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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 7 / Ausland
Bürgerkrieg

Völkermord in Guatemala vor Gericht

Früherer Armeechef soll für Ermordung von mehr als 800 Zivilisten verantwortlich gemacht werden
Von Thorben Austen, Quetzaltenango
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Angehörige und Überlebende der Ixil hoffen auf Gerechtigkeit für die Getöteten (Guatemala-Stadt, 18.11.2019)

Ihm werden Verbrechen gegen die Menschheit, Völkermord und gewaltsames Verschwindenlassen zur Last gelegt. Am Freitag begann in Guatemala der Prozess gegen Manuel Benedicto Lucas García, der vom 16. August 1981 bis 23. März 1982 Armeechef des mittelamerikanischen Landes war. Die Jahre 1978 bis 1993 gelten als die blutigste Epoche des Bürgerkriegs (1960–1996), insgesamt wurden etwa 240.000 Menschen getötet. Der heute 91jährige verfolgte den Prozessbeginn per Videokonferenz aus dem Hausarrest.

García wurde bereits im Mai 2018 wegen gewaltsamen Verschwindenlassens, Folter und sexualisierter Gewalt zu 58 Jahren Haft im sogenannten Fall Molina Theissen verurteilt, dabei ging es jedoch nicht um die Massaker an der indigenen Bevölkerung. García hatte Berufung gegen das Urteil eingelegt und durfte im Juni 2023 das Militärkrankenhaus verlassen, in dem er inhaftiert war.

Konkret wird der ehemalige General für die Ermordung von 844 Menschen in drei Landkreisen im Departamento Quiché verantwortlich gemacht. »13 Prozent der Opfer dieses Völkermordes waren Kinder zwischen null und drei Jahren, schwangere Frauen und unbewaffnete ältere Menschen, die getötet wurden, weil sie als mit der Guerilla verbunden angesehen wurden«, erklärte Staatsanwältin Cándida Morales Santos zu Beginn der Verhandlung im Hochsicherheitsgericht A. Die Staatsanwaltschaft will versuchen, den »Völkermord zu beweisen«. Dazu sollen 152 Zeugen und 81 Sachverständige angehört werden. Neben Überlebenden der Massaker sollen auch ehemalige Soldaten vernommen werden. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, einen ehemaligen Armeeangehörigen zu vernehmen, zum Schutz seiner Identität als »Zeuge A« bezeichnet, der Auskunft über »seine Beobachtungen und die Befehle, die er zum Angriff auf die Dörfer erhalten habe«, geben soll. »García habe die Einsatzpläne gegen die Bevölkerung entwickelt«, erklärte Morales.

Ursprünglich war der Prozessbeginn auf den 25. März terminiert, die beiden Verteidiger, einer davon Garcías Sohn, traten kurz zuvor jedoch aus »gesundheitlichen Gründen« zurück. Das Menschenrechtsbüro des Erzbistums von Guatemala, dass die Nebenkläger unterstützt, vermutete darin eine Verzögerungstaktik ähnlich wie im Verfahren gegen den Exdiktator Efraín Ríos Montt, der ebenfalls wegen Völkermord angeklagt wurde, aber starb, ohne dass ein rechtskräftiges Urteil gesprochen werden konnte. »Es ist System, die Verhandlung zu unterbrechen, neue Verteidiger zu suchen, die sich dann erst einmal in den Fall einarbeiten müssen, damit sie in der Lage sind, den Angeklagten vertreten zu können. Das aber bedeutet eine Verzögerung des Prozesses um einen oder mehrere Monate«, hieß es.

In diesem Fall scheint die Rechnung nicht aufzugehen. Das Gericht gewährte den neuen Anwälten, aktuell zwei Pflichtverteidigerinnen, nur die gesetzlich vorgeschriebene Frist von fünf Arbeitstagen. »Für die Zeugen, die eine stundenlange Anreise antreten müssen, ist es eine echte logistische Herausforderung. Darüber hinaus muss das Gericht andere wichtige Prozesse verschieben, die dann wiederum das gesamte Justizsystem unnötig belasten«, erklärte der Vorsitzende Richter Gervi Sical Guerra.

Offizieller Grund für die Massaker in den 1980er Jahren war die Bekämpfung der Guerilla. In der Region war vor allem die Guerillaarmee der Armen (EGP) aktiv, die sich 1982 mit drei anderen Organisationen zur URNG (Vereinigte Nationale Revolutionäre Guatemalas) zusammenschloss. Mit dem systematischen Terror gegen die Zivilbevölkerung sollte der Guerilla der Nährboden entzogen werden. Jovita Tzul, Anwältin der Nebenklage, wies bei Prozessbeginn auf den Rassismus der herrschenden Klasse und erklärte, dass das »Maya-Volk der Ixil wahllos mit dem Ziel angegriffen wurde, es auszurotten«. Nicht zuletzt dürften persönliche Interessen eine Rolle gespielt haben. Eine Aktivistin aus der Region erklärte gegenüber jW, der aus einer wohlhabenden Großgrundbesitzerfamilie stammende García habe seinen Besitz nach den Massakern noch vergrößert und mit einer »Privatarmee« beschützt.

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