans Auto verfallen; auch in Nachbarländern heißt es »Hauptsache motorisiert!«. Da ihr kaputtes Auto in die Werkstatt muss, taucht sie in die Welt eines Campingplatzes mit eigenwilligen Bewohnerinnen und Bewohnern ein. Eine geheimnisvolle Story rankt sich um einen nahegelegenen See, der von einem legendär riesigen Fisch bewohnt sein soll. Der Film endet mit dem Austrocknen des Sees. Was geschieht, wenn Umweltkatastrophen die Märchenwelt sprengen? Solche Fragen sind eines Frauenfilmfests angemessen.

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