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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 8 / Inland
Fossile Ausbeutung

»Die Indigenen leiden unter Wassermangel und Hunger«

Blutige Kohle aus Kolumbien: Aktivisten haben das Uniper-Kohlekraftwerk in Gelsenkirchen blockiert. Ein Gespräch mit Jule Fink
Interview: Gitta Düperthal
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Ende Gelände fordert den Ausstieg aus fossilen Energien und blockierte am Sonnabend für 15 Stunden das Uniper-Kohlekraftwerk in Gelsenkirchen. War das ein Erfolg?

Ja. Wenn Konzerne ihre Profite machen und massive Ausbeutung von Menschen betreiben, läuft das typischerweise unterm Radar. Uns war in Kooperation mit niederländischen Aktiven wichtig, die Debatte darüber in Gang zu bringen. Am Freitag begannen Proteste in Rotterdam, wo die Kohle aus Kolumbien und anderswo ankommt und von dort aus weitertransportiert wird. Aktivistinnen und Aktivisten von »Kappen met Kolen« haben dort blockiert, die Schienen der Transportwege rot angemalt, um darauf hinzuweisen, dass an der Kohle Blut klebt. Am Sonnabend ab 5.30 Uhr ging es beim Steinkohlekraftwerk Scholven in Gelsenkirchen weiter. Eine Gruppe von 30 Aktiven saß auf dem Betriebsgelände vor dem Eingang und behinderte die Zufahrt. 70 weitere sorgten auf den Gleisen davor dafür, dass keine weitere Kohle angeliefert werden konnte. Auch hier wurden Schienen blutrot angemalt. Mit einer Kletteraktion wurde ein Protestbanner von einer Brücke herabgelassen, was weitere Gleise blockierte. Lieferungen oder Handwerker kamen nicht ins Werk.

Ein Uniper-Sprecher sagte, der Betrieb sei durch die Aktion nicht beeinträchtigt worden.

Das ist eine strategische Behauptung. Der Konzern geriet in Bedrängnis, musste sich gegenüber der Presse verteidigen, will aber den Ball flach halten.

Wie ging die Polizei beim Räumen der Blockade vor?

Polizeikräfte wendeten wieder Schmerzgriffe an. Diese Gewalt gegen legitimen Protest verurteilen wir scharf.

Mit Blick auf die kolumbianische Steinkohle sprechen Sie von »Blutkohle«, kritisieren Menschenrechtsverletzungen. Was werfen Sie Konzernen wie Uniper vor?

Werden Tagebaue vergrößert, gibt es Vertreibungen der indigenen Bevölkerung vor Ort. Das passiert quasi auf Nachfrage, etwa nach einem Anruf am 6. April 2022 von Bundeskanzler Olaf Scholz beim damaligen kolumbianischen Präsidenten Iván Duque. Aufgrund des Ausfalls russischer Kohlelieferungen wollte Scholz den Bedarf hierzulande mit Kohle aus Kolumbien decken. Daraufhin wurde der größte Tagebau dort, El Cerrejón, massiv erweitert. Er verbraucht pro Tag fast 30 Millionen Liter Wasser. Staub aus der Mine legt sich auf Felder, vergiftet die Ernte. Die Lebenssituation indigener Völker wie der Wajúu oder der Yupka-Nation verschlechtert sich mit jeder Ausweitung. Sie leiden unter Wassermangel und Hunger. Gemeinschaften wurden zwangsumgesiedelt, ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Dagegen wehren sie sich. Wer sich auflehnt, bekommt es mit Paramilitärs zu tun, in deren Finanzierung Kohlekonzerne verstrickt sind. In Gerichtsverfahren wurde nachgewiesen, dass der US-Konzern Drummond Paramilitärs finanzierte, um Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zu ermorden.

Uniper will aus der Kohle aussteigen, aber ein neues Gaskraftwerk in Probebetrieb bringen. Das kritisieren Sie auch?

Wir sehen es an den LNG-Terminals, dass Gas Umwelt und Klima genauso schädigt wie Kohle. Die Bundesregierung unterstützt weiterhin die dreckige Energiepolitik der Konzerne. Mit Deals in Hinterzimmern werden zwecks des angeblichen Kohleausstiegs zugleich millionenschwere Subventionen aus Steuergeld in den Ausbau der Gasinfrastruktur ausgehandelt. Wir halten das für hochproblematisch und fordern eine Vergesellschaftung von Energiekonzernen. Der Staat zieht Klimaverbrecher nicht zur Verantwortung, sondern fördert ihre Geschäfte. Dies wirkt sich negativ auf schon marginalisierte Menschen aus: in Kolumbien, aber auch in der Bundesrepublik, wo Energiekonzerne Strom- und Gaspreise künstlich hochhalten. Wir kämpfen für einen Systemwandel. Demokratisch und dezentral muss entschieden werden, wie Energie den Bedürfnissen der Menschen entsprechend produziert werden kann.

Das Gesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck für umweltfreundlicheres Heizen wurde vielfach kritisiert.

Mit dem Heizungsgesetz wollten Bündnis 90/Die Grünen Klimaschutz umsetzen, ohne soziale Belange mitzudenken. Energiepolitisch muss es Partizipation geben und zugleich von oben nach unten umverteilt werden.

Jule Fink ist Sprecherin von Ende Gelände

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