4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 11.04.2024, Seite 1 / Kapital & Arbeit
Armut in Deutschland

Mehr als jeder fünfte arm

5,7 Millionen Menschen in der BRD von erheblicher Armut betroffen
Von Gudrun Giese
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Eine von 17,7 Millionen armen Menschen: Flaschensammlerin in München, März 2024

Mehr als 20 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung waren 2023 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, berichtete das Statistische Bundesamt am Mittwoch.

Die präsentierten Daten basieren auf Erhebungen der »Europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen« (EU-SILC). Insgesamt waren 17,7 Millionen Menschen betroffen, was 21,2 Prozent der Bevölkerung entspricht. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl um 200.000 oder 0,1 Prozentpunkte. Nach Definition der Europäischen Union gilt ein Mensch dann als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn sein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze von 60 Prozent des mittleren Äquivalenzeinkommens liegt, der Haushalt von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen ist oder die Erwerbsbeteiligung sehr gering ist. 2023 galten 12 Millionen Menschen in der Bundesrepublik als armutsgefährdet. Das bedeutet, als Alleinlebender weniger als 1.310 Euro netto im Monat zu haben. Für eine aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahre bestehende Familie lag der Schwellenwert bei 2.751 Euro monatlich.

Von »erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen« waren 2023 danach 5,7 Millionen Menschen, was 6,9 Prozent der Bevölkerung entspricht. Der Alltag dieser Gruppe ist »aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln deutlich eingeschränkt«. Betroffene konnten ihre Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen nicht bezahlen – und weder eine Woche verreisen, alte Möbel ersetzen noch einmal monatlich auswärts speisen. In die Kategorie »Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung« fielen 6,2 Millionen Menschen, was 9,8 Prozent entsprach. Nach EU-SILC-Definition werden hier alle 18- bis 64Jährigen erfasst, deren Erwerbsbeteiligung unter 20 Prozent liegt, die also etwa von zwölf Monaten im Jahr insgesamt vier erwerbstätig waren. Bislang hat etwa die Hälfte der EU-Staaten Ergebnisse veröffentlicht. In Tschechien war der Anteil der Armutsgefährdeten mit 12 Prozent am niedrigsten, in Bulgarien mit 30 Prozent am höchsten.

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  • Leserbrief von Rudi Eifert aus Langenhagen (11. April 2024 um 19:01 Uhr)
    Wurde nicht bereits vor Jahren in den Medien thematisiert, dass mit überproportional zunehmendem Reichtum in unserem Land die Armut eines Teils unserer Bevölkerung ebenfalls überproportional zunimmt? Jedem Politiker ist doch klar, dass die Schere sozialer Verwerfungen immer weiter klafft. Legt man zugrunde, dass 2023 über 12 Mio. Menschen in der BRD armutsgefährdet waren – im 1. Quartal 2024 vermutlich noch weitaus mehr Menschen – dann müssten doch in Berlin die Alarmglocken läuten. Ursachen für die Armut sind vielschichtig: Ob es Menschen sind, die aus irgendwelchen Gründen ihre Arbeitsstelle verloren haben, keine neue finden und in dieser Abwärtsspirale ihre Wohnungsmiete nicht mehr bezahlen können und auf der Straße landen. Dies wäre eine Begründung hierfür. Weitaus schlimmer sind Menschen von plötzlicher Armut betroffen, die zuvor in prekären Arbeitsverhältnissen gearbeitet haben, ob es nun Amazon, UPS, DHL, GLS, Hermes oder vergleichbare Firmen sind, und nun in ihrem Ruhestand wegen des geringen Rentenanspruchs in eine katastrophale soziale Schieflage geraten sind, Dinge, die schon zuvor vorhersehbar waren. Absehbar ist, dass Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor – übrigens eine Klientel, die von einer Kleinstpartei in diesem Lande gehätschelt und gepflegt wird – immer mehr zunehmen werden mit dem Ergebnis, dass dort Beschäftigte, die in einigen Jahrzehnten in den Ruhestand gehen, unsere Altersarmut um ein Vielfaches erhöhen werden. Ein beschämendes Fazit, was unsere heutigen Politiker wohl nicht mehr tangieren wird. Ein Problem, dass der künftigen Politikergeneration aufgebürdet wird, mit allem schlimmen Folgen.

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