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Aus: Ausgabe vom 11.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Pop

Nichts bleibt den weißen Männern

Schwarze Wurzeln: Beyoncés Countryalbum »Cowboy Carter«
Von Alexander Kasbohm
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Das haben sie jetzt davon: Beyoncé schnappt sich Country

Als Beyoncés Countryalbum war »Cowboy Carter« angekündigt. Strenggenommen ist es beides nicht: nicht Country, weil Beyoncé dessen Elemente vollständig in ihr eigenes Universum überführt und niemals das Gefühl aufkommt, man würde Countrymusik hören (hingegen immer klar ist, dass man Beyoncé-Musik hört), und kein Album, weil dafür jede Art struktureller Stringenz fehlt. Was wir hier haben, ist ein positives Lehrstück in kultureller Aneignung. Die schwarzen Wurzeln und die schwarze Parallelgeschichte von Countrymusik werden von den reaktionären Rednecks, die die Hauptfanbase des Genres stellen, konsequent ignoriert. Dass Country deutlich hörbar auf dem Blues ebenso aufbaut wie auf europäischem Folk, fällt einer selbstauferlegten Denkbeschränkung zum Opfer.

Dass sich nun mit Beyoncé ausgerechnet eine erfolgreiche schwarze Frau und Multimillionärin dieser – nicht ausschließlich, aber eben ganz besonders – von abgehängten Weißen mit Rassismushintergrund verehrten Musik annimmt, muss für diese auf so vielen Ebenen als Affront wirken, dass ihnen schon beim Mitzählen schwindelig wird (also: Menge der Ebenen größer/gleich zwei). Und die Tatsache, dass sie sich das Genre so komplett aneignet, alles, was sie sich nimmt, zu ihrem eigenen macht, ist natürlich der Gipfel der Perfidie bzw. Brillanz. Nichts bleibt den weißen Männern, für die Frauen nur dazu da sind, an der Seite ihrer Männer zu stehen, Schwarze, um die Gefängnisse zu füllen, und Millionäre, um Projektionsflächen für ihren Frust zu bieten. Nicht die Slide-Guitar, nicht der Klassiker »­Jolene«, nicht der Square-Dance, nicht Dolly ­Parton, nicht Willie Nelson, die beide ­Spoken-Word-Interludes liefern. ­Wobei Nelson aufgrund seiner politischen Haltung den meisten sowieso schon eher suspekt sein dürfte.

Alles wird ihren Händen entrissen und Beyoncés patentierter R-&- B-Produktion unterzogen. »Cowboy Carter« ist eine etwas überlange Kollektion von Songs mit der thematischen Klammer »Country«, von denen manche besser funktionieren und manche schlechter. Die Vorabsingle »16 Carriages« zum Beispiel ist in ihrer crowd-pleasing Berechenbarkeit mit »großem« 08/15-Re­frain eher schwach. Das gleichen aber Songs wie das ­Beatles-Cover »­Blackbiird«, »Bodyguard«, »Daughter«, »Ya-Ya«, »­Leviis Jeans«, »Spaghettii« oder »­Alliigator Tears« locker aus, in denen sie von Softrock über Oper bis zu Nancy Sinatra und den Beach Boys so ziemlich alles checkt, was weiß und heilig ist. Sie also die Melting-Pot-Ästhetik fortschreibt, die ­Country immer auszeichnete. Die Absurdität, dass ein Genre, das immer von wechselseitiger kultureller Aneignung bzw. Inspiration lebte und durch diese erst entstanden ist, von weißen Rassisten und Sexisten als kulturelle Identität vereinnahmt wurde, wäre für sich schon einen längeren Text wert.

Auch »II Most Wanted«, das sie zusammen mit Miley Cyrus singt, ist überraschend hervorragend und berührend und klingt wie ein Sequel zu Stevie Nicks’ Klassiker »­Landslide« vom selbstbetitelten 1975er ­Fleetwood-Mac-Album. 27 Tracks – oder knapp 80 Minuten – auf einen Tonträger zu packen, ist allerdings selten eine gute Idee und ist es auch in diesem Fall nicht. Was spricht denn gegen zwei Alben? Eines mit stärkerem Fokus auf Country und eines, bei dem die Inspirationsquellen weiter in den Hintergrund treten? Das wäre künstlerisch und kommerziell sinnvoll gewesen – und wann passiert das schon mal gleichzeitig? Es ist auch nicht so, dass »Cowboy Carter« unbedingt, wie mehrfach konstatiert, zum Ende hin deutlich schwächer würde, es stellt sich vielmehr irgendwann eine verständliche Fatigue ein.

Die Saat von »Cowboy Carter« legte die konservative Country-Crowd übrigens selbst, als sie 2016 die Sängerin nach einer Performance bei den Country Music Association Awards mit Häme und rassistischen Kommentaren bedachte. Das haben sie jetzt ­davon. Das Genre, das eh immer besser und progressiver war als seine Fanbase (man höre sich mal die Platten der großen »Outlaws« ­Willie ­Nelson, Kris Kristofferson oder ­Waylon ­Jennings an, oder, aktueller Sturgill Simpson, der auf seine eigene Weise seit Jahren die Grenzen des Genres auslotet und Trump als »fascist ­fucking Pig« bezeichnet), kann davon nur profitieren.

Beyoncé: »Cowboy Carter« (Sony)

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