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Unzeitgemäße Vorschläge

Von Pierre Deason-Tomory
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Bald gleichen die Öffentlich-Rechtlichen dem privaten Programmschund wie ein Osterei dem anderen

Die von Rechten und Ultra­liberalen entfesselte GEZ-Debatte löst bei einigen ARD-Kulturradios Reformdurchfall aus. Ab dem 2. April gilt bei Bayern 2 und ab 15. April bei SWR 2 ein neues Sendeschema, aussortiert wurden z. B. hier Literatursendungen und dort Lesungen, um minimale Einsparungen zu erreichen, die keine zwei Minuten »Sportschau« finanzieren könnten. Die Maßnahmen werden als Dienst am Hörer begründet: Von seinem Publikum zu erwarten, dass es jeden Tag zu einer festen Zeit einschaltet, um über 15 oder 20 Folgen hinweg einer Lesung beizuwohnen, sei nicht mehr zeitgemäß, schreibt der Südwestrundfunk, der sein zweites Programm bei der Gelegenheit in SWR Kultur umbenennen wird.

Wiederum zum 2. April hat RBB Kultur sein zuletzt vor vier Jahren zusammengestrichenes Programm weiter verflacht und in Radio 3 rückumgetauft, im Laufe der kommenden Monate werde »die Redaktion (!) die Weiterentwicklung (!) fortsetzen«. Bravo, RBB, das sind gleich zwei Lügen in einem Nebensatz. Schließlich soll am 18. des Monats über die Streichung verschiedener »Formate« bei WDR 3 und WDR 5 entschieden werden. Wenn irgendwann die »Produkte« der Öffentlich-Rechtlichen dem privaten ­Programmschund wie ein Osterei dem anderen gleichen, wird die Rechtfertigung für das Gebührensystem entfallen sein. Dann haben die GEZ-Krieger ihren Kulturkampf gegen eine vielfältige Medienlandschaft gewonnen, indem sie die Öffentlich-Rechtlichen dazu brachten, sich selbst zu entkernen.

Wir starten die Programmvorschläge für die nächsten sieben Tage mit einer nicht zeitgemäßen Lesung über 24 Folgen hinweg: »Der Pojaz (1/24)« von Karl Emil Franzos, eingesprochen von Siegfried W. Kernen (Di., 22.04 Uhr, NDR Kultur). Ohne Dampfradios gäbe es statt vieler »Querköpfe« immer nur Dieter Nuhr. In der neuen Ausgabe DLF-Reihe wird ein »Hausbesuch bei Nessi Tausendschön« gemacht (Mi., 21.05 Uhr). Der japanische Philosoph Saito Kohei findet die Ursachen der multiplen Weltkrisen in der Wachstums- und Verwertungsideologie des Kapitalismus und forderte nicht einen Wandel, sondern – in einem entsprechend betitelten Buch – den »Systemsturz«. Auszüge gibt’s in den »Radio­geschichten Spezial« (Fr., 11.05 Uhr, Ö 1). Den »Hörspielartmix« am Freitag abend auf Bayern 2 gibt es nicht mehr, vielleicht versuchen wir es mit dem Hörstück »Arbeit (1/4)« über das Rattenrennen der prekär Beschäftigten, das sich in einer Berliner Frühlingsnacht vor den blinden Augen der Amüsierwütigen abspielt (MDR/RBB/WDR 2024, Ursendung, Fr., 19.05 Uhr, Radio 3).

Der Sonnabend gehöre einer zaubernden Königstochter, einer Seherin und einer Straßensängerin: »Medea«, Hörspiel von Helmut Peschina nach Euripides (ORF 2016, 14 Uhr, Ö 1), »Kassandra (1/2)« von Christa Wolf (WDR 1985, 19.04 Uhr, WDR 3) und »La Gioconda«, Oper von Amil­care Ponchielli, aufgeführt am 23. März bei den Salzburger Osterfestspielen mit der teilverfemten Kammersängerin Anna Netrebko in der Titelrolle (19.30 Uhr, Ö 1). Im »Lesenswert-Feature« geht Thomas David auf die »Suche in Dunkelheit und Licht«, um den Nobelpreisautor Jon Fosse ausfindig zu machen (ORF/WDR 2023, So., 14.05 Uhr, SWR 2). Abends ermittelt »Der Kommissar, der keinen Verdacht hatte«, im Sarajevo-Krimi von Tarik Haverić (NDR 1978, So., 19.04 Uhr, NDR Kultur). Und für den Beginn der kommenden Woche können wir eine weitere nicht zeitgemäße Hörfunkübertragung ankündigen; Xenia Tiling liest aus »Nochmal von ­vorne (1/10)«, dem neuen Roman von Dana von Suffrin (Mo., 8.30 Uhr, NDR Kultur).

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude, Russland (2. April 2024 um 00:04 Uhr)
    »Die von Rechten und Ultraliberalen entfesselte GEZ-Debatte« – über dieses Problem diskutieren auch sehr viele Menschen, die sich links verorten. Sicher sind die kulturellen Angebote auf solchen Sendern wertvoll. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als es weder Internet noch bei uns zu Hause Fernsehen gab. Doch jetzt gibt es eben Internet mit einem ausreichenden Angebot für jeden Menschen, der an Kultur interessiert ist, dort auch kostenlos gute Literatur bis ans Lebensende. Was ARD und ZDF anbelangt, kommen die einigermaßen niveauvollen Sendungen mit Informationen, die wenigstens etwas mehr in die Tiefe gehen, um 23.30 Uhr oder später. Diese Sendungen sollen (!) möglichst wenige Menschen sehen unter dem Vorwand, es würde wegen der Einschaltquoten ja nur wenige interessieren. Und überhaupt könnten Intellektuelle ja morgens dann ausschlafen, wenn andere arbeiten müssen. Politisch herrscht auch um 23.30 Uhr Zensur. Diese späten Sendungen sind ein Feigenblatt. Die Bezifferung WDR 3 oder WDR 5 gibt einen Hinweis darauf, welchen Stellenwert diese Sender haben. Sie sind das Feigenblatt für einen modernisierten Volksempfänger. Ja, ja, wir haben die Auswahl. Nein, das ist nicht mehr das Gleiche wie damals. Nur die Privatsender vermitteln einen niveaulosen Einheitsbrei. Bei Tagesschau, Heute, den politischen Talk-Formaten wird das Geld kübelweise in Honoraren verschwendet, nicht nur beim Sport. Aber das lohnt auch, denn nur die sind seriös und ausgewogen. Da herrscht Vielfalt des Diskurses, wahrheitsgemäße und gut vorrecherchierte Information. Die Privaten müssen eben keine Auslandskorrespondenten bezahlen, die uns so gut aus Moskau informieren. Das alles können die Privaten nicht bieten. Doch, diese Gehirnwäsche können sie auch bieten, nur für weniger Geld. Für Linke stellen die GEZ-Abgaben für geschicktes Weglassen und Wording von Propagandisten der Regierungspolitik hoffentlich eine Provokation dar. Oder sie merken es schon nicht mehr.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (2. April 2024 um 16:44 Uhr)
      Ich führe meine GEZ-Debatte so: Seit Jahren vier Überweisungen pro Quartal per Dauerauftrag mit den Verwendungszwecken »Ladies Night (10 €), Mitternachtsspitzen (11,50 €), Leschs Kosmos (16,72 €) und Die Anstalt (16,86 €)«. Ob ich an den Zwecken und Beträgen etwas ändern soll, überlege ich gerade, die Summe muss halt 55,08 € ergeben. Dafür bekomme ich von der GEZ (heißt offiziell: ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice) alle drei Monate ein Briefchen, das meine Überweisungen bestätigt und mich an die nächste Quartalszahlung erinnert. Die Verwendungszwecke werden darin nicht dokumentiert, nur das Datum des Zahlungseingangs. Es gibt die Mediatheken und immer noch den Videorekorder – für Sendungen, die aus Rechtsgründen nicht im Internet abrufbar sein dürfen. Die Sendezeit ist also – für interessierte Leute – nicht sehr relevant. Natürlich sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten »Ideologische Institute« (jW vom 30.3.2024, Seite 12) mit Verdummungveranstaltungen, ob Heute-Journal oder KaiDiePflaume fast täglich. Ich nutze gerne das Programm »MediathekView«. Aus fast 800.000 Beiträgen kann man sich heraussuchen, was man will. Und man kann einen Beitrag als mp4-Datei lokal speichern, nicht nur abspielen. Das ist besonders nützlich, wenn zu befürchten ist, dass ein Beitrag bald wieder verschwindet, weil er doch zu informativ war.

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