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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Südkorea

Entscheidung ohne Linke

Südkorea: Zwei traditionelle Parteien machen Parlamentswahlen unter sich aus. Fortschrittliche per Gesetz benachteiligt
Von Martin Weiser, Seoul
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Allen Erwartungen zufolge vorne – Anhänger der Demokratischen Partei am Montag in Seoul

Am Mittwoch wird in Südkorea das Parlament gewählt. Bereits vor vier Jahren waren die kleinen Parteien wegen des Wahlrechts weitestgehend ausgeschlossen. Damals waren nur 17 der 300 Sitze oder knapp sechs Prozent nicht an Kandidaten der beiden großen Parteien gegangen. Dass mehr als 80 Prozent der Sitze über Direktmandate in den Wahlkreisen vergeben werden und nur der Rest über Parteilisten, hatte daran seinen Anteil. Bei der Wahl griff allerdings auch eine neu eingeführte Sonderregel, die eigentlich die kleinen Parteien begünstigen sollte.

Regeln ausgehebelt

Die großen – die Demokratische Partei (DPK) und die konservative Regierungspartei »Bürgerkraft« (People Power Party, PPP) – missbrauchen diese Bestimmung aber damals wie heute für den eigenen Machterhalt. Der Regelung zufolge sollten die Direktmandate einer Partei mit den Stimmen für ihre Liste verrechnet werden. Wer ­viele Direktmandate holt, bekommt also weniger oder gar keine zusätzlichen Sitze. Die PPP wirft aber traditionell gerne demokratische Prinzipien über Bord und hat die Listenkandidaten einfach in eine Scheinpartei ausgelagert, um diese Regel auszuhebeln. Die Freiheit des Mandats erlaubt dann nach der Wahl das Zurückwechseln in die eigentliche Partei. Die DPK zog nach, und die drei kleinen Parteien, die es 2020 über die Dreiprozenthürde geschafft hatten, verloren so etwa zwei Dutzend Sitze im Parlament.

Die Demokratische Partei gewann allerdings die Wahlen so haushoch, dass dieser Betrug überhaupt nicht notwendig gewesen wäre. Nachdem sie so schon viel Ansehen verspielt hatte, machte sie trotz Parlamentsmehrheit in den vergangenen vier Jahren keinerlei Anstalten, diese Absurdität des Wahlrechts zu reformieren. Statt dessen unterbreitete sie den linken Kleinparteien dieses Jahr ein vergiftetes Angebot: Sie könnten ja einfach der eigenen Satellitenpartei beitreten, mit allen Konsequenzen. Die Progressive Partei ging darauf ein und ist mit drei Kandidaten auf sicheren Listenplätzen der Demokratischen Allianz vertreten, die wahrscheinlich 20 Abgeordnete ins Parlament befördern wird. Das entspräche unter normalen Bedingungen einem Stimmenanteil von etwa sechs Prozent und scheint durchaus großzügig, zumal dank der Allianz auch die Dreiprozenthürde ausgehebelt wird. 2020 hatte die Partei nur ein Prozent der Stimmen bekommen. Dank des Listenbeitritts wird die Progressive Partei auch keine Mandate verlieren, falls einer ihrer 21 Direktkandidaten gewinnt. 15 davon hat sie in der Stadt Kwangju und den Provinzen Nord- und Südjeolla aufgestellt, den traditionellen Hochburgen der Demokratischen Partei. Dort hatte im April 2023 auch ihr derzeit einziger Abgeordneter Kang Sung Hee per Nachwahl ein Mandat geholt.

Abweichler ausgebootet

Zu links durften die vorgeschlagenen Listenkandidaten dann aber wiederum auch nicht sein, um Zusammenhalt und Wahlerfolg der Liste nicht zu gefährden. Sogar die Kovorsitzende der Progressiven Partei, Jang Jin Suk, musste ihre Kandidatur zurückziehen und den Platz einer gemäßigten Parteigenossin überlassen, weil in den Medien zu kritisch über sie berichtet worden war. Die rechte Tageszeitung Kukmin Ilbo etwa grub 20 Jahre alte Aufrufe Jangs zum Abzug der US-Truppen aus und verbreitete, dass sie unter anderem dafür 2001 und 2012 per Nationalem Sicherheitsgesetz zu Bewährungsstrafen verurteilt worden war. Zwei andere Kandidaten aus gesellschaftlichen Initiativen mussten wegen ähnlicher in Südkorea als extrem links verpönter Äußerungen ihre Listenplätze aufgeben. Einem Menschenrechtsaktivisten und ehemaligen Vorsitzendem des Center for Military Human Rights blieb eine Plazierung auf der Liste versagt, weil er 2004 den Wehrdienst verweigert hatte.

Die Arbeiterpartei und die Grüne Gerechtigkeitspartei haben sich gar nicht erst der Allianz angeschlossen. Während erstere keinerlei Chancen auf Mandate hat, können die Grünen zumindest auf einige wenige Sitze im Parlament hoffen. In 17 Wahlkreisen treten ihre Kandidaten an, und die Parteiliste ist mit 14 Personen lang genug, um auch bei 30 Prozent der Stimmen genug Leute ins Parlament zu schicken. Aber all das ist eher gespielter Optimismus, in den Umfragen dümpelte die Partei zuletzt bei einem Prozent herum, Welten entfernt von den zehn Prozent bei der Wahl 2020. Viele linke Wähler nehmen es der Partei immer noch übel, dass sie bei der Präsidentschaftswahl 2022 dem rechten Kandidaten Yoon Suk Yeol ins Amt geholfen hat. Der gewann mit einem historisch niedrigen Vorsprung von 250.000 Stimmen. Die Grüne Gerechtigkeitspartei hatte sich geweigert, die eigene Kandidatin zurückzuziehen. In der jetzigen Situation bleibt Linken aber nichts anderes, als die Stimme den Grünen zu geben, um die linken Kräfte im Parlament zu stärken. Während die Abgeordneten der Progressiven Partei automatisch von den Stammwählern der DPK mitgewählt werden, würden zusätzliche Stimmen für diese Liste nicht einen einzigen weiteren Linken ins Parlament bringen.

Schon viele Stimmen

Am Freitag und Sonnabend durften die Südkoreaner bereits vor dem eigentlich Wahltag ihre Stimme abgeben, und die hohe Beteiligung deutet darauf hin, dass die Demokratische Partei besonders viele Wähler mobilisieren konnte. Die Zeichen stehen also gut, dass die Konservativen auch diesmal keine Mehrheit bekommen. Im schlimmsten Fall geht die Wahl jedoch genauso aus wie 2020: eine absolute Mehrheit für die DPK, die damit auf keinerlei Stimmen von den Linken angewiesen ist.

Hintergrund: Ärmere nicht ­repräsentiert

Südkoreas Parlamentsabgeordnete waren im Durchschnitt schon immer eher alte reiche Männer. Ein Blick auf die Kandidaten deutet darauf hin, dass es im nächsten Parlament noch schlimmer wird. Stand Montag treten 695 Kandidaten in den 254 Wahlkreisen an, von denen 500 aus den zwei großen Parteien kommen und oft die einzige Wahlmöglichkeit sind. 2020 waren es ganze 400 mehr. Nur 97 der Kandidierenden – bzw. 14 Prozent – sind Frauen, halb so viele wie 2020. Da diese Kandidatinnen in ihren 83 Wahlkreisen kaum gegeneinander antreten, könnte ihr Anteil im Parlament je nach Wahlausgang noch einmal deutlich niedriger ausfallen. 135 stehen auf den Parteilisten, die aber abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt sind und den Frauenanteil nur gering erhöhen werden.

Da Kandidaten in Südkorea ihr Vermögen offenlegen müssen, im besten Fall einschließlich des Vermögens der Eltern, Ehepartner und Kinder, konnte die Citizens’ Coalition for Economic Justice das Durchschnittsvermögen transparent machen: umgerechnet etwa 1,7 Millionen Euro und damit zwei Drittel mehr als 2020. Das ist teilweise auf den enormen Anstieg der Immobilienpreise in den vergangenen vier Jahren zurückzuführen, unterstreicht aber auch, wie wenig die weniger Besitzenden und die ärmeren Familien repräsentiert sind. Die konservative »Bürgerkraft« und ihre Satellitenpartei stellten die meisten Reichen und Superreichen auf. Ihre Kandidaten haben ein Durchschnittsvermögen von mehr als drei Millionen Euro, während die Demokratische Partei mit Allianz auf weniger als die Hälfte kommt. Kandidaten der Grünen Gerechtigkeitspartei kommen auf etwa 300.000 Euro Vermögen, die der Progressiven Partei immerhin noch auf 180.000.

Die Alterszusammensetzung des neuen Parlaments lässt sich noch schwer exakt abschätzen. Mit 57 Jahren sind die Kandidaten im Durchschnitt aber bereits zwei Jahre älter als 2020, und es gibt sehr wenig junge Kandidaten mit Aussichten auf Erfolg. (mw)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth (9. April 2024 um 05:33 Uhr)
    Das »Kind« der USA, Südkorea, macht das, was es von dem Vater USA gelernt hat: Eine Politik ohne Fortschritt im Denken und Handeln, gelenkt durch eine »Demokratische Partei« und eine »Konservative Partei«. Das hat zur Folge, dass, wenn der »Papa« Tod ist, kommt es so lange in einem »Waisenhaus« bis es seine wahren Eltern, Nordkorea, wiedergefunden hat. Das Waisenhaus trägt den Namen ASEAN.

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