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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Trade and Technology Council

Tech-Krämpfe im Westen

USA forderten mehr Zölle gegen China. EU hoffte auf Ausnahmen vom US-Protektionismus. Transatlantisches Technologieforum vorerst auf Eis
Von Sebastian Edinger
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Taiwanische Fabrik für Halbleiterprodukte in China: TSMC in Nanjing

Vergangene Woche kamen Vertreter von EU-Kommission und US-Handelsministerium im belgischen Leuven zum sechsten und vorerst letzten Mal zum Trade and Technology Council (TTC) zusammen, um ihre Digital- und Technologiepolitik zu koordinieren. Jetzt soll abgewartet werden, wie EU-Wahlen und Kommissionsbildung diesseits sowie im November die Präsidentschaftswahlen jenseits des großen Teichs ausgehen. In Brüssel wird vor allem eine zweite Amtszeit von Donald Trump gefürchtet. Denn dann gäbe es wohl vorerst keine Perspektive mehr für die EU-US-Techkooperation.

Doch auch unter der Biden-Administration nahmen die Spannungen zwischen den beiden Blöcken zuletzt zu, und viele wichtige Vorhaben konnten im TTC nicht abgeschlossen werden. Die US-Regierung nutzte das Forum vor allem, um die EU-Staaten für die eigenen geopolitischen Ziele einzuspannen. So hatte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai unmittelbar vor der Tagung noch mal klargemacht: Die »nichtmarktwirtschaftliche Politik« Chinas richte großen Schaden an, wenn keine »geeigneten Gegenmaßnahmen« ergriffen würden. Von den »europäischen Partnern« erwartet man in Washington etwa die Einführung von Investment-Screening, Exportkontrollen und Strafzöllen gegen Techprodukte aus der Volksrepublik.

Für die EU wiederum geht es bei der Techkooperation mit den USA darum, als treues Gefolge überhaupt ein Wörtchen mitreden zu können, wenn es um die globale Digitalpolitik geht. Allerdings ist China für die EU als Wirtschaftspartner zu wichtig, um die Handelsbeziehungen im Dienste der US-Geopolitik zu kappen. Für die BRD ist die Volksrepublik gemessen am Handelsvolumen der bedeutendste Partner weltweit. Bei Produkten wie Handys oder Laptops, sowie bei einigen Vorprodukten – insbesondere modernen Halbleitern – und bei Rohstoffen wie seltenen Erden, wäre die hiesige Digitalwirtschaft ohne Zulieferungen aus China ruiniert. Viel besser sieht es auch in anderen EU-Staaten nicht aus. Daher reichte es auch bei der TTC-Tagung vergangene Woche kaum zu substantiellen Vereinbarungen.

So enthält die Abschlusserklärung etwa beim wichtigen Thema Halbleiter lediglich eine Verlängerung der bisherigen Vereinbarungen um drei Jahre. Da geht es vor allem um Informationsaustausch. Beim Bezug von Rohstoffen für die Digitalwirtschaft wollen EU und USA zudem gemeinsam nach alternativen Lieferanten suchen, um unabhängiger von China zu werden. Im Nachgang des TTC soll daher ein »Partnership Forum« gelauncht werden. Wie ein Sprecher der EU-Kommission vergangene Woche gegenüber Journalisten sagte, sind 24 Staaten eingeladen worden. Mit Usbekistan wird wohl noch in dieser Woche ein Abkommen zur Lieferung »kritischer Rohstoffe« unterzeichnet.

Wenig Bewegung gab es zum Ärger der am TTC beteiligten Europäer auch bei protektionistischen Maßnahmen der USA, unter denen auch Wirtschaftsakteure in der EU zu leiden haben. Das betrifft etwa die Zölle auf Stahl- und Aluminiumeinfuhren in die USA sowie staatliche Subventionen, die mit dem Inflation Reduction Act eingeführt worden waren. Als exklusiver Partner würde die EU von den Machthabern in Washington gerne »fairer« behandelt werden als andere. Deshalb wurden die Maßnahmen im TTC zum Streitthema, doch wenn es um US-Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen geht, zeigt die Biden-Administration den EU-Kommissaren genauso die kalte Schulter, wie es Trumps Leute einst taten.

Auch beim Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI) werden die transatlantischen Widersprüche immer offensichtlicher. Zwar einigte man sich in Leuven bloß auf einen strukturellen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden von EU und USA und eine weitere Arbeit an gemeinsamen Standards und Definitionen. So soll der gemeinsame Markt gestärkt werden. Wobei die EU zumindest auf der Ebene großer Sprachmodelle ohnehin wenig einzubringen hat, die kommen fast alle aus den USA und China. Brüssel versucht daher, seine Regulierungsmacht einzusetzen, um im Spiel zu bleiben. Dass der AI Act auch US-Konzerne trifft, sorgt für Stirnrunzeln in Washington. Umgekehrt stört man sich in Brüssel daran, dass die US-amerikanische KI-Politik besonders darauf ausgerichtet ist, alle relevanten Akteure im Inland anzusiedeln.

Nach sechs TTC-Verhandlungsrunden in drei Jahren bleiben klare Resultate auf vielen Themengebieten aus. Nun wird der Austausch erst mal auf die Arbeitsebene begrenzt. Ob es auch zukünftig eine institutionalisierte Form der Techkooperation zwischen EU und USA geben wird, soll Ende des Jahres geklärt werden. Besonders zuversichtliche Formulierungen für die Zukunft des Forums enthält die Abschlusserklärung allerdings nicht.

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