4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 02.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Arbeitsmigration in Neuseeland

Verschärfte Ausbeutung als Programm

Neuseeland: Pazifische Migranten sind häufig unter widrigsten Bedingungen beschäftigt und wehren sich
Von Thomas Berger
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Pure Plackerei: Erntehelfer auf weiter Flur in der Nähe von South Auckland, Nordinsel, Neuseeland

Von den pazifischen Inselstaaten stammende Saisonarbeiter sind in Neuseeland oft verschärfter Ausbeutung ausgesetzt. Doch die Beschäftigten nehmen dies nicht länger hin. So hat eine Gruppe Arbeitsmigranten von den Salomonen ihren ehemaligen Betrieb verklagt, weil dieser ihnen immer wieder ungerechtfertigte Abzüge von ihrem Lohn auferlegt hatte. »In manchen Wochen blieb am Ende gar kein Verdienst mehr übrig«, kritisierten die Beschäftigten den Betrieb in einem Bericht von Radio New Zealand (RNZ) vergangene Woche.

Kläger sind drei Arbeiter, die seit 2018 als Erntehelfer auf Saisonbasis bei der Firma Pick Hawke’s Bay beschäftigt waren. Das Unternehmen hatte die gravierenden Lohnabzüge 2020 mit Ausgaben für Versicherungen, Schlechtwetterbekleidung und Entschädigung für aus der Küche der Gemeinschaftsunterkunft fehlende Utensilien begründet. Sowohl der Branchendachverband Horticulture New Zealand als auch die nationale Menschenrechtskommission und der Gewerkschaftsverband NZ Council of Trade Unions sind im Verfahren als Prozessbeteiligte mit Recht auf Anhörung beteiligt.

Der Fall wirft ein Licht auf das gesamte Beschäftigungsprogramm Recognised Seasonal Employer (RSE) der pazifischen Arbeitsmigranten im neuseeländischen Agrarwesen. Laut Horticulture New Zealand nehmen rund 150 Betriebe daran teil. Für Rachel Mackintosh, amtierende Präsidentin des Gewerkschaftsverbandes, steht außer Frage, dass es sich bei dem betreffenden Unternehmen nicht um ein einzelnes schwarzes Schaf in der Branche handelt: »Jedes Programm, in dem jemand eine ganze Woche arbeiten kann, ohne ordentlich bezahlt zu werden, ist im Kern ausbeuterisch«, zitierte sie RNZ.

Mackintosh verweist dabei auf den Umstand, dass die Betroffenen es besonders schwer hätten, die ihnen zustehenden Grundrechte durchzusetzen. »Oft fehlt es ihnen an Ressourcen, um vor Gericht zu ziehen. Sie sind durch ihre Visa an den Arbeitgeber gebunden, haben keine gewerkschaftliche Vertretung, können oft nicht richtig Englisch.« Das mache sie besonders vulnerabel und dadurch attraktiv für Firmen, die sich darauf verlassen, dass den Beschäftigten häufig der Rückhalt fehlt, um sich wirksam gegen die Arbeitsbedingungen zu wehren.

Das RSE trat im Jahr 2007 in Kraft, zuletzt betrug das Kontingent der Saisonkräfte 19.500 Personen. Die konservative Regierung von Premierminister Christopher Luxon will die Zahl künftig noch ausbauen. Das entsprechende Programm des Nachbars Australien (PALM) eingerechnet, waren Mitte 2023 insgesamt 48.000 solcher pazifischer Saisonkräfte in den beiden Ländern beschäftigt. Im Umkehrschluss haben jeweils gut 20 Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter aus Tonga und Vanuatu eine solche Anstellung gefunden. Aus Samoa ist es jeder Neunte.

Die Saisonkräfte unterstützen mit ihren monatlichen Rücküberweisungen (Remittances) ihre Familien daheim. Doch in Samoa, Tonga, Vanuatu und anderen Staaten fehlen die Kräfte wiederum dort in etlichen Branchen. Der NZ Herald zitierte in einem Hintergrundbericht von November den Erzbischof von Fidschi, der in diesem Zusammenhang von der »dunklen Seite der Saisonarbeit« gesprochen hatte. Demnach hat sich die Zahl der Visaanträge 2023 nach einem Einbruch während der Coronapandemie gegenüber den Jahren 2018 und 2019 verdoppelt.

Laut offiziellen Zahlen beläuft sich die Community der pazifischen Migranten mittlerweile auf mehr als 380.000 Menschen. Die »Pasifika«, wie sie amtlich genannt werden, machen rund acht Prozent der neuseeländischen Bevölkerung aus. Laut einer 2022 vorgestellten Studie der Menschenrechtskommission bestehen jedoch große Unterschiede bei ihrer Bezahlung. Demnach verdienten pazifischstämmige Männer nur etwa 81 Prozent des Lohns weißer Neuseeländer. Bei Frauen sind es gar nur 75 Prozent.

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