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Aus: Ausgabe vom 11.04.2024, Seite 4 / Inland
Repression gegen Palästina-Bewegung

Für »Freiheit« verurteilt

Duisburg: Palästina-Aktivist erhält wegen Parole Geldstrafe. Verteidigung geht in Revision
Von Henning von Stoltzenberg
Anwalt und Mandant im Duisburger Gericht
Parolen, die ein freies Palästina fordern, können in der BRD zu Geldstrafen führen – Mandant und Verteidigung am Mittwoch im Gerichtsaal in Duisburg

Die monatelange, auch staatlich forcierte Kampagne gegen die palästinasolidarische Bewegung in Deutschland trägt Früchte. Vor dem Amtsgericht Duisburg hat am Mittwoch der erste Prozess im Zusammenhang mit einer Solidaritätsdemonstration für Palästina stattgefunden, in dem das Rufen von bestimmten Parolen nach Paragraph 140 des Strafgesetzbuchs als »Belohnung und Billigung von Straftaten« verfolgt wird.

Leon W. hatte als Anmelder einer Demonstration im Duisburger Stadtteil Hochfeld am 9. Oktober die Parolen »Von Duisburg bis Gaza, Yallah Intifada« und »From the river to the sea, palestine will be free« gerufen, die von den rund 70 Teilnehmenden wiederholt wurden. Das Gericht machte seine Position am Mittwoch klar und verurteilte den Angeklagten zu 60 Tagessätzen à 15 Euro. Einem Strafbefehl über 60 Tagessätze à 30 Euro hatte dieser zuvor widersprochen. Im Anschluss an die Verhandlung kündigte W. an, in Revision gehen zu wollen.

Bereits eine Stunde vor Prozessbeginn hatten sich rund 40 Prozessbeobachter zu einer solidarischen Kundgebung versammelt. Der Prozessbeginn verzögerte sich, da der vorgesehene Verhandlungsraum sich als zu klein herausstellte. Nach der Verlesung der Anklageschrift in einem zweiten Saal folgte die Prozesserklärung von W. Der 29jährige erläuterte die Bedeutung des Begriffs »Intifada« sowie des Slogans »From the river to the sea, palestine will be free«. Er erklärte auch ihre vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten und den geschichtlichen Kontext im Rahmen der seit Jahrzehnten anhaltenden israelischen Besatzung Palästinas.

So würde der Begriff der »Intifada« nicht nur mit »Volksaufstand«, sondern auch mit »Bewusstwerdung« oder »etwas abschütteln« übersetzt. Die »Fluss-bis-zum-Meer-Parole« sei mitnichten von der Hamas erfunden oder exklusiv reklamiert worden, wie das Bundesinnenministerium in der Verbotsverfügung von November 2023 behaupte. Tatsächlich nutzten alle palästinensischen Organisationen den Ausspruch.

Richtig sei, dass er zur »Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung« sowohl in Duisburg, als auch in Palästina habe aufrufen wollen. »Alle Formen des Widerstands seien legitim«, dazu zählten auch militärische. Die Angriffe der Hamas am 7. Oktober beschrieb W. als »Militäroperation«, an der neben der Hamas auch säkular-nationalistische und linke Organisationen mitgewirkt hätten.

Die Verteidigung ging auf die aktuell zu beobachtende Diskursverengung ein, die auch beim Ukraine-Krieg spürbar sei und sich juristisch niederschlage. Er erwarte nicht, dass alle Menschen im Gerichtssaal die Einschätzung seines Mandanten teilten. Aber es sei »unhaltbar, diese Meinungsäußerung zu kriminalisieren«. Mit einem Beweisantrag wollte die Verteidigung per Gutachten feststellen lassen, dass der Slogan »From the river to the sea, palestine will be free« nicht allein der Hamas zuzuschreiben sei. Diesen lehnten Staatsanwaltschaft und der Vorsitzende Richter als unnötig ab, da es um eine Tatsachenbehauptung gehe, die juristisch bewertet werden müsse.

Der Richter begründete das Urteil damit, dass nicht die Parolen kriminalisierst werden sollten, aber der Kontext zu »Mord und Totschlag« am 7. Oktober in Israel eindeutig sei. Der öffentliche Friede müsse für eine Verurteilung nicht tatsächlich gestört werden, es reiche aus, dass die Handlungen dazu geeignet seien.

In seinem Schlusswort ging W. auf einen offenen Brief von 600 Bundesbeschäftigten ein, die die Bundesregierung dazu auffordern, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Mit den Worten: »Die Bundesregierung steht zu Recht vor Gericht, ich aber nicht« beendete der Angeklagte seine Ausführungen.

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