4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 10.04.2024, Seite 4 / Inland
Politik mit Zahlen

Faesers Datenbasis

Innenministerin stellt Kriminalstatistik 2023 vor. Anstieg bei Gewalttaten und Ausländerdelikten registriert. Kritik an Verzerrungen
Von Fabian Linder
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Nancy Faeser (SPD, r.), Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (M.) und BKA-Präsident Holger Münch in Berlin (9.4.2024)

Die politisch-mediale Aufregung um den Anstieg der Zahlen für verschiedene Kategorien krimineller Delikten in der Bundesrepublik ist groß gewesen – schon bevor Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die sogenannte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) am Dienstag in Berlin vorstellte. Bereits am Wochenende hatten einzelne Medien die offenbar durchgestochene Statistik ausgewertet; die Diskussion konzentriert sich seither vor allem auf die sogenannte Ausländerkriminalität. In der PKS listet das Bundeskriminalamt alle erfassten Straftaten und die Zahl der Verdächtigen, die von den 16 Landeskriminalämtern für einen Jahreszeitraum übermittelt werden.

Faeser stellte am Dienstag fest, man könne aus der Statistik Entwicklungen ablesen, die es zu benennen gelte. Die wesentlichen Trends sieht die Ministerin in einer gestiegenen Gewaltkriminalität sowie mehr Jugend- und Ausländerkriminalität. Man konstatiere insgesamt einen Anstieg um 5,5 Prozent auf 5,94 Millionen Straftaten – wohlgemerkt als solche von der Polizei markierte Vorkommnisse – bei ebenfalls erhöhter Aufklärungsquote. In Sachen Gewaltkriminalität sei die Zahl der Straftaten um 8,6 Prozent gestiegen. Bezogen auf die Gewaltdelikte sei der Anteil von Ausländerkriminalität im Vergleich zum Vorjahr um 14,5 Prozent gestiegen.

Faeser plädierte für ein hartes Durchgreifen sowie Prävention. Hinsichtlich der höheren Ausländerkriminalität verwies Faeser auf schnellere Abschiebungen durch restriktivere neue Regelungen der Bundesregierung – als ob es sich bei der PKS um eine Erfassung rechtskräftiger Verurteilungen durch ordentliche Gerichte handelt. Faeser nutzte die Gelegenheit, um mehr Befugnisse für Behörden zu fordern, auch für den Bereich der sogenannten Cyberkriminalität.

Die Ministerin sah insbesondere bei der Jugendkriminalität Ursachen in der Coronapandemie und schlug dabei den Bogen zur derzeit viel debattierten Aufarbeitung der Maßnahmen. Laut BKA-Präsident Holger Münch, der an Faesers Seite saß, sei erkennbar, dass hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen die psychischen Belastungen durch die Pandemie nachwirken. Die zunehmende Mobilität nach der Pandemiezeit sei einer der Gründe für eine Zunahme von Straftaten bei allen Altersgruppen. In manchen Deliktsbereichen könne man im Vergleich zum Niveau vor Corona eher einen Rückgang feststellen, der sich im Vergleich zu den Coronajahren wiederum als Zunahme von Kriminalität zeige. Auch die wirtschaftliche Belastung aufgrund der Inflation korreliere laut Münch mit der Zahl der Gewaltdelikte.

Im Hinblick auf die Zunahme von Ausländerkriminalität sehe man laut Münch, dass Migranten Faktoren aufwiesen, die eine Straffälligkeit wahrscheinlicher werden ließen. Dabei verwies der Behördenleiter auf mangelnde Bildungschancen, wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen. Man sehe allerdings auch, dass Integrationsbemühungen einen Rückgang der Zahlen ermöglichen.

Kritik an der Statistik gab es am Dienstag auch. Sie sei »unvollständig, verzerrt, potentiell manipulierbar und ungewichtet«, sagte der Kriminologe Martin Thüne gegenüber der Frankfurter Rundschau. Sie sei deshalb »eine problematische Datengrundlage«. Auch hinsichtlich der gestiegenen Ausländerkriminalität lasse sich eine systematische Verzerrung erkennen. So würden viele Taten von Tatverdächtigen erfasst, die gar nicht in Deutschland leben. Also etwa Touristen oder Pendler. Daher sei dieser Anteil höher als der von Ausländern an der Wohnbevölkerung. Dass die Zahlen bei ausländischen Tatverdächtigen so stark gestiegen seien, müsse ins Verhältnis zur insgesamt gestiegenen Zahl von Ausländern hierzulande gesetzt werden. Setzt man nämlich die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Gewaltkriminalität in Verhältnis zu einem gewachsenen Bevölkerungsanteil, ergibt sich ein deutlich niedrigerer Anstieg von lediglich 1,2 Prozent. Darüber hinaus verweisen Kritiker auch auf eine erhöhte Anzeigefreudigkeit gegenüber Ausländern.

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