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Aus: Ausgabe vom 27.03.2024, Seite 6 / Ausland
Indien vor der Wahl

Chefminister hinter Gittern

Indien: Festnahme von Modi-Gegner Kejriwal vor den Parlamentswahlen löst Welle des Protests aus
Von Thomas Berger
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Einsatzkräfte hindern aufgebrachte AAP-Anhänger daran, ihren Protest bis vor das Anwesen von Premierminister Modi zu tragen (Neu-Delhi, 26.3.2024)

Während andernorts in Indien am Montag Holi begangen wurde, das hinduistische Frühjahrsfest der Farben, war die Hauptstadt Delhi von Proteststimmung erfüllt. Denn gerade den Anhängern der dort regierenden, auf nationaler Ebene zur Opposition zählenden Aam Aadmi Party (AAP) ist derzeit nicht zum Feiern zumute. Sitzt doch ihr Vorsitzender und Delhis Chefminister Arvind Kejriwal derzeit im Gefängnis. Schon am Sonntag hatte es Straßenproteste gegeben, am Dienstag zogen AAP-Sympathisanten vor den Amtssitz von Indiens Premierminister Narendra Modi. Denn dieser wird von ihnen und Verbündeten für die Festnahme eines der profiliertesten Oppositionspolitiker des Landes kurz vor den am 19. April beginnenden Parlamentswahlen verantwortlich gemacht. Tatsächlich ist es ein Novum in der Landesgeschichte: Erstmals sitzt mit Kejriwal der amtierende Leiter einer indischen Regionalregierung in Untersuchungshaft. Mindestens bis 28. März, hieß es, sollen seine Befragungen durch das Enforcement Directorate (ED), die zentrale Finanzermittlungsbehörde, andauern. Kejriwals eigene Anhängerschaft und andere Oppositionelle vermuten dahinter ein Komplott von Modis hindu-nationalistischer Bharatiya Janata Party (BJP), um einen ihrer schärfsten Kritiker mundtot zu machen.

Fakt ist: Der Fall, um den es geht, schleppt sich schon länger hin. Kejriwal selbst soll, so One India in einem Beitrag, seit 2. November 2023 neun ED-Vorladungen zu einer Befragung ignoriert haben, weil er die Ermittlungen als »illegal und politisch motiviert« einstuft. Seit vorigem Jahr sitzen bereits als Hauptbeschuldigte zwei seiner ehemaligen Stellvertreter vorläufig hinter Gittern. Es geht um eine 2021/22 formulierte Richtlinie für den Verkauf alkoholischer Getränke im Hauptstadtterritorium, die bald darauf aber wieder kassiert wurde. Angeblich sollen damals von Schnapsproduzenten immense Schmiergelder an die AAP geflossen sein – die Rede ist von einer Milliarde Rupien, umgerechnet gut zwölf Millionen Euro. Stichhaltige Beweise für diese Anschuldigungen hat das ED-Team jedoch bisher nicht vorlegen können.

Pikant: Der 55jährige Kejriwal stammt aus der Antikorruptionsbewegung, auch die 2012 gegründete AAP hat darin ihre Ursprünge. In Delhi ist die »Partei des einfachen Mannes«, wie ihr Name übersetzt heißt, seit den Wahlen 2015 mit 67 bzw. aktuell seit 2020 mit 62 von 70 Sitzen im Regionalparlament der Hauptstadt die klar dominante Kraft geworden. Inzwischen stellt sie auch die Regierung in Punjab, ihrer zweiten Bastion. Streng säkular, steht AAP Modi und der BJP kritisch gegenüber, hat aber auch zum Indischen Nationalkongress (INC), der Indien seit der Unabhängigkeit 54 von 76 Jahren regierte, traditionell kein einfaches Verhältnis. Beide sind aber nun mit rund zwei Dutzend weiteren Partnern im oppositionellen INDIA-Bündnis vereint, das bei den anstehenden Wahlen eine laut Umfragen sehr wahrscheinliche dritte Amtszeit Modis unbedingt noch verhindern will.

Die AAP weigert sich bislang ausdrücklich, einen Ersatz für Kejriwal als Chefminister zu bestimmen, der also aus dem Gefängnis heraus regieren muss. Vertreter der AAP und von ­INDIA-Partnern sprechen mit Blick auf seine Festnahme von »Willkür« und »Diktatur«. Die Infoseite The Wire hob hervor, dass in den gleichen Fall auch der Direktor eines Pharmakonzerns verwickelt ist, der 2022 ebenfalls verhaftet worden war, aber freikam, nachdem er der BJP eine illegale Geldspende hatte zukommen lassen, was kurz vor Kejriwals Verhaftung bekanntgeworden sei. Auf Distanz zu seinem einstigen engen Vertrauten ging öffentlich jedoch Kisan Baburao »Anna« Hazare. Der heute 86jährige Sozialaktivist war der oberste Anführer der Protestbewegung, die 2011 Hunderttausende für ein Gesetz zur effektiveren Korruptionskontrolle auf die Straßen gebracht hatte. Dass von der AAP überhaupt eine Richtlinie zum Verkauf von Alkohol ausgearbeitet wurde – dessen Konsum, wie hinzugefügt werden muss, in Indien weithin verpönt ist –, sei ein Fehler gewesen, so der Veteran. Kejriwals Festnahme sei daher »eigenes Verschulden«.

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