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Aus: Ausgabe vom 03.04.2024, Seite 16 / Sport

Willkommener Anlass

Von André Dahlmeyer
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Heimat ist, wo man dich aufhängt: Will Ángel Di María wirklich zurück nach Rosario? (Lissabon, 29.3.2024)

Einen wunderschönen guten Morgen! Vergangenen Donnerstag, kurz vor dem Freundschaftsspiel von Weltmeister Argentinien gegen Costa Rica (3:1) in Los Angeles, wurde in der argentinischen Stadt Rosario, dem kulturellen Epizentrum der Silberländer, Tamara León verhaftet. Sie ist Anführerin einer der Banden der die Stadt seit vielen Jahren terrorisierenden Drogenorganisation »Los Monos« (Die Affen), die im und um den Fußballklub Newell’s Old Boys herum agieren. León wird vorgeworfen, Auftragskiller angeheuert zu haben, um den Fußballer Ángel Di María (Benfica Lissabon) und dessen Familie zu ermorden. Tags zuvor war Pablo Ezequiel Acotto festgenommen worden, der laut den Behörden eine Todesdrohung an die Familie des Spielers übermittelt hatte. Insgesamt sollen acht Personen festgenommen worden sein, die mit den Morddrohungen gegen Di María zu tun haben sollen.

In dem Drohschreiben heißt es unter anderem: »Sag deinem Sohn Ángel, dass er nicht mehr nach Rosario zurückkehren soll, sonst hat er einen Familienangehörigen weniger. Nicht mal Pullaro wird dich retten können. Wir schießen nicht mit Konfetti. Es wird Blei und Tote hageln.« Ángel Di Maria ist bei Rosario Central, dem Erzrivalen von Messi-Klub Newell’s, ausgebildet worden. In den letzten Jahren war immer wieder über eine Rückkehr des verlorenen Sohnes spekuliert worden. Da Di María angekündigt hat nach der Copa América im Sommer seine Nationalmannschaftskarriere zu beenden, ist das Thema gerade mal wieder akut. Maximiliano Pullaro ist der neue Gouverneur von Santa Fe. Im Wahlkampf war ihm von einer Gegenkandidatin vorgeworfen worden, selbst mit den Narcos gemeinsame Sache zu machen. Gegenüber der rechtspopulistischen Bundesregierung des »Anarchokapitalisten« Javier Milei, dem die Provinzen aber piepegal sind, versucht er sich als Hardliner zu positionieren, bislang eher demagogisch. Er hat angekündigt, in Rosario das Repressionssystem von Nayib Armando Bukele Ortez einführen und kompromisslos anwenden zu wollen. Der 42jährige Unternehmer Bukele ist seit 2019 Präsident El Salvadors und hat bereits Zehntausende einknasten lassen, die gefoltert und wie Vieh behandelt werden.

Rosario ist seit mindestens zwei Dekaden in Narco-Hand. Neben den »Monos« gibt es auch andere mafiaähnliche Organisationen, die mit allen Mitteln um das Territorium kämpfen. Tote sind an der Tagesordnung, die Narcos agieren in »befreiten Zonen«. Dass Justiz, Polizei und Politik ihre Komplizen sind, steht außer Frage. Anfang des Jahres habe ich mir zwei volle Tage lang den Luxus gegönnt, alle Medien in Rosario, die ich im Internet fand, es waren um die 30, mit einem Anruf zu beglücken, großes Medieninteresse im schönen Deutschland und-so-weiter. Ich erkundigte mich danach, wann dort das letzte Mal ein Polizist auf der Straße von einem Narco angeschossen worden sei. Ein Redakteur meinte sich an einen Vorfall von vor zwölf Jahren zu erinnern – ein Streifschuss. Alle anderen schlossen so etwas eigentlich Naheliegendes gänzlich aus.

Kürzlich eskalierte die Situation in Rosario. Zur Propaganda hatte Gouverneur Pullaro vor Ort mit Strafgefangenen ein typisch menschenfeindliches Bukele-Foto nachstellen lassen und publiziert. Auch wenn die argentinische Sicherheitsministerin der Regierung Milei, Patricia Bullrich, eine Ex-Montonera, frohlockte: Die Drohung ging logischerweise nach hinten los. Die Narcos kündigten an, dass nun Zivilisten sterben würden. Sie hielten Wort. Innerhalb von fünf Tagen töteten sie zwei Taxifahrer, einen Busfahrer und einen Parkplatzwächter. Der »Krieg« war nun auch im Zentrum Rosarios angekommen. Bullrich änderte im Regierungssprech den Terminus »Organisierte Kriminalität« ad hoc in »Narco-Terrorismus« und aktivierte einen Antiterrorismusparagraphen. Das muss noch durch den Kongress abgesegnet werden, doch das Ziel liegt offen zutage: Dem Militär soll wieder erlaubt werden, bewaffnet im ganzen Land auf der Straße agieren zu können. Das ist seit dem Ende der zivil-militärischen Diktatur 1983 in Argentinien gesetzlich verboten. Noch.

Was die sogenannten Di-María-Attentäter betrifft: alles eine pathetische Show. Alles Marketing. Auch wenn ich den Anschlag auf den Supermarkt des Schwiegervaters von Leo Messi nicht vergessen habe und auch nicht die Hinrichtung eines Onkels von Ezequiel Lavezzi während der WM 2014 in Brasilien.

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