4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 03.04.2024, Seite 16 / Sport
Staatsfeind Fußballfan

Konter der Ultras

St. Gallen: Aktive Fanszene aus Luzern umgeht Kollektivstrafe beim Gastauftritt – Support trotz Sektorsperre
Von Oliver Rast
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Dynamische Fanszene: Mit viel Wut im Bauch und viel Pyro (Luzern, 25.11.2023)

Ostermontag, Nachmittag, kurz nach halb fünf. Kybunpark, volles Haus. Die Partie zwischen dem FC St. Gallen (FCSG) und dem FC Luzern (FCL) läuft bereits – aber vom Gästeanhang ist noch nichts zu sehen. Kein Wunder: Sektorsperre. Auswärtsfahrer sollen draußen bleiben, erst gar nicht anreisen. Der Grund: »Fankrawalle« im vergangenen Mai in der Luzerner Innenstadt. St. Galler hatten die heimische Meute nach dem Kick vor ihrem Fanlokal »Zone 5« attackiert. Das Startsignal für das Scharmützel. Nicht das erste Mal, eine alte Fehde. Das inner- und ostschweizerische Regionalduell gilt als »Hochrisikospiel«. Damit der Clinch unter Erlebnisorientierten künftig ausbleibt, hatten Behörden für die aktuelle Saison verkündet: Das Tor zum Gästeblock bleibt verrammelt. Jeweils in St. Gallen und Luzern für die auswärtige Schar. Zwecklos.

Denn kaum waren anderthalb Minuten gespielt, der Knalleffekt: Zunächst drängen zwei, drei Dutzend FCL-Ultras wild fäuste- und fahnenschwenkend durch das Mundloch in den Sektor. Dynamische FCLer klettern auf den Zaun, spannen Banner auf – »Formation Luzern«, »Blue Line Luzern«. Blau-weißer Rauch in den Klubfarben steigt auf, vereinzelt zünden Böller. Immer mehr Anhänger rücken nach, in summa werden es wohl rund 800 gewesen sein. Dem Kommentator des Bezahl-TV »Bluewin« verschlägt es bei der Liveübertragung beinahe die Sprache. Das sollte doch nicht sein, eigentlich. Der Block für die Auswärtsfans war doch als »zu und gesperrt deklariert worden«. Eigentlich.

Die Stadtpolizei St. Gallen erklärte das im Nachgang so: Luzerner ergatterten im freien Vorverkauf Tickets, für verschiedene Sektoren. Das war bekannt. Um die Situation vor dem Einlass zu entschärfen, sahen sich die Einsatzkräfte gezwungen, den verschlossenen Gästesektor nach Rücksprache mit FCSG-Verantwortlichen »kurzfristig freizugeben«. Kurios – weil: Vor dem Spiel hatte die örtliche Polizei eine »Zehn-Personen-Regel« ausgegeben. Keine geschlossene Anreise, kein geschlossenes Auftreten im und vor dem Stadion von mehr als einem Dutzend. Und eh, null Equipment in der Arena. Pustekuchen.

Ein Schreibertrio der Boulevardschmonzette Blick keifte: »Die Polizei kapituliert vor den Chaoten!« Markus Krienbühl widerspricht. Die Entscheidung für die Sektoröffnung sei richtig und wichtig gewesen, so der Kommunikationsleiter des FCL am Dienstag zu jW. Zumal in den vergangenen Wochen der Konflikt »Repressive Behörden versus rebellische Kurven« kräftig angeheizt worden war. Denn Mitte März hatte die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) angekündigt, das »Kaskadenmodell« durchdrücken zu wollen. Gegen den Willen von Verband, Klubs und Fans. Einen Stufenplan, der für definierte »Fanverstöße« definierte Sanktionen vorsieht; graduell gestaffelt bis hin zu Kollektivstrafen, etwa besagte Sektorsperrungen oder »Geisterspiele«.

Was aktive Fanszenen besonders aufregt: Obwohl das »Kaskadenmodell« erst mit Beginn der nächsten Saison in Kraft treten wird, berufen sich Behörden bereits seit Monaten auf jenes – und setzen entsprechend »Maßnahmen« um. Gewissermaßen als Testballons, kritisieren Fanvertreter. Das weiß auch Fabienne Fernandes von der Fanarbeit des FCSG. Deshalb sei es in der »aktuell verworrenen Situation« erforderlich, den »regelmäßigen Dialog« zu suchen, nicht die Konfrontation, sagte Fernandes auf jW-Nachfrage. Krienbühl sekundiert: Das »Kaskadenmodell« sei untauglich, schaffe mehr Risiken, als dass es die Lage rund um die Arenen beruhige. Stimmt, der Beleg: der »Konter« der toughen Ultras aus Luzern.

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