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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 8 / Inland
Verfolgung von Kurdinnen und Kurden

»PKK-Prozesse laufen alle nach demselben Muster ab«

Mehrere kurdische Aktivisten werden innerhalb weniger Tage nach Terrorparagraphen verurteilt. Ein Gespräch mit Arno-Jermaine Laffin
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Paragraphen der Repression: 129 a und 129 b (Berlin, 26.11.2022)

Innerhalb weniger Tage wurden drei kurdische Politiker hierzulande wegen PKK-Mitgliedschaft als »Terroristen« verurteilt. Nehmen Sie eine Zunahme der Repression gegen die kurdische Exilbewegung wahr?

Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, wird seit 2010 von der BRD als sogenannte terroristische Vereinigung im Ausland nach den Strafrechtsparagraphen 129 a und 129 b verfolgt. Seitdem haben wir 66 Kurdinnen und Kurden unterstützt, die aufgrund dieses Vorwurfs inhaftiert wurden. Das sind durchgängig etwa zehn bis zwölf Gefangene. Es finden also seit bald 15 Jahren laufend Gerichtsverhandlungen statt. Dass mehrere Urteile in so kurzer Zeit gesprochen werden, ist zwar unüblich, aber kein Anzeichen für eine Zunahme der Repression.

Wer ist von diesen jüngsten Urteilen betroffen und was wird den Menschen vorgeworfen?

Die drei Verurteilten sind Sabri Çimen, Tahir Köçer und Ali Özel. Sie sind alle langjährige Aktivisten der kurdischen Bewegung. Sie sind zwischen 50 und 60 Jahre alt und haben bereits politische Verfolgung, Haft und Folter in der Türkei erlebt. Kurdistan mussten sie aufgrund der Repression verlassen. Tahir und Ali sind Familienväter und seit Jahren in Deutschland politisch aktiv, Tahir war sogar Kovorsitzender des größten Dachverbands von Kurdinnen und Kurden in der BRD, Kon-Med. Sabri ist britischer Staatsbürger und wurde von Frankreich an die BRD ausgeliefert, um ihn hier anzuklagen.

Sie sollen Veranstaltungen organisiert, Versammlungen besucht, Menschen getroffen, Spenden gesammelt oder ähnliche Arbeiten gemacht haben. Das seien laut Staatsanwaltschaften und Gerichten typische Tätigkeiten sogenannter PKK-Gebietsverantwortlicher und allein deshalb strafbar, weil sie als PKK-Mitglieder gehandelt haben sollen. Individuelle Straftaten wurden ihnen nicht vorgeworfen.

Was sind die Gemeinsamkeiten in diesen Verfahren?

Die PKK-Prozesse laufen alle nach demselben Muster ab: Zuerst wird erklärt, dass die PKK in Kurdistan und der Türkei Anschläge verübe. Auf diese Weise werden sogenannte Bezugstaten eingeführt, wegen derer die PKK terroristisch sein soll. Die meisten Gerichte erkennen sogar mittlerweile die Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsbrüche des türkischen Regimes an. Aber sie verkennen die Realität des Konflikts und behaupten, der bewaffnete Widerstand sei trotzdem nicht gerechtfertigt. Mit der Frage, ob ein Konflikt vorliegt, der nach dem Völkerrecht bewaffnete Selbstverteidigung erlaubt, beschäftigen sich die deutschen Gerichte im Gegensatz zu den belgischen gar nicht.

Dann wird lange um die Übersetzung von Telefonaten und Kurznachrichten gestritten, denn die Übersetzerinnen und Übersetzer arbeiten für die Polizei – und übersetzen nicht selten im Sinne der Anklage. Manchmal sind die Übersetzungen schlecht oder gar falsch. Die Verteidigung muss dann wirklich hart kämpfen. Am Ende steht stets der Verurteilungswille des Gerichts. Die biographische Betroffenheit der Angeklagten wird zwar bedauert und manchmal wird sogar Verständnis geäußert, aber die Vorgabe zur Verfolgung erteile die Bundesregierung, und deswegen bleibe den Gerichten schließlich nichts anderes übrig, als zu verurteilen.

Der kurdische Politiker Ali Özel wurde bereits mehrfach verurteilt. Gibt es Besonderheiten in seinem Fall?

Im Verfahren gegen Ali Özel war dieser Widerspruch zwischen einem Verständnis für den Angeklagten und dem Willen, die Situation der Kurdinnen und Kurden anzuerkennen, einerseits und der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren andererseits besonders deutlich.

Was könnten wirksame politische Mittel sein, um der Repression zu widersprechen?

Diese ganze Repression fußt auf politischen Entscheidungen, sie könnte von heute auf morgen beendet werden, wenn der politische Wille beziehungsweise der Druck groß genug wären. Bis dahin bleibt uns nur, die Solidarität mit den Betroffenen und eben diesen notwendigen politischen Druck zu organisieren.

Arno-Jermaine Laffin ist Sprecher von Azadi e. V., demRechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland

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