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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Arbeitskämpfe in Italien

Armes Italien

Der Kampf gegen Massenverarmung ist ein zentrales Thema der italienischen Gewerkschaften
Von Gerhard Feldbauer
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»Armut ist keine Schande«, sondern auch das Ergebnis von Maßnahmen der Meloni-Regierung (Rom, 21.7.2023)

Der Kampf gegen die in Italien stark zunehmende Armut ist ein zentrales Thema der Gewerkschaftskämpfe in den kommenden Tagen und Wochen. Das betonte Maurizio Landini, Generalsekretär der CGIL, dem mit über 5,6 Millionen Mitgliedern größten Gewerkschaftsbund des Landes, bei der Ankündigung eines Generalstreiks in den Unternehmen der Privatindustrie für den kommenden Donnerstag.

Unter der seit Oktober 2022 regierenden faschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat die Armut einen Rekordstand erreicht. Nach einem Bericht der Caritas ist die Zahl der »neuen Armen«, die sich das erste Mal wegen finanzieller Nöte an die katholische Organisation wendeten, allein im vergangenen Jahr von 31 auf 45 Prozent angestiegen. Der »Armutsbericht« hebt hervor, dass bei Familien mit minderjährigen Kindern sowie bei Frauen und Jugendlichen die Härtefälle besonders angestiegen sind.

Auch ein Bericht des staatlichen Statistikamtes Istat warnt, dass absolute Armut im Jahr 2023 8,5 Prozent der Familien betraf, also etwa 5,7 Millionen Menschen, betonte aber, dass es sich dabei um vorläufige Angaben handelte, die möglicherweise noch nach oben korrigiert werden müssten. Im November 2023 hatte die CGIL berichtet, dass mehr als 63 Prozent der italienischen Familien ihren Lebensunterhalt nur unter größten Schwierigkeiten bestreiten. Die Anzahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, liege in Italien mit 24,2 Prozent über dem EU-Mittelwert (21,6 Prozent). Ein niedriges Lohnniveau zwingt auch Hunderttausende, die noch eine Arbeit haben, zu einem Leben am Rande der Armut.

Laut Istat liegen die Löhne in Italien rund zwölf Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Das seien rund 3.700 Euro pro Jahr weniger als der EU-Durchschnitt und über 8.000 Euro weniger als der Durchschnitt deutscher Beschäftigter. 2022 musste eine Familie für Grundnahrungsmittel wie Brot, Nudeln und Reis, Fleisch und Wurstwaren 613 Euro mehr bezahlen als noch im Jahr zuvor. Zu ihnen gehören auch die Hafenarbeiter, die am vergangenen Freitag für höhere Löhne streikten. Das durchschnittliche Gehalt eines Hafenarbeiters in Italien liegt bei rund 21.000 Euro brutto pro Jahr.

Ein Blick in den Haushalt 2024 zeigt, wo die Ursachen für die wachsende Armut liegen. Er enthält Mehrausgaben in Höhe von drei Milliarden Euro allein zur Senkung von Steuern und Sozialabgaben der Unternehmen, zwei Milliarden Euro für Lieferungen von Rüstungsgütern an die ukrainische Armee, mehrere Millionen für den Aufbau von Haftanstalten oder die »Rückführung« von Migranten, während für die Abmilderung der Altersarmut so gut wie nichts enthalten ist.

Mit der Anhebung des Renteneintrittsalters wurde die Anpassung der Renten an die Inflation aufgehoben und die Bedingungen für Frühpensionierungen verschärft, was Millionen Rentner, die »Ausrangierten«, deren Arbeitskraft für das Kapital keinen Wert mehr besitzt, am härtesten traf. Die Teuerung »frisst die Rente auf«, so der Vorsitzende der Rentnergewerkschaft der CGIL, Alfred Ebner. Selbst im vergleichsweise wohlhabenden Südtirol bekommen laut Ebner »derzeit rund 30 Prozent der Rentner unter 1.000 Euro brutto«. Davon lässt sich kaum leben. Und es treffe nun immer mehr von denen, »die ein bisschen darüber liegen – und die solche Situationen gar nicht gewohnt sind«.

Von blanker Armut sind Frauen dabei deutlich stärker betroffen als Männer. Während letztere laut dem Sozialversicherungsträger INPS 2019 im Schnitt 1.381 Euro Rente erhielten, lag das Mittel bei den Frauen bei 976 Euro. Mit der Abschaffung des Bürgergelds wurde das Mindesteinkommen für arme Menschen, die in Haushalten ohne »Eingliederungshilfe« leben, von 550 auf 350 Euro reduziert, die Zahlung zudem an Bedingungen wie die Teilnahme an Berufsbildungsmaßnahmen geknüpft. Hunderttausende wurden so in die Armut getrieben.

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