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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Politscher Postpunk

»Alles fällt, stürzt ein«

Über antifaschistischen Widerstand und apokalyptischen Postpunk mit utopischen Fluchtlinien. Ein Gespräch mit dem Duo Laut Fragen
Von Barbara Eder
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»Die meisten Menschen können sich eher den Weltuntergang als das Ende des Kapitalismus vorstellen« – Laut Fragen

Maren Rahmann und Didi Disko, »Age of Angst«, das jüngste Album Ihres Projekts Laut Fragen, trägt einen existentialistisch anmutenden Titel – weshalb?

Maren Rahmann: Wir leben in einer Zeit, in der viele Ängste geschürt werden, einer sehr angstgetriebenen Zeit. Und dann gibt es natürlich auch sehr nachvollziehbare Ängste, etwa vor der Klimakatastrophe oder dem antifeministischen Backlash. Diese Themen sind oft die Basis für unsere Texte. Aber wir wollen nicht bei der Angst stehen bleiben.

Soundtechnisch ist das Album auch viel zu punkig, als dass man sich dem vereinzelnden Gefühl der Angst hingeben könnte.

M. R.: Die Angst braucht auch den Gegenpol, nämlich Mut. Mut, etwas zu verändern, Mut etwas Neues auszuprobieren, aber auch den Mut zu widersprechen und Festgefahrenes laut zu hinterfragen. Wir versuchen immer den Ausblick auf die Utopie offenzuhalten.

Gibt es auf »Age of Angst« eine Art Wegweiser in Richtung Utopie?

Didi Disko: Die Vinylversion haben wir bewusst so gestaltet, dass es keine A- oder B-Seite gibt. Man kann mit beiden Seiten beginnen – und dementsprechend kommt man am Ende anderswo raus. Eine Seite hört mit dem Weltuntergang auf, die andere mit der Utopie. Und so kann man sich je nach Stimmungslage das letzte Lied aussuchen – je nachdem, ob man heute mehr Lust auf Apokalypse oder mehr auf Utopie hat.

M. R.: Der Song »Goldene Insel« ist am Ende einer Plattenseite. Da geht es tatsächlich um den Weltuntergang. Alles fällt, stürzt ein. Dazu gehören auch Gedankengebäude, das Sichere, das Alltägliche, das Immergeglaubte. Die Säulen toter Männer, Imperien, Grenzen fallen. Und das Geld und die Götter. Wir wünschen uns das Ende des Patriarchats und des Kapitalismus. Die meisten Menschen können sich eher den Weltuntergang als das Ende des Kapitalismus vorstellen. Bei diesem Song fällt das zusammen.

D. D.: Wobei wir uns abseits dieses Songs durchaus wünschen, dass die Menschheit und die Natur überleben, ohne sich gegenseitig auszulöschen und auszubeuten.

Auf dem vorhergehenden Album »Facetten des Widerstandes« haben Sie antifaschistische Texte aus den dreißiger Jahren vertont. Von diesem Album zu »Age of Angst« ist es ein großer Sprung.

M. R.: »Age of Angst« war auch eine Reaktion auf das Album davor. Für »Facetten des Widerstandes« haben wir historische antifaschistische Texte gesammelt und vertont. Außerdem haben wir ein Interview mit einem Zeitzeugen geführt, das kann man im Song »Combat« hören. Wir wollten uns damit beschäftigen, dass es eben doch Widerstand gab. In Österreich wird das ja eher versteckt.

D. D.: »Facetten des Widerstandes« war ein wichtiges Album. Aber wir wollten dann doch auch mal etwas anderes machen. Und ich persönlich wollte auch nicht ewig in diese Schiene eingeordnet werden: die Band, die diese alten Texte vertont. Diesmal wollten wir uns ganz auf Themen der Gegenwart beziehen und alle Texte selber schreiben. Zweieinhalb Jahre haben wir an »Age of Angst« gearbeitet – nur eben anders: Wir gehen nicht ins Studio und nehmen dann zwei Wochen lang auf, ich wohne in meinem Homestudio. Da können Lieder relativ lange reifen oder liegen, und dann macht man wieder weiter.

Der Sound von »Age of Angst« erinnert an Bands wie Red Krayola, aber auch an NDW-Stücke mit experimentellen Klangkulissen.

D. D.: Uns sind musikalische Kategorien eigentlich ziemlich egal, aber offiziell bezeichnen wir unseren Stil als Postpunk mit experimenteller Elektronik. Anfang der 80er, als diese Musikrichtungen entstanden, waren viele Freiheiten da: Synthesizer wurden leistbar, es wurde viel experimentiert und Musikrichtungen gemischt. Es sind diese Freiheit und der Mut zum Experiment, auf die wir uns beziehen. Wir wollen nicht so klingen wie eine Band aus den Achtzigern, das ist uninteressant. Aber die Einflüsse sind da.

M. R.: Wir sammeln auch Field Recordings. Wenn uns irgendwo interessante Klänge auffallen, nehmen wir das auf. Das kann ein quietschendes Gartentor sein oder knirschende Schritte im Schnee.

D. D.: Oder Straßenlärm oder Umgebungsgeräusche. Das gibt den Songs einen leicht psychedelischen Touch – man kann leichter eintauchen in die Soundwelt. In »Goldene Inseln« kommt beispielsweise viel Wasser vor, nicht nur im Text. Wir haben das Stück mit einem Unterwassermikrofon aufgenommen.

M. R.: Für den Track »Wo gehen wir hin heut Nacht?« haben wir Nachtigallgesänge verfremdet und das klingt nun wirklich schräg. Da geht es um eine durchwachte Nacht. In der Früh läuft jemand durch die Straßen und hört dann genau diese Geräusche.

D. D.: Das passt auch zu unserer Einstellung zum Songwriting: Sich treibenlassen und dabei offen bleiben für Spannendes, Ungewohntes. Ein Sound, ein Satzfetzen, ein starkes Bild oder Thema – daraus wird vielleicht unser nächster Song.

Das Wiener Elektro-Postpunk-Duo Laut Fragen existiert seit 2016. Für »Facetten des Widerstandes« (2020) vertonten Maren Rahmann und Didi Disko historische Texte aus dem Widerstand gegen Austrofaschismus und die Nazis in Österreich. Die Musik stammt aus der Feder der Band, aber wer genau zuhört, kann auch das jiddische Partisaninnenlied »Schtil, di nacht is ojsgeschternt« und das während der Februarkämpfe 1934 weitverbreitete Arbeiterlied »Die Arbeiter von Wien« entdecken. Beim aktuellen Album »Age of Angst« (Numavi Records) geht es gegenwartsbezogen um Themen wie Sexismus, Selbstoptimierung und Umweltzerstörung

Interview: Barbara Eder

Am 11.4. hat Maren Rahmann einen Soloauftritt. Sie spielt »Vagabundenlieder« im Knödelclub, Bäckerstraße 11, 19348 Perleberg, www.knödelclub.de

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