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Aus: Ausgabe vom 12.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Deutschrap

Deutschstoßlegende

Antilopen Gang wieder im Modus: Ihr neuer Song über den 7. Oktober und die deutsche Linke
Von Felix Bartels
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240 Kilogramm Gratismut: Die Gazellenbande

Antideutsch. Ein Wort wie ein Peitschenschlag, bloß etwas aus der Mode. Auch weil das, was sich einmal darunter versammelt hat, heute weit verstreut scheint. Die Jungle World fungiert als Akademie für Welt, Bild und Taz. In Freiburg und Wien feilt man weiter am Jargon. Konkret pflegt mittlerweile wieder ein wenig Antiimperialismus. Die Bahamas schnüffelt am rechten Rand. Kaum eine mögliche Wandlung, die nicht irgendwer aus dem Milieu noch genommen hätte. Was sie alle dennoch und weiterhin eint, das ist die bizarre Attitüde, offene Türen einzutreten. Irgendwie ging es von Beginn an darum, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Diese für Linke peinliche Haltung musste aber – meist instinktiv – hinter einer furios-radikalen Pose verborgen werden. Wie schön konnte die bürgerliche Gesellschaft sein, wäre da nicht die deutsche Erbschuld. Der Kampf gegen das abstrakte Feindobjekt Germania trat an die Stelle praktischer Bemühung um Klassenkampf und Antiimperialismus. Man führte einen Krieg, der keinen was kostete, weder einen selbst noch den erklärten Feind.

Rebellische Pose

Nicht jedem war gegeben, diese ­Mimikry als Lebensentwurf lebenslang durchzuhalten. Das einzige, das an den Texten der Bahamas heute noch antideutsch ist, sind die Probleme mit der deutschen Sprache. Die drei Jungs von der Antilopen Gang hingegen haben geschafft, ihre Haltung zu konservieren. Immer noch handeln ihre Songs vom dunklen Deutschland, rappen die Musiker sich durch die Diskurse der Gegenwart, als steckten wir tief in den Neunzigern. Possierliches unterlief ihnen dabei öfter. Und durchaus Virtuoses. Ihre schönsten Momente hatten Koljah, Dan und der Typ, dessen Namen ich mir nie merken kann, gerade dann, wenn sie nicht vorderhand politisch waren.

Wo die Band eingreifende Kunst hervorbrachte, ging es zumeist gegen die Ränder. Gegen den rechten, weil da des Linken Erzfeind steht. Und nach links, weil man den eigenen Laden schließlich sauber halten muss. Die offensichtliche Aussparung der Mitte ließ sich kompensieren, indem man dem Juste Milieu vorwarf, im Kern nicht minder rechts zu sein. Jeder sah, dass das nicht zutraf, doch die Pose des Rebellen war gesichert. Die Linke wiederum, gesamtgesellschaftlich Minderheit, ist für einen Linken die Ersatzgesellschaft, die große Mehrheit also, von der man umgeben ist und gegen die man kritisch zu bleiben hat. Nur so ging auf marginalisierte Gruppen einzukloppen und zugleich den einsamen Kämpfer gegen einen übermächtigen Konsens zu geben. Die rebellische Attitüde nach rechts wie links ermöglicht den Anschluss an die vorgeblich verachtete bürgerliche Gesellschaft. Die Antilopen sind in dieser Hinsicht ungemein exemplarisch. Das Konzept eines staats(er)tragenden HipHop wurde so diskret etabliert, dass zumindest sie selbst es bis heute nicht bemerkt haben.

Dass die Band sich nun zum 7. Oktober äußert, scheint folgerichtig. Der Beifall, der ihr für das Stück »Oktober in Europa« zuteil wurde, ebenfalls. Einen »zutiefst traurige(n) Song über das erneute Aufkommen des Anti­semitismus« meinte die Taz gehört zu haben. Ein »hartes, wahres und wichtiges Statement« sah die Bild. Und Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzler­amts, holte zum Ritterschlag aus: »Großartiges Lied der Antilopen Gang zum 7. Oktober«. Den Part der Restvernunft übernahm dagegen Lea Fauth, in der Taz interpolierte sie aus der Songstelle, worin die Hamas­truppen als »Nachfahrn der Juden-Vergaser« bezeichnet werden, eine urdeutsche Schuldverschiebung und attestierte den »diskursiven Fronten« (dem propalästinensichen wie dem proisraelischen Lager) einen »akute(n) Mangel an Verstand« und »Desinteresse am Menschlichen«. Man kann die in beiden Lagern vorherrschende Haltung nicht besser auf den Punkt bringen. Die Antilopen geben sich verzweifelt über den Verlust von Menschlichkeit und Vernunft bei den Anderen und haben doch selbst ihren Teil daran.

Oder ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Das eh. Eine Band aber, die disparaterweise darauf hinweist, dass ihre Songs lediglich Kunst im Sinne von l›art pour l‹art seien, sich jedoch immer wieder in die Haltung des Praeceptor Germaniae begibt und damit natürlich schlicht Propaganda für ihre Richtung macht, muss sich – Kunst hin, freie Rede her – beim Wort nehmen lassen. Es könnte ja sein, dass die Jungs meinen, was sie sagen.

Beim Wort genommen ist »Oktober in Europa« eine seltsame Häufung von Lines, die kaum einen Zusammenhang machen und, jede für sich stehend oder raunend, mal Treffendes, mal Unzutreffendes in die Welt setzen. Die ­stärkste Stelle handelt von den ersten Tagen nach dem 7. Oktober: »Damals war›n ganz schnell die Täter verschwunden.« In der Tat verstörte zu sehen, wie schnell sich, nachdem die Banden der Hamas in israelisches Territorium gedrungen waren und gezielt Hunderte Zivilisten abgeschlachtet hatten, die Aufmerksamkeit vieler Linker verschob. Wer nicht sogleich den planvollen Terrorakt als Ausdruck der Verzweiflung ­infantilisierte oder darauf abhob, dass »Dekolonisierung« (die offenbar auch israelisches Kernland einschließt) eben ihren Preis habe, machte sich instantan Sorgen um die Verhältnismäßigkeit der kommenden Reaktion. Dieses Versagen von Empathie für die eine Seite bei Überschuss von Empathie für die andere haben große Teile der palästinasolidarischen Linken mit der verordneten Israelsolidarität des deutschen Staats gemein. Man versteht das Entsetztsein im Angesicht dieser Vereinseitigung und Kälte, nur die Antilopen zelebrieren in ihrem Oktober-Song dieselbe Haltung mit verkehrten Vorzeichen.

Entsprechend hohl schallt das Pathos, wenn Koljah ins Mikro rappt: »Die Zeiten sind rau, / Und ich weiß nicht genau / Ob ich mich trau, / Morgen noch mal in die Zeitung zu schaun.« Man meide, heißt es später, Gespräche selbst mit Freunden, »starke Überzeugungen« überall. Von denen haben die Antilopen selbst so einige. Da geht es nicht allein um antisemitische Parolen auf der Sonnenallee und das nicht zu leugnende Risiko, dem Juden sich aussetzen, wenn sie sich dieser Tage in der Öffentlichkeit mit Davidstern oder Kippa zeigen.

Über Bande

Entsprechend der antideutschen Masche wird dann Nichtidentisches – veritabler Antisemitismus, antiisraelischer (also inverser) Exzeptionialismus und die durchaus berechtigte Kritik an Kriegsverbrechen der israelischen Armee – zusammengeworfen: »Ist das jetzt diese sogenannte Israel-Kritik?« heißt es mit Blick auf an Haustüren gesprühte Davidsterne. Der wahrhaft Sehende ist blind. Er kann ruhig »Auch Greta hasst Juden« singen, muss ja nicht stimmen. Die Pauschalität scheint beabsichtigt. Differenzierung soll verhindert werden, weil es gerade nicht darum geht, antisemitische von nicht antisemitischen Elementen zu trennen, sondern darum, das Handeln der israelischen Regierung, sei es noch so grausam, sei ihr Personal noch so rassistisch, in den Status der Immunität zu heben. Entsprechend die lang eingeübte Rhetorik von »Zivilisten in Gaza« als »Schutzschild der Hamas«. Zutreffend ist zwar, dass das islamistische Racket diese Strategie seit Beginn seiner Herrschaft anwendet. Doch zur massenhaften Tötung von Unschuldigen gehört auch jemand, der abdrückt. So reproduzieren die Antilopen, was sie ihren Gegnern im linken Spektrum vorwerfen: das Exkulpieren der eigenen Seite über Bande.

Wie weit es mit jener Humanität her ist, die sie einfordern, zeigt sich im kalten Hohn über Leute, die an die Opfer der anderen Seite erinnern. Der 7. Oktober war ein innerhalb der Geschichte Israels beispielloser Akt von Brutalität. Bis dahin. Sechs Monate, 33.000 Tote und 1,7 Millionen Vertriebene später heißt es über die Opfer in Gaza sarkastisch: »Ist auch kompliziert, muss man einfach beide Seiten seh‹n«. Irgendwie gehört, was in dieser Line kulminiert, zusammen: Die Verweigerung von Empathie für die andere Seite hat die Verachtung für dialektisches oder wenigstens differenzierendes Denken (im Sinne eines Analyseverbots, von dem Slavoj Žižek unlängst sprach) zur Voraussetzung.

Hinweis: In einer ersten Fassung des Textes wurde die Äußerung über »starke Überzeugungen« Danger Dan zugeschrieben. Tatsächlich fallen sie in den Part von Panik Panzer. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen (jW)

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