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Aus: Ausgabe vom 02.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Staatsfeind Fußballfan

Behörden zündeln in Kurven

Schweiz: Justiz und Polizei setzen »Kaskadenmodell« gegen »Fangewalt« durch. Verband und Klubs lehnen das ab
Von Oliver Rast
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Uniforme Drohkulisse vor Publikum: Passiv und aktiv bewaffnete Staatsmacht (Bern, 15.5.2022)

Sie wollen es durchdrücken: das »Kaskadenmodell«, mit Beginn der nächsten Saison. Das ist beschlossene Sache für die zuständige Behörde der Schweiz, die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Trotz Gegenwind, trotz Ablehnung.

Denn Verband und Klubs, die Swiss Football League (SFL) sowie die Klubs von erstklassiger Super League und zweitklassiger Challenge League, wollen das nicht, jedenfalls nicht mehr. Einhellig, zum Entsetzen der KKJPD. Zumal auf der Sitzung am 14. März das Modell mit den Stufenfolgen von allen Beteiligten feierlich hätte präsentiert werden sollen.

Das simple Modellprinzip: Bei Verstößen von aktiven Fans folgen graduell Sanktionen. Anfangs waren es fünf Kaskadenstufen: vom Pflichtdialog mit Verfolgungsbehörden über strengere Einlasskontrollen inklusive Gesichtserkennung bis hin zu Kollektivstrafen, etwa Sektorsperren und »Geisterspiele«. Besonders drakonisch die ursprünglich letzte Stufe bei wiederholten Riots von Fans: Absage des nächsten Heimspiels des Vereins, deren Anhänger »Krawallmacher« sind. Nicht nur das: plus »Forfaitniederlage«, also Pleite ohne Kick.

Eine Eskalationsspirale seitens der Staatsmacht; vor allem, weil Fehlverhalten fernab der Arenen sanktioniert werden soll. Fans reagierten und drohten, auf die Barrikaden zu gehen. Über Klubgrenzen hinweg verbreiteten die größten Ultragruppen des Landes im Januar den Aufruf »Es reicht – alle nach Bern!« Gerufen wurde in die Hauptstadt zum Protest gegen Kollektivstrafen.

Daraufhin schwächten die Initiatoren ihre Modellversion ab, tilgten Stufe fünf. Umstimmen konnte das die Kritiker in Verband und Klubs nicht. Sicher auch wegen des Drucks aus den Kurven. Das Hauptargument für SFL-Geschäftsführer Claudius Schäfer: »Rund um Spiele der Super League gab es noch nie so wenige Fälle von schweren gewalttätigen Auseinandersetzungen wie in der abgelaufenen Saison.« Er verwies dabei auf die Statistik, auf das »Gesamtschweizerische Lagebild Sport der Polizeilichen Koordinationsplattform Sport« (siehe Hintergrund). Ferner würde das Modell Prävention und Repression vermischen, künftige »Fangewalt« kaum verhindern können. Und nicht zuletzt existiere mit dem vor 15 Jahren verabschiedeten »Hooligan-Konkordat« bereits ein gesetzliches Instrumentarium, um restriktiv und repressiv einzuschreiten. Kurzum, das Kaskadenmodell sei nicht zielführend, einseitig, unverhältnismäßig.

Karin Kayser-Frutschi, Kopräsidentin der KKJPD, findet das nicht, weiterhin nicht – deshalb wird das Kaskadenmodell umgesetzt, schon zur Spielzeit 2024/25. Öffentlichkeit und friedfertige Fans hätten ein Recht auf gewaltfreie Matches.

Was die aktive Fanszene landesweit aufregt: Die Schließung von Gästesektoren in Stadien veranlassten Behörden in den vergangenen Monaten mehrfach. Unter Berufung auf das Stufenmodell – weit vor ­dessen Einführung, wohlgemerkt. Wie am Ostermontag beim Auftritt des FC Luzern in St. Gallen, dem »Erzrivalen«.

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