4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 03.04.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Ungarn unter Orban

Hegemonie im Horthy-Land

Ungarn als Schwerpunktthema im Antifaschistischen Infoblatt
Von Marc Bebenroth
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Faschistisches Rollenspiel: Teilnehmer stellen am »Tag der Ehre« in Budapest die Flucht von Wehrmacht- und SS-Truppen aus sowjetischer Belagerung nach (11.2.2023)

Unter der Herrschaft der Fidesz-Partei von Langzeitregierungschef Viktor Orbán habe sich Ungarn zu einem Sehnsuchtsort für Faschisten gemausert. Diese würden Siedlungsphantasien hegen, zelebrierten ein Gedenken an alte Nazis mit einem »Tag der Ehre« in der Landeshauptstadt Budapest und vernetzten sich auch mit kräftiger Unterstützung aus der Staatskasse international. Das Antifaschistische Infoblatt befasst sich im aktuellen Heft Nummer 142 ausführlich mit den heutigen Verhältnissen in dem Land. Viele junge Menschen »wandern, wenn sie die Möglichkeit haben, oft in Richtung Westen ab«, weil Stellen im akademischen Betrieb Ungarns anzunehmen oft genug bedeute, »sich mit der Fidesz gemein zu machen«, wie es in einem Reisebericht von Mitgliedern des »Antifa Solidarity Committee« heißt.

80 Kilometer von Budapest entfernt stehe in Csókakö ein 2012 errichtetes Denkmal, das den faktischen Staatschef von 1920 bis 1944, Miklós Horthy, ehrt. »Horthy war verantwortlich für die ersten ›Judengesetze‹ in Ungarn« und mitverantwortlich für Deportationen. Orbán verfolge die Taktik, der ultrarechten Jobbik-Partei Wählerstimmen abspenstig zu machen, indem sein Fidesz-Regime sich durch revisionistische Erinnerungspolitik und Wiederauflebenlassen des »großen Ungarns der Vergangenheit« als attraktivere Option präsientiere. Das Solidaritätskomitee erinnert an eine rassistische Mordserie an Roma in Tatárszentgyörgy. Über solche Taten werde nicht berichtet in den Blättern, die an Bahnhöfen im ländlichen Raum zu kaufen seien. Ungarns Medienlandschaft sei »zur Propagandamaschinerie der Fidesz verkommen.« Unabhängige Medien seien mit ihrer Produktion ins Ausland ausgewichen, »da es für die Druckereien in Ungarn nur Probleme mit sich bringen würde«.

Ungarns Mitgliedschaft in der EU ermöglicht es der Regierung nicht nur, Fördermittel in Millionenhöhe abzugreifen. Budapest kann auch sogenannte Europäische Haftbefehle ausstellen, zum Beispiel gegen Linke und Antifaschisten. Darauf weisen mehrere Anwältinnen und Anwälte hin. Wie das genau funktioniert, erläutert Matthias Monroy in einem eigenen Beitrag. Diesen Juristen zufolge werden in Ungarn Nazigegner im Zweifel des Terrorismus beschuldigt. Justiz und Haftbedingungen in Ungarn spotten demnach jenen rechtsstaatlichen Prinzipien, derer sich die Europäische Union offiziell verpflichtet fühlt. Die Anwältinnen und Anwälte machen außerdem explizit auf Versuche des deutschen Inlandsgeheimdienstes aufmerksam, auf die hiesige Justiz einzuwirken und Beschuldigte zur Kooperation zu nötigen.

Im Inland treibt das Fidesz-Regime unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Desinformation durch ausländische Kräfte die staatliche Kontrolle über Medien und mögliche Oppositionelle voran, was der Nachdruck eines von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Prag verfassten Beitrags anhand des geplanten »Souveräntitätsschutzgesetzes« veranschaulicht.

Tatsächlich kündigte die Bundesregierung jüngst selbst neue Anstrengungen gegen Desinformation durch ausländische Akteure an. Würde in Berlin damit Ernst gemacht, hätte allerdings auch Ungarn das Nachsehen. Schließlich macht Budapest reichlich Geld aus der Staatskasse für die Unterstützung extrem rechter Propagandanetzwerke in ganz Europa locker. Darauf geht ein nicht gezeichneter Beitrag im vorliegenden Heft näher ein. Weitere Beispiele für die Rolle Ungarns in der Vernetzung rechter Kräfte liefert Ulli Jentsch.

Einen lesenswerten Diskussionsbeitrag verfassten die Gruppen »Langsam.alt« und »Die andere Bande«. Sie rufen dazu auf, beim Reden und Schreiben über jene Antifaschisten, die wegen mutmaßlicher Attacken auf Neonazis am Rande des »Tags der Ehre« in Budapest 2023 von der ungarischen Justiz verfolgt werden, nicht die Sprache der Faschisten zu übernehmen. »Das meint das Sprechen von einer ›Hammerbande‹, die mit Hämmern Schädel zertrümmere«, was »juristisch nicht hinreichend unterlegt« sei. »Tote bei Auseinandersetzungen« seien »nach wie vor nicht erwünscht« und zu vermeiden. Dies sei der geltende Grundkonsens und Ergebnis der Antifadebatten der 1990er Jahre.

Antifaschistisches Infoblatt, Nr. 142: Ungarn? Ungern. 79 Seiten, 3,50 Euro. Bezug: antifainfoblatt.de

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