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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
»From the river to the Sea«

Österreich kann auch Repression

Verbote und zahlreiche Anzeigen: Palästina-Soli im Fokus der Behörden. Justizministerium orientiert sich an Berlin
Von Dieter Reinisch, Wien
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Auf der Suche nach »Free Palestine«: Beamte im Einsatz bei einer Großdemo in Wien am 25. November 2023

Am Sonnabend sind erneut Tausende Menschen durch Wien gezogen und haben ein Ende des israelischen Kriegs gegen den Gazastreifen gefordert. Aber auch die Repression gegen die Solidaritätsbewegung mit Palästina ist in den vergangenen sechs Monaten unnachgiebig geblieben. »Allein am 11. Oktober gab es über 310 Anzeigen«, erinnert Martin Weinberger von der Dachorganisation »Palästina Solidarität Österreich« (PSÖ) gegenüber jW. Unter diesem Namen organisieren seit Jahren Einzelpersonen und Gruppen Aktionen in Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

Vier Tage nach dem Beginn der aktuellen Phase der Kämpfe hatte PSÖ eine Kundgebung auf dem Stephansplatz in der Wiener Innenstadt veranstaltet. Der Protest wurde kurzfristig untersagt, dennoch versammelten sich über tausend Personen. Überrascht von der großen Teilnehmerzahl gelang es der Polizei nicht, die Kundgebung aufzulösen. Der Versuch einer Einkesselung der Protestierenden scheiterte, erst langsam kam Verstärkung für die überforderte Exekutive.

Eine Stunde später waren die Protestierenden eingekesselt und die Teilnehmenden wurden einzeln abgeführt. Mehrere Stunden dauerte es, bis der Platz geräumt war. Verhaftet wurden auch Personen, die zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Polizeikette standen. So ein migrantischer Jugendlicher, der neben jW stehend »Allahu Akbar« (Gott ist am größten) gerufen hatte. Auf Nachfrage teilte der Einsatzleiter mit, der Junge hätte »etwas Verbotenes gerufen«. Zur gleichen Zeit, als die Polizei gegen friedliche Palästina-Aktivsten vorging, hatte sich weniger als einen Kilometer entfernt die gesamte Bundesregierung vor dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz versammelt, und der israelischen Opfer des 7. Oktober gedacht.

In den folgenden Wochen wurden weitere Kundgebungen von den Behörden untersagt: »Seit dem Beginn des Völkermords in Gaza protestieren wir ständig in Österreich. Bisher wurden mindestens 13 Proteste verboten«, bestätigt Marco Van Jura von der Initiative Palästina Solidarität der jW. Eine zentrale Person der Bewegung ist Daniela Vill. Sie hatte die Demonstration am 11. Oktober angemeldet. Seit Jahren ist sie in der PSÖ aktiv. Demnächst muss sie sich vor Gericht aufgrund einer Aktion vom September 2023 verantworten, also noch vor Beginn der Kämpfe am 7. Oktober. Es ist nicht die einzige Anzeige, die Vill mittlerweile aufgrund ihres Aktivismus für Palästina gesammelt hat. Weinberger schätzt die Gesasmtzahl der Anzeigen mittlerweile auf »etliche hundert«. Zumeist drehe es sich um die Parole »From the river to the sea, Palestine will be free« und seine Varianten. Ihre Verwendung würde das Existenzrecht Israels in Frage stellen und falle daher unter den Strafbestand »Verhetzung«, wie die Staatsanwaltschaft Graz behauptet.

Das rechtliche Vorgehen fußt auf einem Erlass des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) vom 30. November, der aber erst Mitte März veröffentlicht wurde und jW vorliegt. In dem »Erlass des Bundesministeriums für Justiz zur rechtlichen Würdigung der Parole ›from the river to the sea (Palestine will be free‹) iSd § 282a Abs 2 StGB« wird demnach die »Rechtsansicht des Bundesministeriums (…) zur rechtlichen Würdigung der öffentlichen Wiedergabe der Parole« dargelegt. Zunächst wird in der Ausgangslage die israelische Sicht der Ereignisse am 7. Oktober wiederholt. Es folgt ein kurzer Abriss zu Geschichte und Charakter der palästinensischen Organisation Hamas.

Im dritten Abschnitt legt das BMJ seine Darstellung über »From the river …« dar. Zwar wird eingestanden, dass der Satz von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in den 1960ern geprägt wurde und »von verschiedenen palästinensischen Gruppen als Aufruf zur Befreiung Palästinas von der israelischen Besatzung verwendet« wird, darunter auch für »friedliche Bestrebungen zur Förderung der palästinensischen Unabhängigkeit«. Dann wird aber ausführlich ausschließlich auf die Verbindung des Slogans zur Hamas eingegangen. Das BMJ kommt zum Schluss: Die Forderung negiere den Staat Israel und sei daher rechtswidrig.

Nach §282s StGB sei die Verwendung des Satzes daher ein »Äußerungsdelikt«. Da durch die Parole auch »grosso modo dem Staat Israel (…) das Existenzrecht abgesprochen« werden kann, was somit »ein Aufruf zur Vernichtung des israelischen Staates« sei, könne »das öffentliche Skandieren dieser Parole mit legitimen Unabhängigkeitsbestrebungen der Palästinenser« nicht gleichgesetzt werden. Als Anlage ist dem Erlass eine Bekanntmachung des deutschen Innenministeriums über die Hamas angehängt.

Neben den wöchentlichen Demons­trationen in ganz Österreich benutzt die Bewegung auch andere Aktionsformen. Zu ihren Mitteln gehören Flashmobs und Störaktionen bei öffentlichen Veranstaltungen: »Wir versuchen, neue Formen des Protests zu finden, um die öffentliche Meinung, die Gesellschaft hier daran zu erinnern, dass in Palästina ein Krieg und ein Massaker stattfinden«, so Mohamed Aborous vom Arabischen Palästina Club (APC) zu jW. So protestierten etwa jüdische Antizionisten von der Bewegung »Not in Our Name« im Burgtheater gegen eine Veranstaltung zu Israel mit dem österreichischen Außenminister Alexander Schallenberg am 21. Januar. Auch im Parlament gab es Protestaktionen. Zusätzlich zu den politischen Anklagen erhielten Hunderte Aktivisten daher Verwaltungsstrafen. Bei manchen summieren sich die Geldstrafen von jeweils 300 Euro – manche haben bereits fünf unterschiedliche derartiger Strafen.

Hintergrund: Dokumentation Politischer Islam

Wie weit die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität in Österreich geht, zeigt ein Beispiel aus Kärnten. Basierend auf einer Sachverhaltsdarstellung des Landesamts für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung wurden dort wegen eines Schals Ermittlungen gegen einen Demonstrationsteilnehmer eingeleitet (17. Februar). Über dem Bild der Al-Aksa-Moschee stand darauf »Al-Kuds (Jerusalem, jW) ist die Hauptstadt Palästinas«. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt behauptet, dass vom Tragenden damit »das Existenzrecht Israels« geleugnet werde.

In ihrem Vorgehen gegen die Palästina-Bewegung stützen sich Polizei, Innenministerium und die Geheimdienste auf eine »Wissenschaftliche Einschätzung des Slogans ›From the River to the Sea‹« der Dokumentationsstelle Politischer Islam vom 25. Oktober. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft befördert der »Österreichische Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam)« schon seit Jahren eine rassistische und islamfeindliche Agenda.

Eingesetzt wurde der Fonds im Jahr 2020 von der konservativ-grünen Regierung, um »den Politischen Islam wissenschaftlich zu dokumentieren und zu erforschen«. Der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde die Dokumentationsstelle durch die Veröffentlichung ihrer »Islamlandkarte«. Darauf werden islamische, arabische und iranische Bildungs- und Glaubenseinrichtungen, Kulturvereine und andere Organisationen und Personen mit ihren Anschriften markiert. Persönliche Informationen sind dort einzusehen. In Begleittexten werden die Vereine und dort aktiven Personen des Antisemitismus beschuldigt und in die Nähe des Terrorismus gebracht. So befinden sich auch ein Lokal der palästinensischen Gemeinde im 3. Wiener Gemeindebezirk und der Solidaritätsverein Dar Al Janub auf der Landkarte. Mehrere Einrichtungen wurden deshalb zum Ziel rechter und antideutscher Angriffe. (dr)

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