»Manchmal artet es in Musik aus«
Von Thomas BehlertWenn es um illegale Konzerte in der DDR geht, werden ganz groß die Toten Hosen erwähnt, die im März 1983 in der Erlöserkirche in Osten Berlins aufspielten. Hach, wie wird dann der Punk gelobt, der durch das Kirchenschiff dröhnte und die nach westlicher Musik gierenden Fans zum Ausflippen brachte. Nun kommt ans Licht, dass nur drei Jahre später, am 3. September 1986, in eben dieser Kirche Musik von Conrad Schnitzler – Mitbegründer von Cluster, Mitglied von Tangerine Dream – über den Altar ging.
Bevor es soweit war, musste der ostdeutsche Krautenthusiast Jörg Thomasius steinige Wege gehen. Der Mann liebte die Musik der westdeutschen Elektroniker, besorgte sich auf Schleichwegen kosmische Klänge, krautige Töne und elektronische Stücke. Mit der Band Das freie Orchester versuchte er so einiges, um die Kriterien für eine DDR-Spielerlaubnis zu unterlaufen. Seine Auftrittsmöglichkeiten blieben auf kirchliche Einrichtungen und private Räume beschränkt. Bald nahm er Kontakt zu Musikern aus Westberlin auf, spielte mit dem Gedanken, ein Konzert in der freizügigen Erlöserkirche zu organisieren. Thomasius’ Held war der große Conrad Schnitzler, der zwar in den 80ern keine Liveauftritte mehr absolvieren mochte, aber immer noch sehr fleißig ziemlich großartige Musik im Studio aufnahm, um sie danach von dem US-Komponisten und Dirigenten Ken Montgomery als Kassettenkonzerte präsentieren zu lassen.
Über den Kontakt zu Schnitzler nahm Montgomery mit Thomasius Kontakt auf – man machte den 3. September zum »Tag der Kosmischen Musik in der DDR«. Thomasius’ damaliger Schwiegervater, der als Invalidenrentner in den westlichen Sektor reisen durfte, schmuggelte als Kurier vier Kassetten, die Schnitzler eigens fürs anstehende Konzert eingespielt hatte. Doch bei der Einreise in den Osten Berlins wurde der Schwiegervater durchsucht und die Bänder beschlagnahmt. Auch Montgomery, der seit 1983 mit Schnitzler zusammenarbeitete, kontrollierten die Grenzbeamten gründlich, er musste sogar die mitgebrachten elektronischen Instrumente vorführen – und wurde abgewiesen. Zurück im Westen Berlins schlug Schnitzler einen anderen Grenzübergang vor.
Montgomery ließ die Technik zurück und kam schließlich bei Thomasius an. In dessen sehr übersichtlichem Studio fanden sich dennoch ausreichend technische Geräte und Instrumente für eine Aufführung. Nach einer holprigen Ansprache des Pfarrers der Kirche begann also das gut besuchte Kassettenkonzert – Flugblättern und ordentlich Mundpropaganda sei Dank.
Montgomery, der Schnitzlers Musik unter das Motto »Manchmal artet es in Musik aus« stellte, hatte die Kassetten für den Osten Berlins zuvor noch nicht gehört, mischte lieber zurückhaltend. Die meditativen Aufnahmen versetzten die Zuhörer in eine Art Rausch. Thomasius nahm, mit Schnitzlers Segen, das Konzert auf und veröffentlichte es später heimlich auf seinem Label Kröten-Kassetten. Weil die Tonträger in der DDR viel Geld kosteten (22 Ostmark), erschien es in Kleinstauflage.
Das sich intensiv um elektronische Musik der 70er und 80er Jahre kümmernde Hamburger Label Bureau B veröffentlicht die sechs Kompositionen Schnitzlers seit einer kleinen Weile als CD und LP, worüber man sich nur freuen kann.
Conrad Schnitzler und Ken Montgomery: »CAS-CON II – Konzert in der Erlöserkirche, Ostberlin, 3.9.1986« (Bureau B)
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